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Wohin das Wasser der austrocknenden Seen verschwindet
Anhaltende Trockenheit und Hitze lassen die Pegel von Flüssen, Seen und künstlichen Reservoirs sinken. Doch was passiert mit dem verdunsteten und entnommenen Wasser?
Lake Mead, der durch den Hoover-Damm entstandene Colorado-Stausee, verliert seit Jahren an Volumen. Der frühere Pegelstand ist durch die hellen Ablagerungen am Fels sichtbar. Foto: APA/AFP/PATRICK T. FALLON
Wer den Hoover-Damm nahe der Wüstenstadt Las Vegas besucht, kann die Auswirkungen der anhaltenden Dürre im Westen der USA mit eigenen Augen sehen. Wo vor wenigen Jahrzehnten noch die Oberkante des größten US-Stausees lag, leuchten einem nun weiße mineralische Ablagerungen an den nackten Felswänden entgegen.
Der aktuelle Wasserstand von 317 Metern ist der tiefste seit dem Bau der riesigen Staumauer am Colorado River in den 1930er-Jahren. Über 57 Meter fehlen bereits auf die volle Kapazität. Durch die vielerorts flachen Uferzonen hat der See damit sogar mehr als 70 Prozent seines möglichen Volumens eingebüßt. Sinkt der Pegelstand noch weiter, ist nicht nur die Wasserversorgung von 25 Millionen Menschen, sondern auch die Energieproduktion gefährdet.
110 Milliarden Liter Wasser verdunstet
Doch wohin verschwindet das Wasser eigentlich? Allein durch die Verdunstung gehen am Lake Mead im Schnitt jährlich über 110 Milliarden Liter Wasser verloren, die in der Atmosphäre landen und theoretisch zu einem späteren Zeitpunkt als Niederschlag ihren Weg zurück auf die Erdoberfläche finden sollten. In der Praxis hilft dies dürregeplagten Regionen wie dem Südwesten der USA oder dem Mittelmeerraum aber wenig, erklärt Dieter Gerten vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
„Das Verdunstungswasser fließt zwar in den globalen Wasserkreislauf zurück. Da es aber über hunderte und tausende Kilometer transportiert werden kann, regnet es mitunter an einem völlig anderen Ort ab“, sagt der Geograf und Ökologe. Das durch die Menschen entnommene Wasser wiederum lande über die Bewässerung von Feldern und andere Nutzung am Ende zwar auch in Flüssen und letztlich im Meer. Die ohnehin schon niederschlagsarmen Regionen würden davon aber ebenfalls nicht profitieren.
Auch der Pegel von Lake Powell am Colorado River befindet sich auf einem Tiefststand. Foto: CAITLIN OCHS/Reuters
Klimawandel und Extreme
Dass die steigenden Temperaturen auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen sind, gilt wissenschaftlich als erwiesen. Die Zusammenhänge mit mancherorts verstärkt auftretender Dürre sind allerdings komplizierter. „Gerade im Westen der USA sorgen extrem stabile Hochdruckgebiete dafür, dass der Niederschlag ausbleibt. Abgesehen von zyklisch auftretenden Phasen der Atmosphärenzirkulation, die auch schon in der Vergangenheit zu beobachten waren, gibt es erste Hinweise darauf, dass der Klimawandel den Jetstream beeinflusst und die langen Trockenzeiten begünstigt“, erklärt Gerten.
In anderen Regionen wiederum intensiviere dieses Phänomen andere Extreme, wie andauernde Kältephasen oder anhaltenden Niederschlag mit enormen Regenmengen, die wiederum zu Überschwemmungen führen.Physikalisch gesehen bedeuten höhere Temperaturen in der Atmosphäre zwar, dass diese mehr Feuchtigkeit aufnehmen und schließlich wieder abgeben kann. Doch die Verteilung fällt regional völlig unterschiedlich aus.
Dazu kommt, dass das Wasser teilweise in kurzer Zeit in Form von Starkregen auf die Erde niedergeht, wie auch Klaus Haslinger von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik bestätigt: „Die Spanne zwischen extremer Trockenheit und enormen Regenmengen wird auch bei uns immer größer.“ Über das Jahr gesehen bleibe die Niederschlagssumme in manchen Regionen mitunter sogar gleich. Hinter dem Mittelwert könnten sich jedoch wochenlange Dürreperioden, gefolgt von Starkregenereignissen verbergen – mit all ihren Folgen für die Natur und Landwirtschaft, aber auch die Trinkwasser- und Energieversorgung.
Die anhaltende Dürre in Italien lässt den wichtigsten Fluss Po austrocknen. Foto: Luca Bruno/AP
Angst vor der Megadürre
Gerade in den USA steigt angesichts der anhaltenden Trockenheit die Angst, dass dem Südwesten ähnliche jahrzehntelange Megadürren drohen, wie sie zwischen dem 9. und 17. Jahrhundert mehr als ein Dutzend Mal nachgewiesen werden konnten. Schon damals dürften diese zu einem Verschwinden dort ansässiger Ureinwohnerstämme geführt haben. Die Auswirkungen heute wären aufgrund der enormen Bevölkerungspopulation und des exzessiven Wasserverbrauchs ungleich dramatischer.
„Die Stauseen wurden in einer relativ feuchten Klimaperiode des 20. Jahrhunderts konzipiert und gebaut. Die Wasserentnahme durch die mittlerweile dort existierenden Millionenstädte ist für ein Halbwüstengebiet allerdings viel zu hoch“, kritisiert Gerten. In Dürrezeiten wie jetzt komme es durch die Übernutzung zu einem Teufelskreis. Durch anhaltende Trockenheit und Hitzewellen müsse man die Wasserentnahme immer weiter hochfahren, etwa um Ernteausfälle auf den Feldern zu kompensieren.
Schätzungen zufolge entfallen 80 Prozent des Wasserverbrauchs im Südwesten der USA auf die Landwirtschaft. Durch den sinkenden Grundwasserspiegel werden mittlerweile auch tieferliegende, sogenannte fossile Wasserreservoirs angezapft. Das bisher unangetastete Wasser, das dem globalen Kreislauf neu hinzugefügt wird, könnte laut Studien mit daran beteiligt sein, dass der Meeresspiegel noch schneller und höher steigt. Wirklich nutzbar ist das wertvolle Gut Gerten zufolge dann kaum mehr. „Durch den steigenden Meeresspiegel dringt das Salzwasser in Landflächen ein und macht fruchtbare Böden unbrauchbar.“ (Martin Stepanek, 11.7.2022)