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Ökologe Franz Essl: „Das geht um 180 Grad in die falsche Richtung“
Franz Essl ist ein besonders gutes Beispiel dafür, dass sich höchste wissenschaftliche Qualität, öffentlichkeitswirksame Vermittlung und gesellschaftspolitisches Engagement nicht ausschließen müssen. Der Biodiversitätsforscher von der Universität Wien, der unter anderem die Folgen von Bioinvasoren untersucht, gehört seit etlichen Jahren zu den drei, vier Dutzend Wissenschaftern in Österreich, die es auf die elitäre Liste der weltweit „highly cited researchers“ schaffen.
Dabei forscht der gebürtige Linzer, der lange am Umweltbundesamt tätig war und heute die Forschungsgruppe „Bioinvasions, global change & macroecology“ am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung leitet, erst seit fünf Jahren Vollzeit an der Universität.
Der höchst erfolgreiche Forscher ist aber auch darum bemüht, seine gesellschaftlich relevanten Erkenntnisse der Öffentlichkeit und der Politik zu vermitteln. Dafür sorgt er unter anderem als Leitungsmitglied des österreichischen Biodiversitätsrats und durch seine vielfältigen Vermittlungstätigkeiten. Essl ist aber auch ein politisch engagierter Bürger, der auf seinem verfolgenswerten Twitter-Account darauf hinweist, dass ein Monat nach der Ukraine-Invasion durch Russland die Reisnerstraße, in der die russische Botschaft steht, kurzfristig in „Straße der ukrainischen HeldInnen“ umbenannt wurde.
One month after the Russian invasion, the street of the Russian Embassy in Vienna was renamend in honour of the Ukrainians. Austria has to step up its support for Ukraine – no more gas and oil from bloody hands, and energy transition go hand in hand! #SupportUkraine #StopPutin pic.twitter.com/pAyj5UUHuq
— Franz Essl (@FranzEssl1) March 25, 2022
Für dieses vielfältige wissenschaftliche und öffentliche Engagement wurde der Forscher, der nächste Woche 50 Jahre alt wird und mit seiner Frau und zwei Kindern, zwei Katzen und vier Hühnern in Wien lebt, von den Mitgliedern des Klubs der Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen zum Wissenschafter des Jahres 2022 gewählt, die damit seit 1994 besondere Vermittlungsleistungen von Forschenden auszeichnen.
Bisherige Preisträgerinnen und Preisträger waren unter anderem der Physiker Anton Zeilinger (1996), die Biochemikerin Renée Schroeder (2002), die Archäologin Sabine Ladstätter (2011) oder im Vorjahr der Komplexitätsforscher Peter Klimek.
STANDARD: Sie begannen Ihre Laufbahn eher im angewandten Naturschutz, ehe Sie recht spät eine wissenschaftliche Karriere einschlugen. Wie kam es dazu?
Essl: Ich habe mich als Jugendlicher sehr für Naturschutz und Botanik interessiert und in Botanik auch meine Dissertation geschrieben. Danach war ich lange außeruniversitär tätig, arbeitete ab 2003 beim Umweltbundesamt, ehe ich 2013 eine Halbtagsstelle an der Uni Wien antrat. Das entsprach auch einer Verschiebung meiner Interessen, hin zu mehr Wissenschaft. Und seit 2018 habe ich eine Vollzeitstelle an der Uni, die mir genau das ermöglicht.
STANDARD: Trotz dieser späten akademischen Karriere sind Sie nicht nur ausgezeichneter Kommunikator Ihrer Forschungen, sondern gehören auch seit etlichen Jahren zu den meistzitierten Forschern Österreichs. Wie ist Ihnen das gelungen?
Essl: Ich habe mit dem wissenschaftlichen Publizieren in englischsprachigen Fachzeitschriften erst mit etwa 30 Jahren begonnen, was relativ spät ist. Da hatte ich aber bereits eine breite Erfahrung in meinem Forschungsfeld durch das Schreiben von Monografien und deutschsprachiger Artikel. Das war sicher ein gewisser Startvorteil. Besonders wichtig war dafür eine gute Arbeitskultur und wertschätzende Zusammenarbeit, zu Beginn natürlich auch mit sehr viel profilierteren Kolleginnen und Kollegen, die mich unterstützt haben und von denen ich viel gelernt habe.
STANDARD: Kurz vor Ihrer Ernennung zum österreichischen Wissenschafter des Jahres fand Ende 2022 die Weltnaturkonferenz COP 15 statt, bei der sich die Staaten auf ein globales Abkommen für den Artenschutz einigten. Wie bewerten Sie dieses Ergebnis?
Essl: Die beschlossenen Biodiversitätsziele für die Zeiträume bis 2030 und bis 2050 sind sehr sportlich, auch wenn im Laufe des Aushandlungsprozesses einige Themen verlorengegangen sind. Wenn das, was im Abschlusspapier steht, tatsächlich umgesetzt werden sollte, würde das in Sachen Biodiversität eine absolute Trendwende darstellen.
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Rund eine Million Tier- und Pflanzenarten drohen zu verschwinden. Sterben sie aus, wird es auch für uns ungemütlich. Warum das so ist, wie der Mensch das Artensterben vorantreibt und wie es sich aufhalten lässt. DER STANDARD
STANDARD: Sie klingen nicht ganz überzeugt, dass es zur fristgerechten Erreichung der Ziele kommen wird.
Essl: Um das umzusetzen, braucht es global, aber auch lokal eine radikale Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. In Österreich etwa müssten viele neue Förderungen beschlossen werden, damit es sich beispielsweise für Landwirte lohnt, besser als bisher für Artenschutz zu sorgen. Aktuell ist es aber so, dass in den österreichischen Bundesländern das Budget für Naturschutz im Vergleich zu jenem für Straßenneubauten in etwa eins zu 30 beträgt. Und wie das Wifo jüngst ermittelt hat, werden jährlich sechs Milliarden Euro klimaschädliche Subventionen ausgegeben, um nicht zu sagen: verschwendet. Das geht um 180 Grad in die falsche Richtung, wenn wir die Klima- und Biodiversitätsziele erreichen wollen.
STANDARD: Sehen Sie eine Chance, dass sich in Österreich daran etwas ändert?
Essl: Wenn der politische Wille da wäre, könnte sich schon etwas ändern. Die Empfänger der bisherigen Subventionen würden sich klarerweise wehren. Aber ich denke, dass es auch eine mittlerweile recht breite Unterstützung in der Gesellschaft für Klimaschutz und Biodiversität gibt. Und es ist ja nicht so, dass sich die Politik nicht immer wieder gegen Widerstände durchsetzen kann und will – nur halt eben oft bei klimaschädlichen Projekten wie der Stadtstraße für Wien.
STANDARD: Naturschutz ist in Österreich Landessache. Wie sehr ist das ein Problem?
Essl: Die föderale Struktur hat in bestimmten Bereichen sicher Vorteile. Beim Naturschutz entspricht sie nicht mehr der Realität. Diese Zuständigkeiten wurden nach 1945 geregelt, als der Naturschutz eine weitaus geringere Bedeutung als heute. Zudem hat sich rechtlich viel geändert: Österreich hat sich etwa im Rahmen der EU zu vielen Naturschutzaktivitäten verpflichtet, und der Ansprechpartner dafür ist die Republik als Vertragspartner; säumig in der Umsetzung sind aber die Bundesländer. Aus diesem Grund bin ich – so wie der Österreichische Biodiversitätsrat – der Überzeugung, dass es für den Natur- und Umweltschutz zumindest ergänzend einen nationalen Rahmen braucht.
STANDARD: Sie gehören dem Biodiversitätsrat als leitendes Mitglied an. Wie sehr wird dieser Rat von der Politik wahrgenommen?
Essl: Der Biodiversitätsrat ist eine Bottom-up-Initiative von Umweltforschenden, sprich: Wir haben uns unseren Auftrag selbst erarbeitet und definiert. Dahinter stand die Motivation, dass es eine solche möglichst unabhängige Stimme aus der Wissenschaft braucht, die sich zu diesen Themen äußert. Ob wir von der Politik als Beratungsorgan wahrgenommen werden, ist schwer zu sagen. Aber ich denke schon, dass wir im Umweltbereich zu einer relevanten Stimme geworden sind.
STANDARD: Für jüngere Klimaforscherinnen und -forscher ist eine solche Form der wissenschaftlichen Politikberatung nicht mehr ausreichend. Es gab gerade im letzten Jahr eine Zunahme von Aktionismus in dem Bereich. Was halten Sie davon?
Essl: Um Aufmerksamkeit für diese Themen in der Gesellschaft zu erzeugen, sind meiner Ansicht nach verschiedenste Aktivitäten notwendig und legitim. Insofern kann ich auch polarisierende Aktionen wie Straßenblockaden oder Proteste in Museen von ihrer Motivation her absolut nachvollziehen. Jede Störung, die dadurch verursacht wird, ist absolut vernachlässigbar im Vergleich zu den Folgen der Klimakrise. Aber welche Formen des Engagements sich letztlich als politisch und gesellschaftlich wirksamer erweisen – wissenschaftliche Politikberatung oder Aktivismus –, ist heute schwer zu sagen.
STANDARD: Welche Rolle kommt dabei den Universitäten zu?
Essl: Das Selbstverständnis im akademischen Bereich geht sicher in die Richtung, dass Forschung über allem steht. Ich denke aber, dass die Unis gerade in gesellschaftlich wichtigen Themen und Bereichen wie eben dem Klimawandel oder dem Artenschutz sich nicht nur als Forschungs- und Lehreinrichtungen sehen, sondern dass sie eine Art gesellschaftliche Speerspitze sein sollten. Im Rahmen der sogenannten Third Mission wird die Interaktion mit der Gesellschaft zwar als wichtiger Bereich gesehen.
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Dennoch ist es so, dass es letztlich dem persönlichen Engagement der einzelnen Forscherinnen und Forscher überlassen bleibt, ob sie sich engagieren oder nicht.
STANDARD: Sehen Sie sich bei Ihrem eigenen Engagement, Ihre Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln, von Ihrer Universität ausreichend unterstützt?
Essl: Ja, insbesondere die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit ist sehr hilfreich. Aber die Kompetenzen für den Umgang etwa mit Medien muss man sich als Forscher dann doch weitgehend selbst aneignen. Zum Teil ist das natürlich Erfahrungswissen. Und es gibt auch neue Fortbildungsangebote für den Umgang mit Medien. Aber in dem Bereich gibt es insgesamt sicher noch Verbesserungsmöglichkeiten. (Klaus Taschwer, 9.1.2023)
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