Regenwürmer sind gut für den Boden und schützen das Klima. Doch dessen Wandel macht ihnen zu schaffen

Trockene Sommer bedrohen ihre Existenz. Und dann ist da auch noch ein neuer Fressfeind: ein Plattwurm aus Südamerika, der seine Beute zu Brei macht.

Der hierzulande bekannte Typus ist nur eine von weltweit etwa 700 Regenwurmarten. Die ringförmige Verdickung heisst Gürtel und zeigt, dass dieser Wurm mindestens ein oder zwei Jahre alt und geschlechtsreif ist. Imago

Im Herbst kam er wieder aus seinen Löchern gekrochen. Hungrig, nackt, unscheinbar. Und tatsächlich ist die nasse Jahreszeit ein Fest für den heimischen Regenwurm, lateinisch Lumbricus terrestris. Die feuchte Erde lässt ihn nach dem langen Sommer wieder aktiv werden. «Reger Wurm» wurde er deshalb früher genannt, daher wohl sein Name.

Der bis zu dreissig Zentimeter lange Gemeine Regenwurm aus der Ordnung der Wenigborster bohrt und gräbt sich dann unermüdlich durch den Boden, manche Vertreter dringen sogar bis in drei Meter Tiefe vor. Dabei legt er vertikale Röhren an, in die er nachts Laub und andere Pflanzenreste von der Oberfläche zieht. Die Röhren verklebt er mit Schleim, um das Pflanzenmaterial erst später zu vertilgen. Sein Graben und Kriechen macht ihn zum besten Freund des Gärtners: Er lockert, düngt und belüftet den Boden.

Der Sommer allerdings ist jedes Mal eine Tortur für die lichtscheuen Bodenbewohner. Sonne und Hitze dörren die Krume aus, Regenwasser sickert kaum in den Untergrund. Daher ziehen sich die Regenwürmer in tiefere Bodenhorizonte zurück und fallen irgendwann in einen Dürreschlaf.

Damit endet ihr wertvoller Dienst am Lebensraum Boden vorübergehend. Doch der Klimawandel könnte dem Regenwurm auch langfristig zusetzen: Längere Dürreperioden bedrohen seine Existenz, immer häufiger fällt schon das Frühjahr viel zu trocken aus.

Ein einzigartiges Experiment zu Trockenheit in der Schweiz

Die Folgen dieser Entwicklung beobachtet Frank Hagedorn seit einigen Jahren. Der Biogeochemiker von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) forscht im Walliser Pfynwald. Dort läuft seit fast zwanzig Jahren ein weltweit einzigartiges Experiment. Ein Waldstück haben die Forscher in zwei gleich grosse Flächen geteilt: Die eine wird bewässert, die andere nicht. So wollen sie ermitteln, was der Klimawandel mit dem Wald und dessen Bewohnern macht.

Hagedorn nutzt das Experiment für seine Forschung über den Boden und dessen Lebewesen. Seit 2003 untersucht er das unsichtbare Leben im Pfynwald, einen stärkeren Anschub für seine Arbeit gab die grosse Dürre des Jahres 2018, als von April bis Oktober in weiten Teilen Europas kaum Regen vom Himmel fiel.

Mehr Forschung ist bitter nötig, denn über die Vorgänge im Untergrund und insbesondere über die Biologie des Bodens wissen wir erstaunlich wenig. Mehr als 90 Prozent seiner Mikroorganismen sind noch unbekannt.

Über den Gemeinen Regenwurm weiss die Wissenschaft zwar deutlich mehr, doch im Vergleich zur oft mikroskopisch kleinen Bodenfauna ist der Wurm auch ein Gigant. 46 Arten sind in Mitteleuropa heimisch, rund 700 sind weltweit bekannt. Der bekannteste unter ihnen, Lumbricus terrestris, gehört zur Gruppe der sogenannten anözischen Würmer: Im Gegensatz zu ihren Verwandten leben sie hauptsächlich im Erdreich und graben sich vertikal durch den Boden. Sie sind rötlich-braun gefärbt und werden nach hinten blasser.

Mehr Wasser bedeutet mehr Würmer und besseren Boden

Zwei Arten finden sich im Pfynwald, das Hauptinteresse von Frank Hagedorn gilt Lumbricus terrestris. In regelmässigen Abständen misst der Forscher die Regenwurmpopulation im Aussenlabor. Dazu steckt er eine fünfzig mal fünfzig Zentimeter grosse Fläche ab und lässt eine Senflösung in den Boden sickern. Diese reizt die Tiere, sie flüchten an die Oberfläche. So kann Hagedorn die Regenwürmer zählen und wiegen.

Das Ergebnis: Auf den bewässerten Waldflächen lebten im Sommer fünf- bis zehnmal mehr Exemplare im Boden als auf den nicht bewässerten. Zudem wimmelte es im beregneten Waldstück von anderen Bodenbewohnern wie Springschwänzen und Asseln. Und Hagedorn beobachtete, dass die Regenwürmer im nicht bewässerten Wald deutlich kleiner waren und weniger aktiv.

Die Auswirkungen konnte der Wissenschafter im Wald schnell erkennen. Mit einem Spaten stach er im Sommer in den Boden, um den oberen Horizont zu begutachten. Im bewässerten Wald kam ein humusreicher, schwarzer Oberboden zum Vorschein, im dürregeplagten Wald hingegen war der Oberboden deutlich heller.

Im bewässerten Waldabschnitt wurde also mehr organisches Material abgebaut, der Boden konnte mehr Kohlenstoff speichern. Verantwortlich hierfür war eindeutig der Fleiss der Regenwürmer und anderer Bodenbewohner, wie Hagedorn mithilfe eines speziellen Versuchsaufbaus herausfand. Die Würmer hatten mehr Laubstreu abgebaut und in wertvollen, stabilen Humus verwandelt.

Der Regenwurm zieht Pflanzenteile in den Boden, zersetzt sie und bindet so Kohlenstoff im Boden – ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Laurie Campbell / Imago

Regenwürmer binden Kohlenstoff im Boden

Der Regenwurm ist damit aber ein Segen nicht nur für den Boden, sondern auch für das Klima. Er verfrachtet Pflanzenteile metertief unter die Erde und bindet so das in ihnen gespeicherte CO2.

Ausserdem produziert er einen speziellen Humus über seinen Darm, die sogenannte Losung. Dieser Regenwurmkot ist besonders wertvoll, weil er deutlich nährstoffreicher, feuchter und weniger sauer ist als normaler Waldboden. Denn wenn der Regenwurm organisches Material zersetzt, nimmt er grosse Mengen Bodenmineralien, aber auch Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze auf. Aus seinem Darm entweichen dadurch Ton-Humus-Komplexe, die stabile Erdbröckchen bilden.

Der Regenwurm aktiviert also das Bodenleben und fördert die Bodenfruchtbarkeit. Ausserdem sind humusreiche Böden weniger anfällig für Dürren, weil sie mehr Wasser halten können. In trockenen Wäldern hingegen stellt die Bodenfauna nach und nach ihre Tätigkeit ein, bildet weniger Humus und bringt damit weniger Kohlenstoff in den Boden ein. Damit sinkt die Fruchtbarkeit des Bodens.

Waldboden speichert mehr Kohlenstoff als die Vegetation

Wie schnell sich dieser Prozess im Boden bemerkbar machte, hat Frank Hagedorn überrascht. Humus bilde sich normalerweise über Jahrhunderte, sagt er, insofern habe er beim Beginn seines Projekts nicht damit gerechnet, schon nach wenigen Jahren bedeutende Unterschiede zu sehen. Doch genau das passierte, schon nach zehn Jahren konnte er nachweisen, dass der bewässerte Wald mehr Kohlenstoff speicherte als der nicht bewässerte.

Hagedorns Forschung zeigt, dass die Bedeutung der Waldböden für den Klimaschutz wohl unterschätzt wurde. Sie speicherten sogar mehr Kohlenstoff als die Waldvegetation, sagt er, als alle Kräuter, Sträucher und Bäume zusammen.

Die zunehmende Trockenheit wird also für die Wälder auch dort zum Problem, wo keiner hinschaut: im Untergrund. Einen Dürresommer könnten die Regenwürmer überbrücken, aber mehrere in Folge überlebten viele nicht. Insofern rechnet Hagedorn mit einer Abnahme der Population mit fortschreitendem Klimawandel, zumindest im Pfynwald. Und mit einer weiteren Abnahme des Kohlenstoffspeichers Waldboden in den unberegneten Flächen. Der Nutzen des Regenwurms für das Klima sinkt.

Lässt sich dieser Trend umkehren? Beim Klima jedenfalls nicht. Höhere Temperaturen erhöhen die Verdunstung im Sommerhalbjahr – die Bodenfeuchte sinkt, der Regenwurm leidet. Doch das muss nicht überall sein Ende bedeuten. In gesunden Laubwäldern tummeln sich mehr Regenwürmer als in Nadelwäldern, bis zu zwanzig Mal mehr Exemplare wurden dort schon gezählt.

Analog dazu gibt es auch beträchtliche Unterschiede auf landwirtschaftlichen Flächen. In intensiv bewirtschafteten Äckern finden sich so gut wie keine Regenwürmer, auf ökologisch betriebenen Flächen dafür umso mehr. Überall dort, wo der Boden gedüngt, gespritzt, gepflügt, verdichtet ist, fühlt der Wurm sich nicht wohl.

So sieht es aus, wenn der Plattwurm Obama nungara aus Südamerika einen heimischen Regenwurm frisst. Die eingeschleppte Art verflüssigt ihre Beute mit einem Enzymbrei.
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Ein Plattwurm aus Südamerika bedroht die heimische Art

Ungemach droht dem Regenwurm aber von noch ganz anderer Stelle. Seit fast drei Jahren tritt hierzulande eine fleischfressende invasive Art auf, der Plattwurm Obama nungara aus Südamerika. Er ist nur vier bis sieben Zentimeter lang, doch er frisst die hier heimischen Regenwürmer, Schnecken und anderes Getier und verflüssigt seine Beute mit einem Enzymbrei.

Der Plattwurm hat hierzulande keine natürlichen Feinde. Er beeinträchtigt Ökosystemleistungen wie Bodenqualität und wird von den Behörden deshalb als problematisch eingestuft. Da der Plattwurm erst vor kurzem in Europa aufgetaucht sei, wisse man zudem noch wenig über seine Ausbreitung und Bekämpfung, heisst es in einem Informationspapier des Kantons Zürich.

Über Topf- und Gartenpflanzen breitet er sich in der Schweiz aus, in Südfrankreich bereitet der Plattwurm schon länger Probleme. Noch halten sich die Meldungen allerdings in Grenzen, das ist immerhin eine gute Nachricht für den Regenwurm. Ein schleimiger Eindringling, der ihn zu Brei verflüssigt, ist wirklich das Letzte, was er jetzt gebrauchen kann.