Dies & Das: Forstwirt Thoma: „Können von der Natur lernen, wie man Krisen gut übersteht“

KLIMASCHUTZ

Forstwirt Thoma: „Können von der Natur lernen, wie man Krisen gut übersteht“

Der Wald dient Erwin Thoma nicht nur als Bezugsquelle für seine Massivhäuser. Für ihn steckt in den Bäumen auch der Schlüssel, um die Erderwärmung zu stoppen.

INTERVIEW Günther Strobl 

26. August 2019

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Was für die Wirtschaft der Geldstrom, ist für den Wald der Saftstrom. Beginnt dieser zu versiegen, gibt es da wie dort eine Krise. Das System Wald gehe mit Krisen wesentlich besser um als der Mensch, sagt der Forst- und Betriebswirt Erwin Thoma.
Foto: jan ludwig

Erwin Thoma fährt gern und häufig Zug, nicht nur, aber auch aus Klimaschutzgründen. Der Zustand des Waldes mache ihm keine Sorgen, die Zukunft der Menschheit schon eher, sagt er bei einem Besuch der Redaktion.

STANDARD: Vor lauter Bäumen sieht man oft den Wald nicht. Ist es das, was uns gerade passiert?

Thoma: Im Hinblick auf den Klimawandel verlieren wir uns in Details, statt das große Ganze zu sehen. Beispiel Elektroauto. Es ist sicher gut, darüber nachzudenken, wie man den CO2-Ausstoß verringern kann. Aber zu sagen, wenn man die Autoflotte austauscht, kann man das Klima retten, ist Humbug. Von den 40 Milliarden Tonnen CO2, die die Menschheit pro Jahr emittiert, stammt nicht einmal ein Prozent vom Pkw.

STANDARD: Ein Placebo, das verhindert, dass wir ernsthaft über Lösungen nachdenken?

Thoma: Erstens das, zweitens habe ich den Verdacht, dass so eine Detaildebatte manchen auch nützt. Wenn Autos, die funktionieren, weggeschmissen und durch neue ersetzt werden, belastet das die Umwelt. Für den, der das Auto produziert, ist es ein Geschäft.

STANDARD: Wie kommt man aus dieser Sackgasse?

Thoma: Albert Einstein soll einmal gesagt haben, dass man ein Problem nie in dem System lösen kann, in dem es entstanden ist. Solange wir uns im selben System bewegen und darin Lösungen suchen, haben wir schlechte Karten. Was mir hilft, ist der Blick in den Wald.

STANDARD: Was sehen Sie dort?

Thoma: Beziehungen, die meistens sehr geglückt sind. Und zwar zwischen allen Teilnehmern des Ökosystems, nicht nur Pflanzen und Bäumen, auch den Milliarden und Abermilliarden an Bodenlebewesen und der Insektenwelt.

STANDARD: Heißt was?

Thoma: Dass nur Kooperation zum Ziel führt. Die Bäume beispielsweise produzieren mittels Fotosynthese Zucker und füttern damit die Bodenlebewesen. Dafür holen diese für die Bäume wiederum Nährstoffe aus dem Humus.

Ob Zeder, Fichte oder Buche: Der sichtbare Teil eines Baums ist in der regel kleiner als der unsichtbare Teil. Unter der Humusschicht sind die Bäume darüber hinaus bestens miteinander vernetzt.
Foto: afp

STANDARD: Kooperation pur also?

Thoma: Je intensiver und länger man hinschaut, desto mehr kommt man auf einen unglaublichen Irrtum: Wir Menschen haben aus verschiedenen kulturellen Gründen ein Bild von der Natur in uns, das grausam ist, von einer Natur, in der nur die Rücksichtslosesten durchkommen.

STANDARD: Beinharte Selektion?

Thoma: Das ist die größte Fehlinformation, die es gibt. Natürlich gibt es Fressen und Gefressenwerden, aber die wirklich Erfolgreichen im System Wald sind die, die am besten zusammenarbeiten.

STANDARD: Aber jeder Baum strebt doch mit Kraft zur Sonne.

Thoma: Wenn Samenkörner zur Erde fallen, dann immer in großer Fülle. Nicht aus jedem wird ein Baum, es gibt Wettbewerb. Aber, und das ist der Unterschied zu den Menschen: Sobald der Baum seine Existenz gesichert hat, verändert er sein Sozialverhalten total.

STANDARD: In welcher Hinsicht?

Thoma: Sobald die Existenz gesichert ist, wird der Wettbewerb eingestellt: Der Baum verwendet seine Energie zugunsten des Gesamtsystems.

STANDARD: Völlig anders, als es in der Welt der Wirtschaft üblich ist?

Thoma: Nachdem ich als Unternehmer die ersten zehn Jahre überlebt habe, sagten Berater, ich sollte Wettbewerber ausschalten, so bekäme ich einen größeren Markt. Wenn es mir gelänge, zehn auszuschalten, könnte ich die Region beherrschen, irgendwann vielleicht das ganze Land.

STANDARD: Das steht auch in Wirtschaftslehrbüchern.

Thoma: In der Natur ist so etwas unbekannt, weil schädlich. Es würde zur Zerstörung desjenigen führen, der so etwas macht. Wenn Bäume Trockenheit erleben, ist das lebensbedrohlich für sie, so wie wenn einem Unternehmen das Geld ausgeht. Wird der Saft knapp, gehen biochemische Informationsimpulse von Baum zu Baum. Das ist so, als ob ich meine Kontostände offenlegen und die Informationen via Internet weitergegeben würden. Bei den Bäumen passiert in dem Fall Erstaunliches. Sie verengen die Spaltöffnungen, hören auf zu wachsen und sagen im übertragenen Sinn: Runter vom Gas, wir sparen jetzt gemeinsam, um die Krise durchzustehen. Dieser evolutionäre Prozess der Bäume dauert schon 500 Millionen Jahre und damit hundert Mal länger als der des Homo sapiens.

STANDARD: Einiges haben wir von der Natur übernommen, etwa im Flugzeugbau oder in der Medizintechnik. Warum nicht mehr?

Thoma: Das war das Hauptmotiv für mich, das Buch über Strategien der Natur zu schreiben. Wir können von der Natur nicht nur lernen, wie man eine Autokarosserie bei gleichem Leistungsvermögen 20 Prozent leichter macht, sondern auch, wie wir gesellschaftliche oder kulturelle Krisen besser überstehen können. Mit einem unbegrenzten Wachstumsdenken, das wir heute in der Wirtschaft leben, werden wir jedenfalls nicht durchkommen.

Erwin Thoma: „Strategien der Natur“, Benevento-Verlag 2019, 224 Seiten, bei heyn.at.
Foto: benevento

STANDARD: Müssen wir uns mit weniger begnügen?

Thoma: Das Leben ist keine Veranstaltung des Mangels. Ein Kirschbaum folgt auch nicht der McKinsey-Theorie und macht so wenig Blüten wie nötig, um sein Ziel zu erreichen. Er macht so viel Blüten, wie nur geht, damit alle anderen Lebewesen die Party mitfeiern können. Er scheint zu wissen: Wenn es allen anderen, die mit ihm zu tun haben, gutgeht, geht es ihm noch besser, weil die anderen auf ihn schauen. Wir sollten unsere verlorengegangene Bindung zum Leben neu entdecken. Wenn der Großvater mit einfachem Werkzeug ein Haus gebaut hat, dann hat er etwas wirklich Wertvolles geschaffen. Wenn man so ein Haus heute abreißt, bekommt man für das Material doppelt so viel wie für neues Holz.

STANDARD: Wie gelagerter Wein?

Thoma: Genau. Wenn ich hingegen ein Haus aus den 1970er-, 1980er- oder 1990er-Jahren abreiße, habe ich eine schwere Hypothek, muss 50.0000, 60.000 oder 100.000 Euro für Sondermülldeponien zahlen.

STANDARD: Holz mag gut sein – aber lässt sich damit auch in großem Stil in der Stadt bauen?

Thoma: Selbstverständlich. Die Stadt muss werden wie der Wald, eine Rohstoffreserve. So kann die nächste Generation bereits die Hälfte des benötigten Materials aus dem Rückbau gewinnen und muss es nicht aus dem Wald holen. Holz ist thermisch träge, Vollholz braucht zum Auskühlen vier- bis fünfmal länger als Beton, speichert aber in absoluter Menge pro Kubikmeter gleich viel Kalorien.

STANDARD: Besteht nicht die Gefahr, dass zu viel Wald draufgeht?

Thoma: Im Gegenteil, in Österreich wird der Wald jedes Jahr um rund 5500 Fußballfelder größer, und Österreich ist ziemlich repräsentativ für die gesamte Nordhalbkugel. In absoluten Zahlen haben wir derzeit überraschenderweise die größten Waldzuwächse pro Jahr in China, wo die Regierung ein Riesenaufforstungsprogramm gestartet hat. Die großen Verluste gibt es im afrikanischen Regenwald und in Brasilien, dort besonders angeheizt durch die neue Regierung.

STANDARD: Und die Brandgefahr?

Thoma: Ein Skelettbau, der dünn und von Luft umgeben ist, so etwas ist wirklich gefährlich und hat in einer Stadt auch nichts verloren. Wenn man ein Holzhaus in Massivbauweise gestaltet, passiert dasselbe, wie wenn man auf einen Scheiterhaufen einen Riesenklotz drauflegt. Da geht das Feuer aus, weil ein großer Klotz nur verkohlen kann.

STANDARD: Was verhindert den Durchbruch von Holz dann noch?

Thoma: Das Problem ist, dass die Kosten nicht über den Lebenszyklus betrachtet, sondern nur die Errichtungskosten miteinander verglichen werden. Das ist im Übrigen auch sozial ein Wahnsinn: möglichst billig bauen und dann die hohen Betriebskosten auf die Schwächsten abwälzen. Über den Lebenszyklus hinweg betrachtet ist Holz als Baustoff in jedem Fall wirtschaftlich und leistbar. (Günther Strobl, 26.8.2019)

Erwin Thoma (57) ist Forst- und Betriebswirt. 1985 übernahm der gebürtige Pinzgauer als jüngster Förster Österreichs ein abgeschiedenes Revier im Tiroler Karwendel, hörte in den Wald hinein, wurde Unternehmer. In der 1998 patentierten leimfreien Vollholzbauweise Holz 100 sind bisher mehr als 1.000 Holzbauten in gut 30 Ländern entstanden. Für das Filmarchiv Austria baute Thoma den ersten energieautarken Archivbau, der ganzjährig konstant auf zwei Grad Celsius temperiert ist. Thoma lebt mit Frau und drei Kindern in Goldegg im Pinzgau.

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