Dies & Das: Die Gletscherehe – Tourismus in seiner zerstörerischen Form

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Die Gletscherehe – Tourismus in seiner zerstörerischen Form

Die wahren Probleme mit dem alpinen Massentourismus gingen hinter der Falschmeldung über die Sprengung eines Tiroler Berggipfels unter.

Steffen Arora – 9. November 2019

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Das Projekt des Anstoßes: Die Gletscherskigebiete des Ötz- und Pitztales sollen durch den Bau neuer Pisten und Seilbahnen verbunden werden.
Foto: Bergbahnen Sölden / ILF

Es geht um die Zukunft. Darin sind sich Gegner wie Befürworter des Zusammenschlusses der Gletscherskigebiete im Ötz- und Pitztal einig. Doch wie diese Zukunft aussehen soll, daran spießt es sich.

Für die einen liegt sie im Wachstum um jeden Preis, selbst wenn man dafür sprichwörtlich Berge versetzen muss. Die anderen wollen den verbliebenen unberührten Naturraum bewahren, um darauf aufzubauen.

In den Seitentälern Tirols gilt der Tourismus als alternativlos. Im Ötz-, Stubai- und Zillertal sowie dem Paznaun setzt man seit Jahrzehnten darauf. Aus ärmlichen Bergbauerndörfern wurden Tourismushochburgen. Die 3.000-Einwohner-Gemeinde Sölden liegt mit mehr als zwei Millionen Nächtigungen während der Wintersaison auf Platz zwei hinter Wien, das auf 7,8 Millionen kommt.

Diese Zahlen seien das Ergebnis harter Arbeit und nur zu halten, wenn man sich stetig weiterentwickle, begründen die Söldener Bergbahnen die Forderung nach der sogenannten Gletscherehe mit dem Pitztal. „Das ist die Riesenchance, ein Traumangebot für unsere Gäste zu schaffen“, erklärt Geschäftsführer Jakob Falkner. Seine Logik schreie danach.

Gewinner und Verlierer

Auf der anderen Seite der Berge liegt das Pitztal – die strukturschwächste Region Tirols. Auch hier setzt man seit Beginn der 1980er-Jahre auf den Wintertourismus. Nachdem die Ötztaler in den 1970ern ihre Gletscher für Skifahrer erschlossen hatten, argumentierte man im Pitztal damit, es ihnen gleichtun zu müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Doch genau das ist passiert, obwohl man seit 1983 ebenfalls ein Gletscherskigebiet im Portfolio hat. Statt des erhofften Aufschwungs brachte die Erschließung den Niedergang des bis dahin funktionierenden Sommertourismus im Pitztal. Denn die wilde, unberührte Natur, mit der man punktete, wurde geopfert.

Aufgrund der beengten Verhältnisse im hinteren Pitztal, wo nur 3,4 Prozent der Fläche Siedlungsraum sind, konnte man nicht mit der Konkurrenz in den breiteren Nachbartälern mithalten.

In St. Leonhard, der letzten Gemeinde im Talschluss, fürchtet man mittlerweile, auszusterben. Die Einwohnerzahl ist auf einen historischen Tiefststand gesunken, sagt Bürgermeister Elmar Haid. „Nur die Gletscherehe kann diese Entwicklung stoppen“, glaubt er.

Abwanderung der Einheimischen

Doch die Hoffnung ist trügerisch, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt. Sölden hat in den vergangenen zehn Jahren fast ein Viertel seiner Einwohner verloren. Und 20 Prozent jener, die noch dort leben, sind Ausländer. Auch in den anderen Tourismushochburgen Tirols stagniert die Bevölkerungszahl bestenfalls, in den meisten ist sie rückläufig.

Ein Trend, der nicht nur in heimischen Skiorten zu beobachten ist, wie der international anerkannte Experte für die Entwicklung der Alpen, Werner Bätzing, erklärt: „Denn es ist ein zerstörerischer Tourismus, von dem nur ganz wenige profitieren.“ Einheimischen wird das steigende Preisniveau zum Verhängnis. Sie wandern ab.

Bätzing hat schon vor 20 Jahren die Entwicklung im Pitztal beobachtet und zum Umdenken aufgerufen: „Nur ein dezentraler, umwelt- und sozialverträglicher Tourismus kann Erfolg bringen.“ Weiterer Ausbau am Gletscher helfe den Menschen im Tal wenig. Profitieren würden davon nur die Ötztaler, die ihren Gästen mehr Pistenkilometer bieten könnten, sowie der Betreiber der Pitztaler Gletscherbahn, Hans Rubatscher.

Sein Unternehmen ist mit rund 100 Angestellten das größte in St. Leonhard. Die Kommunalsteuer, die er abführt, macht etwa sieben Prozent des Gemeindebudgets, der zu 60 Prozent verschuldeten Kommune aus.

Neben jenem im Pitztal betreibt Rubatscher auch das Skigebiet am Kaunertaler Gletscher. Er lebt nicht im Pitztal, er macht hier nur Geschäfte. Mit 95 Prozent würde Rubatschers Firma den Löwenanteil der rund 130 Millionen Euro Investitionssumme für die Verbindung der Gletscherskigebiete stemmen.

Unangetastete Gletscher

In den Projektunterlagen räumen die Betreiber zwar selbst ein, dass diese Gletscher 2050 nicht mehr existieren werden. Doch bis dahin rechne sich die Investition für sie. Die Pitztaler werden dann mit den Folgen leben müssen.

Die Seilbahner behaupten, die Politik habe ihnen den Ausbau am Gletscher zugesagt. Wahr ist vielmehr, dass Tirol nach dem exzessiven Skigebietsausbau in den 1980ern die Reißleine gezogen hat. Vor allem die noch unversehrten Gletscherflächen sollten unangetastet bleiben.

Zehn Jahre lang hielt die Politik dem Druck des Tourismus stand. Dann knickte die Tiroler Volkspartei ein. 2006 weichte sie den Schutz auf, indem man eine Option für weiteren Ausbau mancher Gletscher schuf.

Genau die will man im Ötz- und Pitztal nun in der Maximalvariante ausnutzen. Die Entscheidung darüber wird beim Bundesverwaltungsgericht fallen. Die Politik hat im Umweltverfahren kein Mitspracherecht mehr. (Steffen Arora, 9.11.2019)

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