Dies & Das: Nach Pisa – Expertin fordert Unterrichtsfach Science und neue Prüfungskultur

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ABWÄRTSTREND – Pisa

Lisa Nimmervoll 

4. Dezember 2019

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Nach Pisa – Expertin fordert Unterrichtsfach Science und neue Prüfungskultur

Christa Koenne erklärt, warum Österreich in Naturwissenschaften immer schlechter wird und was dagegen getan werden sollte

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Foto: Getty Images/iStockphoto

Wien – In allen drei Schwerpunktfeldern im Mittelfeld, aber neben gleichbleibenden Trends beim Lesen und in Mathematik zeigte die neue Pisa-Studie für Österreich in Naturwissenschaften auch einen signifikanten Abwärtstrend. Wie das? Was sind die Gründe dafür?

Bildungsexpertin Christa Koenne, die Leiterin der Pisa-Science-Gruppe Österreich war und viele Jahre Mathematik, Chemie und Physik an einer AHS unterrichtete, nennt einen atmosphärischen und einen inhaltlichen Grund.

Lehrer mögen Pisa nicht

Wien – In allen drei Schwerpunktfeldern im Mittelfeld, aber neben gleichbleibenden Trends beim Lesen und in Mathematik zeigte die neue Pisa-Studie für Österreich in Naturwissenschaften auch einen signifikanten Abwärtstrend. Wie das? Was sind die Gründe dafür?

Bildungsexpertin Christa Koenne, die Leiterin der Pisa-Science-Gruppe Österreich war und viele Jahre Mathematik, Chemie und Physik an einer AHS unterrichtete, nennt einen atmosphärischen und einen inhaltlichen Grund.

Lehrer mögen Pisa nicht

„Unsere Lehrer mögen Pisa nicht. Sie mögen Prüfungen von außen nicht, weil sie sich mitgeprüft fühlen, und weil sie selbst so viel prüfen müssen in unserem Schulsystem, wissen sie um die Grenzen von Prüfungen. Daher motivieren sie die Schüler nicht“, sagt Koenne zum STANDARD. Anders als in Finnland, wo die Direktorinnen in die Klassen gehen und sagen: „Strengt euch an, das ist wichtig“, erzählt die ehemalige Direktorin einer AHS in Wien.

Problematischer und besonders wirkungsvoll ist jedoch der zweite Aspekt, den Koenne ins Treffen führt: „Wir prüfen in naturwissenschaftlichen Fächern anders. Die Komplexität der Fragestellung ist bei Pisa viel höher als bei uns.“ Während hierzulande mitunter sogar mit Ja-oder-Nein-Fragen gearbeitet werde, „stellt Pisa die Fragestellungen in einen Kontext“.

Drei Fächer getrennt unterrichtet

Und sie betont: „Wir unterrichten nicht Science. Wir haben das in drei Fächer gesplittet: Biologie, Physik und Chemie. Pisa prüft den Überblick über diese Fächer, die unsere Schüler getrennt lernen. Diese müssen unsere Kinder dann bei der Pisa-Studie zusammenbringen.“ Und damit tun sie sich schwer, weil sie im Unterricht keinen zusammenhängenden Überblick gelehrt bekommen.

Koenne plädiert für ein neues Fach „Science“, in dem die drei naturwissenschaftlichen Fächer gebündelt werden. Aus bildungstheoretischer Sicht müsse Schule heute Kindern „stärker Welterklärungsmuster mitgeben, damit sie sich entscheiden können, in welchem Bereich sie eher naturwissenschaftliche oder wirtschafts- oder sozialwissenschaftliche Expertise heranziehen wollen, um für sich etwas einzuordnen“, sagt Koenne. „Junge Menschen müssen heute viel mehr und komplexere Entscheidungen treffen. Dazu müssen sie wissen, welches Wissen jeweils relevant ist.“

Macht euch locker

Der zweite Ansatz, den Koenne empfiehlt, sind geänderte „Prüfungsmodalitäten“ oder, wie sie sagt, „Lockerungsübungen im Hinblick auf Prüfungen“. Im österreichischen Schulsystem werde „ständig geprüft, und das ist nicht gut“ – und zwar für Schüler und Lehrer: „Wenn ich immer geprüft werde, verliere ich den Mut, Fragen zu stellen, und wenn ich dauernd prüfen und irgendetwas protokollieren muss, nimmt das den Fokus vom eigentlichen Auftrag: bestmöglich zu unterrichten.“

Heilsamer Prüfungsschock

Lehrerinnen und Lehrer sollten auch „mehr miteinander darüber verhandeln, was sie da überhaupt prüfen“. Koenne hat dazu an der AHS Geringergasse, deren Leiterin sie bis 2006 war, ein Experiment gewagt. Sie wollte herausfinden, „ob unsere Lehrer auch das können, was wir von den Schülern erwarten“, und ließ sie einen Chemietest machen, den zuvor 14-Jährige bestehen mussten: „Es war ein Schock.“ So etwas könne heilsam sein, meint Koenne.

Unabhängig vom Vergleichsmaßstab Pisa solle Österreich für sich selbst einmal klären, was Kinder am Ende der Schulpflicht können müssen, und das in einem „Grundbildungszertifikat“ verankern, fordert Koenne. (Lisa Nimmervoll, 5.12.2019)

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