Dies & Das: Causa Wiesinger: Wo wirklich Handlungsbedarf besteht

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BARBARA HERZOG-PUNZENBERGER 22. Jänner 2020

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Causa Wiesinger: Wo wirklich Handlungsbedarf besteht

Schulpolitik sollte nicht von kurzfristiger Aufmerksamkeitsheischerei getrieben sein. Es braucht mehr Lehrkräfte für die Migrationsgesellschaft

Im Gastkommentar bedauert die Bildungsexpertin Barbara Herzog-Punzenberger, dass die Schulpolitik ein Spielfeld der Parteipolitik ist. Sie wünscht sich eine Rückbesinnung auf wissenschaftliche Expertise.

Sorgt nach dem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ nun auch mit „Machtkampf im Ministerium“ für Aufsehen: Susanne Wiesinger.
Foto: Heribert Corn

Susanne Wiesinger ist mutig. Das ist keine Frage. Sie hat auch kompetente und finanzkräftige Unterstützung durch den Red-Bull-Buchverlag und die Co-Autorenschaft, was den Nimbus des Aufdeckertums betrifft. Sie spricht aktuelle Themen an und nutzt Alarmismus, um diese Themen in das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Die nüchterne Erfahrung in der Mediokratie, also der Demokratie, die von der medialen Öffentlichkeit regiert wird, ist, dass der Mechanismus der gnadenlosen Übertreibung und Angstmache die meiste Aufmerksamkeit und folglich Reaktion aus der Politik erzielt.

Mit der Aussage, dass nach wie vor Parteipolitik die Schule regiert, hat sie ins Schwarze getroffen. Bildungsminister Heinz Faßmann sagte dasselbe, bloß auf andere Art und Weise.

Als ein Journalist fragte, warum an der Benotung ab der zweiten Volksschulklasse festgehalten werde, wo es doch auch aus der Wissenschaft gegenteilige Befunde gäbe, sagte er, dass sich die Wissenschaft nicht überall einmischen solle, da dem politischen Handeln auch noch Platz gelassen werden müsse.

Parteipolitisches Spielfeld

Schulpolitik muss in Österreich also Spielfeld der Parteipolitik bleiben, weil es zu den markantesten Abgrenzungsfeldern der politischen Parteien gehört – mit langer Tradition. Daher frühestmögliche Auslese, Benotung und Trennung für die konservative Reichshälfte, die vielleicht selbst noch immer glaubt, dass dadurch Leistungswille und Spitzenleistungen gefördert werden. Internationale Datenanalysen zeigen zwar das Gegenteil, auch wenn man einräumen muss, dass es im deutschsprachigen Raum einige versprengte Wissenschafterinnen und Wissenschafter gibt, die diese Vorgangsweise unterstützen. Sobald man sich aber in andere Länder und Schulsysteme begibt, in denen höhere Anteile an Spitzenschülerinnen und -schülern und höhere Durchschnittswerte sowie geringere Anteile an Risikoschülerinnen und -schülern erreicht werden, sieht man, dass die Grundschule mindestens sechs, wenn nicht acht oder neun Jahre dauert und dort oftmals keine Noten vergeben werden.

Auch ÖVP-Klubchef August Wöginger konnte keine Antwort auf die wiederholten Fragen von Journalistinnen und Journalisten geben, warum denn das Kopftuchverbot 13-jährigen Mädchen in der Schule mehr Chancen einräume. Seine klare Antwort war: die Wählerinnen und Wähler haben die ÖVP aufgrund bestimmter Positionen gewählt, deshalb müsse man diese Wahlversprechen umsetzen. Ob dies nun längerfristig zu einer Verbesserung der Situation hinsichtlich des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse führt, oder die Entwicklung der Mädchen dadurch tatsächlich verbessert wird, ist seine Sorge nicht.

Kalte Füße

Symptomatisch für die Ignoranz und das mangelnde Vertrauen in die Wissenschaft – Österreich befindet sich hier im EU-Vergleich an zweitletzter Stelle – ist der Umgang mit wissenschaftlichen Analysen und Handlungsvorschlägen, die nicht von kurzfristiger Aufmerksamkeitsheischerei getrieben sind.

Eine Reihe von sieben Policy Briefs zu zentralen Fragen im Themenfeld der Migration und Mehrsprachigkeit in der österreichischen Schule wurde 2017 mit Unterstützung der Arbeiterkammer, Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer, Caritas, Rotem Kreuz, Arbeitersamariterbund und Gewerkschaft präsentiert. Ebenso hatte sich diese breite Palette an wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammengefunden, um gemeinsame Handlungsempfehlungen zu präsentieren. Sie fand eine einmalige Erwähnung in manchen Tageszeitungen, wurde aber sonst medial ignoriert. Es kam zu keinen öffentlichkeitswirksamen Diskussionen, denn die Regierungsbildung von Türkis-Blau stand vor der Tür und einige Proponentinnen und Proponenten hatten kalte Füße bekommen. Nichtsdestotrotz wurde die Reihe von Fachkräften dankend aufgenommen.

Mehr Lehrende

Was aber 2020 zu Erstaunen führen sollte, ist, dass das Themenfeld auch in der „PädagogInnenbildung neu“ dem „Schrebergartenverein“ der Fachspezialistinnen und -spezialisten exklusiv erhalten blieb. Man konnte sich nicht durchringen, verpflichtende Lehrveranstaltungen für pädagogische Professionalität in der Migrationsgesellschaft für alle Lehramtsstudierenden einzurichten. Einerseits sollte es ohnehin in Zukunft einige Inklusionsspezialistinnen und -spezialisten (an jeder Schule?) geben, die alle Arten von Behinderungen, Genderfragen, sozio-ökonomische Ungleichheit, sprachliche, religiöse, kulturelle, sexuelle Vielfalt und vieles mehr abdecken und andererseits gäbe es ja nicht überall Probleme mit diesen Fragen. So die Haltung an vielen Standorten.

Dahinter lässt sich mindestens zweierlei ausmachen: erstens mangelndes Wissen über den Korpus an Kompetenzen, die pädagogische Professionalität in einer Migrationsgesellschaft ausmacht, zweitens schlicht und einfach der Mangel an Lehrenden, die diese Kompetenzen auch vermitteln könnten.

Der politische Handlungsbedarf besteht also nicht so sehr in Burka- und Kopftuchverbot, sondern an anderer Stelle, nämlich in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Der erzielte Budgetüberschuss sollte auch den Handlungsspielraum für diese Regierung eröffnen, geeignetes Personal einzustellen, entsprechende Curricula und Lehrmaterialien entwickeln zu lassen und die koordinierte Professionalisierung an den Institutionen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung in diesem Bereich gründlich zu unterstützen. Dass mit dem Regierungsprogramm hier einige Weichen gestellt wurden, die mit geeigneten Inhalten und Prozessen versehen, in die richtige Richtung führen könnten, nährt meine Hoffnung, dass eine Rückbesinnung auf wissenschaftliche Expertise auf der Tagesordnung steht. (Barbara Herzog-Punzenberger, 22.1.2020)

Barbara Herzog-Punzenberger ist Professorin für Schulpädagogik und allgemeine Didaktik am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung an der Universität Innsbruck sowie Mitglied des Forschungszentrums Migration und Globalisierung.

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