Dies & Das: Mehr und extremere Hitzetage, lange Trockenperioden

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Christian Speicher

13.11.2018

Mehr und extremere Hitzetage, lange Trockenperioden: Die neuen Klimaszenarien zeigen, was auf die Schweiz zukommt und wie sie sich dagegen wappnen kann

Bis zu 5,4 Grad wärmer könnte es im schlimmsten Fall bis 2085 in der Schweiz werden, wenn keine Klimaschutzmassnahmen ergriffen werden. Neue Daten sollen helfen, auf konkrete Regionen zugeschnittene Anpassungsstrategien zu entwickeln.

Hitze- und Trockenperioden wie im laufenden Jahr dürften künftig häufiger auftreten. Das Bild zeigt den ausgetrockneten Lac des Brenets im Kanton Neuenburg an der Grenze zu Frankreich. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Der Hitzesommer 2018 hat es deutlich gemacht: Bei der Anpassung an den Klimawandel besteht noch Handlungsbedarf. Das tangiert nicht nur die Land- und die Forstwirtschaft, die in diesem Sommer besonders stark von der Hitze und der Trockenheit betroffen waren. Auch Energieversorger, Landschaftsplaner, Architekten und der Tourismus müssen der Tatsache ins Auge blicken, dass sich die klimatischen Bedingungen in der Schweiz rascher verändern als im globalen Mittel. Worauf man sich konkret einzustellen hat, zeigt ein vom Bund in Auftrag gegebener Bericht, den Forscher am Dienstag an der ETH Zürich vorgestellt haben. Die Klimaszenarien CH 2018 sind wesentlich genauer als ein erster Bericht aus dem Jahr 2011. Sie stellen deshalb ein wichtiges Instrument für den Bundesrat dar, seine Strategie zur Anpassung an den Klimawandel weiterzuentwickeln.

Regionale statt globale Prognosen

Seit dem Beginn der Industrialisierung hat sich die bodennahe Luft in der Schweiz um zwei Grad erwärmt. Damit ist die Erwärmung gut doppelt so gross wie im globalen Mittel. Wenn man also Prognosen darüber machen will, mit welchen klimatischen Veränderungen in der Schweiz bis zum Ende des Jahrhunderts zu rechnen ist, sind die globalen Projektionen des Weltklimarates nur bedingt hilfreich. Was es braucht, sind Prognosen, die den besonderen geografischen Verhältnissen des Alpenlandes Rechnung tragen.

Für die Klimaszenarien CH 2018 hat sich Meteo Schweiz mit Forschern der ETH Zürich und der Universität Bern zusammengetan und die globalen Klimamodelle durch regionale ergänzt. Dank der hohen räumlichen Auflösung der Computersimulationen lassen sich nicht nur Aussagen über die Schweiz als Ganzes machen. Es können sogar regionalspezifische Prognosen für fünf verschiedene Landesteile gemacht werden.

Wie sich die Schweiz erwärmt, hängt stark vom Klimaschutz ab

Schweizer Jahresmitteltemperatur (Abweichung von der Normperiode 1981–2010)

Quelle: Center for Climate Systems Modeling (C2SM).
NZZ / cke.

Worauf sich die Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft einzustellen haben, hängt massgeblich davon ab, wie sich die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden. Geht man vom ungünstigsten Fall aus, nämlich von einer ungebremsten Zunahme der Emissionen, muss man laut dem Bericht bis zum Jahr 2060 mit einer Erwärmung von 2 bis 3,3 Grad gegenüber dem Vergleichszeitraum von 1981 bis 2010 rechnen. In den Sommermonaten ist der erwartete Anstieg sogar noch grösser. Bis 2085 wäre übers Jahr gemittelt sogar eine Erwärmung von 3,3 bis 5,4 Grad wahrscheinlich.

Sogar mit Klimaschutz steigt die Sommertemperatur um mindestens 1 Grad

Anstieg der mittleren Sommertemperatur bis 2060, in Grad Celsius

Möglicher Bereich der Veränderungen gegenüber der Periode 1981–2010. Schweizweit typische 30-Jahre-Mittelwerte. Temperaturänderungen sind auf 0,5 Grad genau.
Quelle: Meteo Schweiz, ETH Zürich, Center for Climate Systems Modeling (C2SM)
NZZ / koa.

Ohne Klimaschutz steigen aber nicht nur die durchschnittlichen Temperaturen. Es wird im Sommer auch mehr und extremere Hitzetage geben. So könnte der wärmste Tag des Jahres bis Mitte des Jahrhunderts um 2 bis 5,5 Grad heisser sein als im Vergleichszeitraum. Und anders als heute dürfte es nicht nur einmal im Jahr überdurchschnittlich heiss werden, sondern im Schnitt 4 bis 18 Mal. Längere Hitzeperioden wie in diesem Sommer könnten also bald schon typisch sein.

Anzahl der sehr heissen Tage* wird ansteigen

Zunahme der sehr heissen Tage bis 2060

*Sehr heisser Tag: 1 Prozent der heissesten Tage von 1981 bis 2019. / Möglicher Bereich der Veränderungen gegenüber der Periode 1981–2010. Schweizweit typische 30-Jahre-Mittelwerte. Niederschlagsänderungen sind auf 5 Prozent genau angegeben.
Quelle: Meteoschweiz, ETH Zürich, Center for Climate Systems Modeling (C2SM)
NZZ / koa.

Auch lange Trockenperioden dürften schon bald an der Tagesordnung sein. So zeigen die Simulationen, dass die Sommerniederschläge bis 2060 tendenziell abnehmen. Zwar wird an einem durchschnittlichen Regentag ähnlich viel Regen fallen wie heute. Es gibt aber mehr Tage ohne Regen. Deshalb könnte die längste Trockenperiode im Schnitt bis zu neun Tage länger dauern als heute. Wenn der Regen aber einmal kommt, dann heftig. Laut den neuen Klimaszenarien dürften die Tage mit den stärksten Niederschlägen bis Mitte des Jahrhunderts zehn Prozent mehr Regen bringen. Und auch die sogenannten Jahrhundertereignisse verstärken sich.

Die Menge des Sommerniederschlags ist sehr variabel

Zu- und Abnahme des Sommerniederschlags bis 2060, in Millimetern

Möglicher Bereich der Veränderungen gegenüber der Periode 1981–2010. Schweizweit typische 30-Jahre-Mittelwerte. Niederschlagsänderungen sind auf 5 Prozent genau angegeben.
Quelle: Meteoschweiz, ETH Zürich, Center for Climate Systems Modeling (C2SM)
NZZ / koa.

Das sind besorgniserregende Aussichten. Die gute Nachricht der Klimaszenarien CH 2018 ist, dass sich bis Mitte des Jahrhunderts rund die Hälfte der negativen Folgen vermeiden liesse, wenn man die Treibhausgasemissionen im Einklang mit den ehrgeizigen Klimazielen von Paris senken würde. In diesem Fall wäre bis 2060 in der Schweiz nur mit einem Temperaturanstieg von 0,7 bis 1,9 Grad gegenüber dem Vergleichszeitraum zu rechnen. Danach würde sich die Temperatur mehr oder weniger stabilisieren. Auch bei den anderen Klimaindikatoren liessen sich die drastischsten Folgen eindämmen, wenn man die Treibhausgasemissionen konsequent zurückfahren würde.

Ein Planungsinstrument für alle

Qualitativ seien diese Aussagen nicht neu, sagt der Klimaforscher Reto Knutti von der ETH Zürich, einer der Autoren der Studie. Im Vergleich zu den Klimaszenarien aus dem Jahr 2011 könne man jetzt aber viel genauer quantifizieren, mit welchen Folgen in der Schweiz zu rechnen sei. Knutti hofft deshalb, dass sich die Klimaszenarien in Zukunft zu einem wichtigen Instrument für Behörden, Politik und Wirtschaft entwickeln. So wie man heute ganz selbstverständlich eine Wetter-App konsultiere, bevor man einen Ausflug plane, werde man in Zukunft für diverse Planungsaufgaben auf die zur Verfügung gestellten Klimadaten zurückgreifen. Ein Architekt, der ein hochwassersicheres Haus im Mittelland oder in der Südschweiz bauen wolle, finde hier alle Informationen, die er zur Planung brauche.

Damit die Klimainformationen auch tatsächlich den Weg zum Anwender fänden, habe man besonderen Wert auf Nutzerfreundlichkeit gelegt, sagt der Projektleiter Andreas Fischer von Meteo Schweiz. Man habe eine ganze Palette von Produkten entwickelt. Neben dem eigentlichen Bericht, der sich vor allem an Wissenschafter richte, habe man eine Website eingerichtet, auf der die umfangreichen Daten benutzergerecht aufbereitet würden. Unter anderem geschehe das in Form eines Web-Atlas, wo der Nutzer selbst den Landesteil, den Klimaindikator oder andere Parameter wählen könne. Jeder Anwender solle so Antworten auf seine spezifischen Fragen finden. Diese Praxisrelevanz sei enorm wichtig, so Fischer. Denn nur so könnten die Klimaszenarien Eingang in Prozesse politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen finden.