Dies & Das: Kardinal Schönborn: „Rom lebt heute nicht mehr hinterm Mond“

Christoph Schönborn sieht keine Mitschuld in der Causa Bischof Schwarz und kritisiert die „Sprache der Unmenschen“ in der Asylfrage.

INTERVIEW PETER MAYR, MARKUS ROHRHOFER 24. Dezember 2018, 08:00[/caption]

STANDARD:Der Prüfbericht zur Kärntner Amtszeit von Bischof Alois Schwarz offenbart schwerwiegende Vorwürfe: rote Zahlen, Missachtung des Kirchenrechts. Das Domkapitel spricht von einem „System Schwarz“. Wie beurteilen Sie die Situation?

Schönborn: Gar nicht. Ich kenne manche Vorwürfe, kenne aber auch den Befund des Wirtschaftsprüfers, der sagt, dass nichts passiert ist, was das Bistum wesentlich beeinträchtigt hätte oder ungesetzlich gewesen wäre. Ich habe also kein Gesamtbild. Daher steht mir ein Urteil gar nicht zu. Als Bischof von Wien und Kardinal habe ich auch keinerlei Autorität, über einen anderen Bischof oder eine andere Diözese zu richten. Das zuständige Gremium ist die Bischofskongregation in Rom, und es ist gut, dass diese sich mittels einer Visitation ein umfassendes und unparteiisches Bild macht und dann die daraus folgenden Entscheidungen trifft.

STANDARD: Die Bischofskonferenz soll spätestens seit 2008 Kenntnis von den Zuständen gehabt haben. Warum hat sie nicht gehandelt?

Schönborn: Man darf die Kompetenz der Bischofskonferenz nicht überschätzen: Sie ist ein Koordinations-, aber kein Kontrollgremium. Sie kann in eine einzelne Diözese nicht hineinregieren, sie kann keine Bischöfe suspendieren oder Prüfungen durchführen. Mehr als brüderliche Ratschläge kann ein Bischof einem anderen nicht geben. Die Aufsichtsbehörde sitzt wie gesagt in Rom, und der Nuntius hat sie über besondere Vorkommnisse zu informieren. Im Übrigen kann jeder nach Rom schreiben, wenn er meint, dass Rom handeln müsse – nicht nur Bischöfe, sondern auch der Generalvikar oder das Domkapitel. Sie sind ja mittendrin und wissen am besten Bescheid.

STANDARD: In der Causa geht es auch um den Zölibat. Dieses Thema hat erst kürzlich den Linzer Bischof Manfred Scheuer veranlasst, sich direkt mittels Brief an Papst Franziskus zu wenden. Es gebe in der Diözese ein Rumoren wegen des Zölibats. War das abgestimmt?

Schönborn: Nein. Vom Kirchenverständnis her ist aber jeder Bischof selbstständig und darf das tun. Ich bin nicht der Oberbischof von Österreich. Als Vorsitzender der Bischofskonferenz bin ich einfach nur der Koordinator, aber ich habe keinerlei Primatstellung in Österreich. Ich bin der Erzbischof von Wien. Punkt. Dass ein einzelner Bischof dem Papst schreibt, ist auch nicht ungewöhnlich. Es ist völlig legitim. Ich habe mir den Brief angeschaut, der ist sehr differenziert, richtet seinen Blick auf die Diözese Linz und die pastorale Situation. Und aus dieser heraus spricht er behutsam auch die bekannten Themen Zölibat und kirchliche Ämter für Frauen an. Dass ein Bischof die Sorgen seiner Diözese, aber auch das Gute und Lebendige dem Papst unterbreitet, ist nichts Ungewöhnliches.

STANDARD: Aber das sind ja Probleme, die nicht nur Linz betreffen.

Schönborn: Das sind Sorgen, die bei weitem nicht nur Linz betreffen. Wir merken, dass in vielen Teilen Europas die Kirchensituation ähnlich ist – inzwischen längst schon in Italien, Spanien, in Deutschland und in Frankreich sowieso und natürlich in Österreich. In vielen dieser Länder war die Kirche wirklich eine Volkskirche, und nun ist sie mit einer sehr stark veränderten demografischen Situation konfrontiert, die sich massiv auf ihre Realität auswirkt. Dass wir hier, wie Bischof Scheuer sagt, ein Zeitfenster haben, das wir nicht versäumen dürfen, das ist vielen bewusst in ganz Europa.

STANDARD: Aber man könnte das auch anders sehen: Hier findet ein Bischof, dass der Kardinal die Botschaft nicht so deutlich an den Papst richtet, und deshalb macht er es lieber gleich selbst.

Schönborn: Der Bischof in Linz kann selbstverständlich direkt dem Bischof in Rom schreiben – wie jeder andere auch. Natürlich: Bei über 3000 Bischöfen weltweit braucht der Papst einen großen Briefkasten. Der Papst hat schätzungsweise 1000 Briefe pro Tag aus der ganzen Welt. Natürlich geht das durch sein Sekretariat, es ist nicht zu erwarten, dass das mit der Post in Santa Marta im Briefkastl vom Papst direkt ankommt. Die Themen sind übrigens in Rom genauso präsent wie in Linz. Denn eines muss man klar sagen: Rom lebt heute nicht mehr hinterm Mond.

STANDARD: Im Bereich der Flüchtlingspolitik haben Sie zuletzt sehr deutliche Worte gefunden – etwa beim humanitären Bleiberecht. Was läuft Ihrer Meinung nach falsch?

Schönborn: Das hat verschiedene Ebenen. Die Erste ist die europäische. Das Schmerzliche ist, dass es bisher nicht gelang, eine gemeinsame europäische Migrationspolitik zu finden und – davon unterschieden, aber doch damit verwandt – eine Flüchtlingspolitik. Wir haben nationale Einzelgänge, was verständlich, aber bedauerlich ist. Dieser Mangel an gemeinsamer Politik hat zur Folge, dass es auch keine gemeinsame Politik zur Ursachenbehandlung gibt. Doch hier geht es um Menschen, um Schicksale. Es sind Menschen, die hier sind, die hier Sicherheit suchen. Ich setze aber vor allem auf das direkte Gespräch mit den Verantwortlichen.

STANDARD: Und das funktioniert?

Schönborn: Es ist schwieriger geworden, sage ich ganz ehrlich – von politischer Seite her. Und deshalb habe ich jetzt in einem konkreten Bereich, beim Bleiberecht, öffentlich sehr deutlich Stellung bezogen. Klar ist: Das Asylverfahren und die Frage der Integration sind zwei verschiedene Themen. Ein nicht existierender Asylgrund kann nicht vom Gesetz her aufgehoben werden durch gute Integration. Wenn kein Asylgrund da ist, ist kein Asylgrund da. Da müssen wir schon auch den Gerichten vertrauen. Aber: Die Frage des humanitären Bleiberechts ist eine Frage, die durchaus im Interesse unseres Landes zu stellen ist. Menschen, für die sich viele eingesetzt haben, die hier Bildung erfahren, die hier arbeiten wollen und gut integriert sind, die sind ein Gewinn für unser Land. Es ist ein Verschleudern von Ressourcen, wenn es für solche Leute über das humanitäre Bleiberecht keine Aufenthaltsmöglichkeit gibt.

STANDARD: Wird das Bleiberecht zu wenig angewandt?

Schönborn: Ich kenne Beispiele, wo durchaus mit Augenmaß humanitäre Entscheidungen getroffen werden. Das gibt es. Gott sei Dank. Aber ich würde so sagen: Die Nachwirkungen des Jahres 2015 sind hier spürbar. Nach der unkontrollierten Ankunft von Flüchtlingen hat die jetzige Regierung eher darauf gesetzt, angesichts der großen Zahl der Fälle rigoroser vorzugehen.

STANDARD: Ist es noch eine Flüchtlingspolitik für Menschen?

Schönborn: Ich setze immer darauf, dass man miteinander reden kann – mit Politikern aller Lager. Darum bemühen wir uns. Die Wahrheit ist zumutbar, hat Ingeborg Bachmann gesagt. Und von Dorothee Sölle gibt es den Satz, dass es das Recht gibt, ein anderer zu werden. Wir suchen intensiv das Gespräch: über Einzelfälle wie über das Grundsätzliche. Ich möchte diese Schiene weiterpflegen, so wie die Sozialpartnerschaft bei uns funktioniert hat. Man setzt sich zusammen und ringt miteinander. Worum ich nur schon bitte, ist die Gesprächsbereitschaft.

STANDARD: Werden Flüchtlinge heute oft nicht nur auf ein Problem reduziert?

Schönborn: Wenn ich mich an meine Kinderzeit erinnere, etwa an die Ungarnkrise 1956, da war das Wort „Flüchtling“ assoziiert mit dem Wort „Helfen“. Was jetzt passiert, sind gleitende Veränderungen, die aufs Erste nicht auffallen, aber plötzlich ist man in einem Sprachset, in dem Worte zu Unworten geworden sind. Wenn das Wort „Flüchtling“ ständig assoziiert wird mit „Verbrecher“, „Gefährdung“, dann geht die Empathie verloren. Darum immer wieder der Appell: Bitte konkrete Flüchtlingsschicksale kennenlernen! Das ist nicht eine Lösung für alle Fragen, die anstehen. Aber das Thema Flüchtling nur als Problem zu sehen und nicht die Menschen, die wie wir Gefühle, Ängste, Sorgen haben, ist falsch. Da muss eine Gesellschaft aufpassen: Die Sprache darf nicht jene der Unmenschen werden.

STANDARD: Beispiel Mindestsicherung. Ein Kriterium sind gute Deutschkenntnisse. Muss ein Mensch gut Deutsch sprechen, um staatliche Hilfen zu bekommen?

Schönborn: Man kann die Frage natürlich auch umdrehen: Muss man Deutsch können, um sich integrieren zu können? Da ist schon ein wahrer Kern drinnen.

STANDARD: Wenn ich gleichzeitig an Deutschkursen spare?

Schönborn: Das ist eine Frage an die Politik. Wenn Deutschkenntnisse die Voraussetzung für Integration sind, und das sind sie, dann muss man das Entsprechende tun, damit diese auch erworben werden können. Ich unterstelle jetzt nicht der Regierung, dass sie das nicht sieht. Wir beklagen, dass zum Beispiel viele Frauen in der Migranten-Community nach Jahren, manchmal Jahrzehnten immer noch nicht Deutsch können. Damit sind sie isoliert, auf ihre Community zurückgeworfen. Das sind schon berechtigte Anliegen.

STANDARD: Im letzten Interview haben Sie „klarere Stellungnahmen von islamischen Autoritäten“ rund um Terror usw. gefordert. Ist das passiert?

Schönborn: Diese klaren Distanzierungen wünschen wir uns aus der islamischen Welt insgesamt.

STANDARD: Sie vermissen sie nach wie vor?

Schönborn: Ich kann das nicht global sagen. Aber für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich haben auch die Imame deutlich Stellung bezogen. Was in einzelnen muslimischen Zirkeln in Österreich passiert, ob dort auch Terrorismus begrüßt wird, das ist eine Sache, die sich der Verfassungsschutz ansehen müsste.

STANDARD: Ist ein entspanntes Verhältnis zum Islam möglich?

Schönborn: Es ist schwieriger geworden. Auch aus einem einfachen Grund: der demografischen Entwicklungen. Schauen Sie in die Wiener Schulen, schauen Sie, wie die demografischen Entwicklungen von Christenkindern und muslimischen Kindern auseinandergehen. Das ist ein ernstes Thema. Es fehlt nicht an islamischen Stimmen, die sagen, Europa sei eine reife Frucht für den Islam. Dagegen gibt es kein generelles Rezept. Das umzudrehen, da hätte man vor 30, 40 Jahren sagen müssen, dass der Babyboom nicht aufhören darf. Das sind nüchterne Fakten, und ich verstehe, dass Menschen sich bedroht fühlen. Aber die Lösung ist nicht, jetzt in eine Panik gegenüber dem Islam auszubrechen

(Peter Mayr, Markus Rohrhofer, 24.12.2018)

ZUR PERSON: Christoph Schönborn (Jahrgang 1945) wurde 1970 zum Priester geweiht. 1991 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Wiener Weihbischof. Der Dominikaner ist seit 1995 Erzbischof, seit 1998 Kardinal und auch Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz.

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