Blättern in der Chronik

Dies & Das: Artenschutz

Umwelt Stefanie Ruep 9. September 2021 Artenschutz in Gefahr: Die Nationalparks drohen zu „versandeln“ Schutzgebiete verkommen zum Marketingtool des Tourismus, warnen Wissenschafter. Debatten gibt es bei den Hohen Tauern und bei den Kalkalpen Die österreichischen Nationalparks feiern heuer ihr 50-jähriges Bestehen. Für einige Wissenschafter ist das Jubiläum nicht nur Grund zur Freude. Das mit hochkarätigen Ökowissenschaftern besetzte Forum Wissenschaft & Umwelt warnt vor mehreren Fehlentwicklungen in den letzten Jahren. Zahlreiche schädigende Eingriffe seien zu beobachten, und Rechnungshofberichte hätten gravierende Mängel aufgezeigt, sagt Robert Brunner, langjähriger Direktor des Nationalparks Thayatal. Und das, obwohl die Nationalparks die Orte mit der höchsten Biodiversität in Österreich sind. Mehr als 70 Prozent der wichtigsten Artengruppen Österreichs sind dort vertreten. Für viele gefährdete und seltene Arten zählen die 2.400 Quadratkilometer an Naturreservaten zu den letzten Rückzugsorten. Konzept wird verwässert Grundsätzlich stehe Österreich mit seinen Schutzgebieten auf dem Papier gar nicht schlecht da, sagt der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal. Das Problem sei, dass der Großteil der Gebiete zwar für das Tourismusmarketing da sei, aber immer weniger dahinterstehe: „Das Konzept wird verwässert, und die Nationalparks versandeln“, betont Kotrschal. Ein aktuelles Beispiel zeige, dass die Nationalparks ihrem Schutzauftrag nicht nachkommen – nämlich dass große Beutegreifer wie Wölfe, Luchse und Bären nach Österreich einwandern und dann verschwinden. „Der Artenschutz wird in vielen Nationalparks nicht ernst genommen, obwohl wir uns in einer Biodiversitätskrise befinden“, sagt Kotrschal. „Im Moment werden die Nationalparks ausgehöhlt zu einem Marketingtool der Tourismuswirtschaft.“ Daher fordert das Forum, die Schutzgebiete zu vergrößern und ihren Auftrag ernst zu nehmen sowie Kontrollorgane einzurichten, statt unvereinbaren Nutzungsansprüchen verschiedenster Interessengruppen nachzugeben. Die Mängel im Management der Naturschutzgebiete müssten im Einklang mit Richtlinien der Weltnaturschutzunion IUCN behoben werden. Schutzbauten in Nationalpark-Tälern In Salzburg laufen die Uhren anders. Anstatt die Schutzziele, wie von der Wissenschaft gefordert, vehement zu verteidigen, wurde im Vorjahr sogar die Verkleinerung der streng geschützten Kernzone der Hohen Tauern diskutiert. Dem Zonierungsentwurf wurde zwar von Nationalpark-Landesrätin Daniela Gutschi (ÖVP) eine Absage erteilt. Aktuell wird jedoch erneut ein Eingriff in der Kernzone debattiert: Nach dem jüngsten Hochwasser im Salzachtal fordern mehrere Bürgermeister im Oberpinzgau, dass Schutzbauten in den Nationalpark hineinmüssen. Raumordnungs-Landesrat Josef Schwaiger (ÖVP) pflichtet ihnen bei und will bis Jahresende einen Plan vorlegen. Die größten Rückhalteflächen sieht er im Krimmler Achental und im Obersulzbachtal. Runder Tisch ohne Tabus Der Salzburger Naturschutzbund fordert einen runden Tisch aller Experten, Naturschützer und Grundeigentümer, um über den Hochwasserschutz zu debattieren und Lösungen für die Folgen des Klimawandels zu finden. „In diesem Sinne sind auch aus unserer Sicht Eingriffe in Schutzgebiete nicht gänzlich tabu“, schreibt der Vorsitzende des Naturschutzbundes, Winfried Herbst, in einem offenen Brief an die Salzburger Landesregierung. Trotz aller Notwendigkeit sei die Suche nach landschafts- und naturverträglichen Lösungen weiterhin bedeutsam. Pläne gibt es im Obersulzbachtal bei Neukirchen am Großvenediger nicht nur für einen Hochwasserschutz. Die Salzburg AG will am Eingang zum Nationalpark ab 2022 ein Wasserkraftwerk bauen und hat um die wasserrechtlichen Bewilligungen angesucht. Und das, obwohl die Sulzbachtäler erst im Vorjahr als geschütztes Wildnisgebiet von der IUCN ausgezeichnet wurden. Wasserkraftwerk geplant Naturschützer von Alliance for Nature und dem Naturschutzbund gehen wegen der Pläne auf die Barrikaden. Das Kraftwerk würde einen Großteil des Wassers aus dem Sulzbach ausleiten, es verbleibe nur Restwasser im Bach, und das würde den Zustand des Gewässers verschlechtern, warnt der Naturschutzbund. Alliance for Nature sieht Fauna und Flora massiv gefährdet. Von der Salzburg AG heißt es, der Gewässerzustand werde nicht negativ beeinflusst. Rechnungshof kritisiert Nationalpark Kalkalpen Auch am Nationalpark Kalkalpen in Oberösterreich gibt es viel Kritik. Seit seiner Gründung 1997 ist im Landesgesetz eigentlich vorgesehen, dass der Nationalpark erweitert werden soll. Geschehen ist in den letzten 24 Jahren dahingehend nichts. Das kritisierte im Frühjahr auch der Landesrechnungshof (LRH). Auch heuer wurde keine Erweiterung vom Landtag beschlossen. Bemängelt wurde vom LRH auch die Priorität des Tourismus. Denn 1,4 Millionen Euro wurden 2019 in den Ausbau eines verlustreichen Seminarhotels gesteckt. Und das, obwohl die Finanzlage des Nationalparks bereits zwei Jahre zuvor schlecht gewesen sei und 2019 sogar Zahlungsunfähigkeit drohte. Zudem würden die Kontroll- und Aufsichtsrechte der Abteilung Naturschutz von der Nationalpark-GmbH nicht anerkannt werden. (Stefanie Ruep, 9.9.2021)

zum Originalbeitrag

Die Links zu weiterführenden Beiträgen und Bilder stehen nur im Originalbeitrag zur Verfügung