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Dies & Das: Buchneuerscheinung

Rezension Thorben Pollerhof 7. August 2021 „Ändert sich nichts, ändert sich alles“: Wir müssen endlich handeln Katharina Rogenhofer und Florian Schlederer, Mitbegründer von Fridays for Future Österreich und des Klimavolksbegehrens, haben ihre Klimaexpertise in ein Buch gepackt Normalerweise machen wir das nicht. Das Ende eines Buches zu verraten. Doch der letzte Satz von Katharina Rogenhofers und Florian Schlederers Ändert sich nichts, ändert sich alles ist so eine perfekte Zusammenfassung, nicht nur des Buches, sondern auch unserer Zeit, dass es fahrlässig wäre, es nicht an den Anfang dieses Textes zu packen: „Und ich setze viel Hoffnung in Sie.“ Aber keine Sorge. Das Buch ist keine 288 Seiten lange Anschuldigung an die umweltschädigenden Lebensgewohnheiten der Leserinnen und Leser. Sie werden sich trotzdem schlecht fühlen, glauben Sie mir. Denn es ist kurz vor knapp, und das bringen Rogenhofer und Schlederer auf den Punkt. Ein Buch der Chancen Und wer könnte das besser als sie. Rogenhofer, eine der Mitbegründerinnen von Fridays for Future, studierte Biologin und Sprecherin des Klimavolksbegehrens, und ihr Co-Autor Florian Schlederer, er studierte Physik und Philosophie und hat ebenfalls bei Fridays for Future und beim Klimavolksbegehren seine Hände im Spiel. Dabei hätten sie es sich bei dem Thema sehr einfach machen können. Sie hätten eben genau diese seitenlange Anschuldigung schreiben können, und niemand hätte etwas dagegen gesagt. Stattdessen ist es, wie auch der Name des ersten Kapitels lautet: „Ein Buch der Chancen“. Denn es ist laut Rogenhofer und Schlederer noch nicht zu spät. Doch wir sollten dringend anfangen zu handeln. Das Buch ist dabei in zwei Ebenen gegliedert. Auf der einen Ebene erklärt Rogenhofer sehr ausführlich, sehr detailliert und sehr leicht, ohne dabei Sachverhalte zu versimpeln, was gerade mit unserem Klima passiert und was wir dagegen tun müssen. Das reicht von dem gemeinsamen globalen Ziel, das Klima nicht über die berühmte 1,5-Grad-Marke schreiten zu lassen, über die Kipppunkte, die erreicht werden würden, sollten wir das nicht schaffen, bis hin zu der Tatsache, dass niemand wirklich weiß, was passiert, wenn diese Kipppunkte erreicht sind. Rückkopplungsschleife „Die Klimawissenschafterinnen und -wissenschafter sind alarmiert, weil die sibirischen Permafrostböden schon jetzt durch eine die Klimakrise schneller auftauen, als man vermutet hatte. Das starke Treibhausgas Methan wiederum erhitzt die Erde weiter. Schon wieder eine positive Rückkopplungsschleife. Zwei habe ich noch für Sie.“ So ungefähr kann man sich einen Großteil des ersten Teils vorstellen. Und weil wahrscheinlich Rogenhofer selbst merkte, dass man das nicht 100 Seiten durchsteht, entweder weil es irgendwann doch zu trocken werden oder zwischendurch die Depression reinkicken würde, gibt es die zweite Ebene. In dieser nutzt Rogenhofer anschauliche Bilder und persönliche Geschichten aus ihrem Leben, um den Leserinnen und Lesern das Thema und dessen Dringlichkeit noch näherzubringen. So teilt sie ihren Traum, irgendwann einmal zwei Kinder zu haben, Mia und Finn. „Wenn wir dann abends gemeinsam das dicke Buch befüllen und die Farben der Natur bewundern, will ich beide in den Arm nehmen und ihnen mit ehrlicher Überzeugung sagen können, dass sie glücklich werden. […] Betrachte ich die Welt heute, dann wäre das eine Lüge.“ Das mag auf den ersten Blick etwas kitschig wirken, und, ja, diesen Hang gibt es in dem Buch hie und da. Das Stilmittel ist aber vollkommen vertretbar, weil Rogenhofer aufzeigt: Dieser Kitsch wird in Zukunft nur noch ein Traum sein, wenn sich nichts ändert. Aber gut, die ganze Zeit war jetzt die Rede davon, dass es nicht nur Fakten, Anschuldigungen und Anekdoten sind, die in diesem Buch lauern. Wo bleibt denn die Hoffnung, wo bleibt denn der Plan? „Green New Deal“ Keine Sorge, der ist da. Im gesamten dritten und längsten Kapitel zeichnet Rogenhofer einen „Green New Deal“ auf, frei nach dem amerikanischen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und dessen „New Deal“ in den 1930er-Jahren. Dort geht es von der richtigen Kommunikation über die Klimakrise, über die Abschaffung „falscher“ Subventionen (beispielsweise die Nichtbesteuerung von Kerosin) bis hin zu neuen Ideen für die Themen Energie, Gebäude, Mobilität, Raumplanung und, und, und. Dabei schießt sich Rogenhofer nicht auf den Otto Normalbürger ein, der in seiner Auffahrt ein Auto und im Garten einen Holzkohlegrill hat, und macht diesem ein schlechtes Gewissen. Sondern sie adressiert einen Großteil ihrer Ideen an jene, die es ab jetzt noch richten können: an die Politikerinnen und Politiker. Kein Wunder, schließlich erzählt sie von ihrem Treffen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, den sie, nicht wissend, welchen Karriereweg sie einschlagen sollte, um möglichst viel Einfluss auf das Weltgeschehen zu haben, um Rat fragte. In die Politik solle sie gehen, antwortete dieser. Ein wenig später war Fridays for Future gegründet und das Klimavolksbegehren auf dem Weg. „Also, bereit?“ Ändert sich nichts, ändert sich alles ist alles andere als ein Wohlfühlbuch. Das will es auch nicht sein, das darf es auch nicht sein. Stattdessen ist es ein Buch, das einem in den ersten zwei Kapiteln ständig mit dem Einband auf den Kopf haut, bis man all das verinnerlicht hat, was gerade passiert. Dann, ab Kapitel Nummer drei, fragt es: „Also, bereit?“ Schließlich nickt man und geht das Problem mit effektiven Lösungen an. Es ist die Mischung aus Angst und Hoffnung, die dieses Buch so wichtig für unsere Zeit und für die Zukunft macht. „Und ich setze viel Hoffnung in Sie“ ist nicht in erster Linie auf das In-Wort „Verzicht“ fokussiert. Sondern darauf, das Wissen, das in diesem Buch steckt, raus in die Welt zu tragen und im richtigen Moment richtig zu handeln. Nämlich in der Wahlkabine. (Thorben Pollerhof, ALBUM, 7.8.2021)

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