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Thema Gesellschaft & Politik…#13

anfang: Einbürgerung Lisa Nimmervoll, Johannes Pucher 13. Juni 2021 Leichter zur Staatsbürgerschaft? ÖVP befürchtet „neue Wählerschaft“ SPÖ und Grüne möchten den Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtern. Die ÖVP will keine „neue Wählerschaft“ durch „Masseneinbürgerung“ Wer soll wann oder wie schnell auch offiziell Österreicherin oder Österreicher werden dürfen? Die Frage nach einem leichteren und schnelleren Zugang zur Staatsbürgerschaft erhitzte am Wochenende die politischen Gemüter. Die ÖVP vermutet hinter dem Vorstoß der SPÖ, der auch gleich vom aktuellen Koalitionspartner der Türkisen, den Grünen, unterstützt wurde, einen tiefergehenden Masterplan, nämlich „eine neue Wählerschaft“, wie Klubobmann August Wöginger am Sonntag in einer Aussendung schrieb. Durch die linke Hintertür Sein Verdacht: „Die Links-Parteien wollen mittels Masseneinbürgerungen die Mehrheitsverhältnisse im Land ändern.“ Und weiter: „Den linken Parteien geht es in Wirklichkeit einzig und alleine darum, ein Ausländerwahlrecht durch die Hintertür einzuführen und mithilfe von über 500.000 Einbürgerungen eine potenziell neue Wählerschaft zu generieren, die ihnen in Folge eine parlamentarische Mehrheit sichern soll.“ Wöginger unterstrich damit die Linie von ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz, der bereits am Samstag die türkise Linie betont hatte: „Die Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut. Hier sein alleine reicht nicht. Die ÖVP ist Garant dafür, dass es zu keiner Entwertung der Staatsbürgerschaft kommt.“ Kurz’ Koalitionspartner sieht das ganz anders. Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler sagte zum STANDARD: „Dass Menschen, die seit fünf oder sechs Jahren in Österreich leben, einen Antrag auf eine Staatsbürgerschaft stellen können, halte ich für richtig.“ Eine Debatte über die Staatsbürgerschaft für Menschen, die in Österreich geboren wurden, sei „sinnvoll“. Zunächst ging es aber darum, Wögingers „Linke“ auszusortieren, denn er hatte auch die Neos eingemeindet. Die wunderten sich über den „falsch informierten ÖVP-Klubobmann“, hatte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger doch tags zuvor im Ö1-Mittagsjournal gesagt, „dass wir den aktuellen Vorschlag zum Thema Einbürgerung nicht unterstützen“. Die FPÖ tut das natürlich auch nicht. Für den designierten Parteichef Herbert Kickl sind SPÖ und Grüne „endgültig die Österreich-Abschaffer-Parteien geworden“. Die SPÖ, die den Stoff für die Staatsbürgerschaftsdebatte geliefert hatte, warf der ÖVP „Angstmache und Desinformation“ vor. Das entspreche, sagte Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, dem „Muster der Rechtspopulisten“. Die SPÖ stehe für das Motto „Integration vor Zuzug“. Der im roten Bundesparteivorstand Mitte vergangener Woche einstimmig beschlossene Vorschlag sieht einen Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft nach sechs Jahren rechtmäßigem Aufenthalt vor – sofern alle weiteren Kriterien erfüllt sind. Bei kurzfristigen Unterbrechungen des Aufenthalts – bis hin zu einem Auslandssemester – soll diese Zeit nachgeholt werden können und nicht dazu führen, dass die Frist von Neuem zu laufen beginnt. Wenn ein positiver Asylbescheid erfolgt, soll der Zeitraum angerechnet werden. In Österreich geborene Kinder sollen automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen, sofern zumindest ein Elternteil fünf Jahre legal im Bundesgebiet aufhältig ist. Die falschen Umstände Unter diesen Umständen hätte Ebru bereits ihren Pass. Die 23-Jährige ist in Niederösterreich geboren, studiert Lehramt, ihre Eltern kommen aus Bulgarien. Wären Mutter oder Vater Österreicher, hätte sie automatisch einen Pass bekommen. So muss sie 1000 Euro Unterhalt nachweisen, Tests absolvieren, unzählige Dokumente auftreiben und 1115 Euro Gebühren zahlen. Vor ein paar Jahren hat sie es versucht. Das Erste, wonach sie gefragt wurde, war ein Deutschnachweis: „Obwohl ich mit der Beamtin auf Deutsch gesprochen habe. Ich bin mir ziemlich schlecht behandelt vorgekommen.“ Jetzt, neben dem Studium, habe sie nicht die Möglichkeit das notwendige Geld und die Zeit für das Einbürgerungsverfahren aufzuwenden. Diese Situation kennt auch Peush. „Wenn ich sehe wie Menschen die hier aufgewachsen sind, abgeschoben werden, dann frage ich mich: Was würde ich tun?“, sagte der 22-Jährige unlängst bei einer Veranstaltung von SOS Mitmensch, Volkshilfe und Verein Wiener Jugendzentren mit weiteren jungen Betroffenen. Peush, als Sechsjähriger mit seiner Mutter aus Indien hierhergekommen, ist passionierter Tischtennisspieler. „Mein Trainer wollte mich für die U-18 Nationalmannschaft vorschlagen, aber weil ich keine Staatsbürgerschaft habe, ging das nicht.“ 2018 hat der HTL-Schüler bei der Wiener Magistratsabteilung 35 die Staatsbürgerschaft beantragt – doch er hat sie bis heute nicht. Um die Dokumente zu besorgen sei er extra nach Indien geflogen und um den Unterhalt nachzuweisen habe er neun Monate bei MacDonalds gearbeitet. Von der MA35 bekomme er seit Jahren keine Informationen über den Stand seines Verfahrens. „Manchmal muss ich mich zurückhalten, weil ich gern schreien würde vor Wut“, sagt er. Laut Gesetz muss über Einbürgerungsanträge eigentlich innerhalb von sechs Monaten entschieden werden. Peush befürchtet Nachteile, wenn man die MA 35 auf seinen Fall hinweist. Auf eine allgemeine Anfrage des STANDARD heißt es von der Behörde: Der Großteil der Verfahren würde jedenfalls innerhalb eines Jahres abgeschlossen. Eine durchschnittliche Verfahrensdauer konnte nicht angegeben werden. „Ich kenne kaum Verfahren, die kürzer als ein Jahr dauern“, sagt hingegen Peter Marhold, der mit seiner Organisation Helping Hands, Menschen beim Beantragen der Staatsbürgerschaft berät. Österreich hat mit den geforderten zehn Jahren Aufenthalt, dem Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft und dem Prinzip, dass nicht die Geburt, sondern die Herkunft der Eltern über die Staatsbürgerschaft entscheidet, eines der restriktivsten Einbürgerungsrechte in der EU. Ohne heimischen Pass darf man in Österreich nicht wählen, hat nur eingeschränkt Zugang zu Jobs im Staatsdienst, darf keine Demonstration anmelden oder bekommt keine Hilfe von der Botschaft, wenn man im Ausland in Schwierigkeiten gerät. Grünen-Chef Werner Kogler hat im STANDARD-Interview mit Blick auf die nächste Wahl gesagt: „Vielleicht wird das ein Thema für nächste Verhandlungen.“ Für Ebru, Peush und viele andere in ihrer Lage heißt das also: weiter warten. (Lisa Nimmervoll, Johannes Pucher, 13.6.2021) Mehr zum Thema:

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