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Dies & Das: Ich als Konsument und Weltretter

anfang: Kommentar Philippe Narval 13. Juni 2021 Ich als Konsument und Weltretter Über Jahre haben wir das Mantra nachgebetet, man könne durch bewussten Konsum alles zum Besseren wenden. Damit sind wir gescheitert „Wir kaufen keine Erdbeeren aus Spanien!“ Die Kinder kennen meinen Stehsatz beim Obstregal. Unter welchen Arbeitsbedingungen die Erdbeeren dort wohl geerntet werden? Ob bio oder nicht, ist irrelevant, ein Erntehelfer kriegt dort mancherorts nur lächerliche zwei bis drei Euro pro Stunde. Aber nun gibt es endlich hiesige! Ich studiere die Inhaltsangaben auf der Kekspackung: Also kein Palmöl, aber Kokosöl, doch dafür soll – so habe ich zuletzt gelesen – noch mehr Regenwald abgeholzt werden als für Ersteres. Die Kinder quengeln, weil ich wieder zu lange vor den Regalen stehe. Eingelullt in der Poesie des guten Gewissens verliere ich mich zwischen sanften Almwiesen, schonend gewalzten Cornflakes und zartgerührter Fassbutter. Neue Gütesiegel Die Landwirtschaftsministerin sagt, Fleisch sei viel zu billig. Natürlich nehme ich das teurere Biofaschierte. Unter welchen Bedingungen das Rind geschlachtet wurde, weiß ich nicht, und auch nicht, wie viel der Bauer für sein Fleisch bekommt. Landwirtschaft in Österreich heißt auf jeden Fall Preisdruck durch die Zwischenhändler und die großen drei Supermarktketten, die 80 Prozent des Handels kontrollieren. Um die Tiefkühlschränke mache ich heute einen Umweg. Keine Ahnung, ob dem Fischereilabel noch zu trauen ist. Gibt es irgendwo einen Skandal, erfindet die Branche einfach ein neues Gütesiegel. Hätte ich es als Veganer leichter? Meine Freunde kaufen im Biogeschäft Quinoa aus den Anden, dafür ist für die Bevölkerung dort ihr Grundnahrungsmittel nicht mehr leistbar. Ihre Mandelmilch verbraucht die letzten Grundwasserreserven Kaliforniens, und wie viel Energieaufwand steckt überhaupt hinter einem fleischlosen Burger? Ich gebe auf Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber langsam gebe ich auf, als Konsument Weltretter zu spielen und dabei auch doch kontinuierlich ausgetrickst zu werden. Über Jahre haben wir das Mantra nachgebetet, man könne durch bewussten Konsum alles zum Besseren wenden. Damit sind wir gescheitert, weil das System viel zu komplex und intransparent ist, um es als Einzelner zu durchblicken. Was wir brauchen Was wir brauchen? Eine Reform der EU-Agrarförderungen, die Bauern echte Anreize für Naturschutz und Bodengesundheit gibt. Doch das Gegenteil ist geplant, denn auch in Zukunft sollen 75 Prozent der Förderungen als Flächenprämien weiter an die industrielle Landwirtschaft gehen. Europaweite Mindestlöhne für Erntearbeiter wären nötig, doch Österreich gehört zu jenen, die das verhindern wollen. Lebensmittel sollen nach ihrem echten ökologischen Fußabdruck besteuert werden, Pseudolabels bringen uns nicht weiter. Die transparente Herkunftsbezeichnung beim Fleisch, vor allem in Kantinen, Großküchen und in der Gastronomie ist ein überfälliger Schritt, der von Wirtschaftskämmerern blockiert wird. Kartellverfahren gegen Absprachen und Preisdumping im Handel machen genauso Sinn wie die Förderung alternativer Handelsnetzwerke, die Bauern einen fairen Preis garantieren und nicht der reinen Profitmaximierung dienen. Nennen Sie es regulatorische Entmündigung des Konsumenten, ich kann damit leben. Bei Erdbeeren bleibe ich weiterhin konsequent, auch wenn ich mir eingestehe, dass ich durch richtigen Konsum allein die Welt nicht rette. (Philippe Narval, 13.6.2021)

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