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Dies & Das: Zecken auf dem Vormarsch – sie bevorzugen ein mildes, feuchtes Klima

anfang: Hermann Feldmeier 20.05.2021 Zecken auf dem Vormarsch – sie bevorzugen ein mildes, feuchtes Klima Blutsaugende Schmarotzer sind per se nicht besonders beliebt. Wenn sie dann noch eine Reihe von Krankheiten übertragen, ist ihre Zunahme speziell problematisch. Die Zeckensaison ist bereits in vollem Schwung, wie man von Hundebesitzern hört. Die Gliederfüsser gelten als ausgesprochen unappetitlich, zudem übertragen sie eine breite Palette gefährlicher Krankheitserreger von Viren über Bakterien bis zu Einzellern. Das gilt im Besonderen für Ixodes ricinus, die in Europa dominierende Zeckenspezies, die umgangssprachlich Gemeiner Holzbock genannt wird. Jedes Jahr werden in der Schweiz mehrere hundert Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) gemeldet, und es wird geschätzt, dass sich mehrere tausend Personen mit Borreliose infizieren. Ein Meister der Anpassung Der Gemeine Holzbock ist ein Meister darin, sich an unterschiedliche Lebensräume anzupassen. Dazu bedient er sich eines hochentwickelten Systems zur Regulierung des Wasserhaushalts. In jeder von drei Entwicklungsphasen nimmt die Zecke ein riesiges Volumen an Flüssigkeit in Form von Blut auf. Da jedes Quantum Blut Nährstoffe enthält, die für die Entwicklung in das nächste Stadium benötigt werden, muss die Zecke so lange wie möglich auf dem Wirt bleiben. Andererseits behindert zu viel Flüssigkeit nach dem Loslassen die Fortbewegung auf dem Boden. Um eine Balance zwischen den benötigten, im Blut vorhandenen Nährstoffen und einem optimalen Flüssigkeitsvorrat zu erzielen, extrahiert die Zecke in einem ersten Schritt die lebensnotwendigen Substanzen aus dem gesogenen Blut. Sobald das geschehen ist, wird die überschüssige Flüssigkeit in das Blutgefäss zurückinjiziert. Es wird vermutet, dass durch das Zurückpumpen von Flüssigkeit aus dem Zeckenkörper in den Wirt die Übertragung von Borrelien gefördert wird. In den Entwicklungsphasen, die die Zecke nicht an einem Wirt verbringt, ist Flüssigkeit dagegen Mangelware. Da er kein Wasser durch Trinken aufnehmen kann, gleichwohl permanent Flüssigkeit über die Körperoberfläche verdunstet, hat der Schmarotzer einen Trick entwickelt, um an das lebensnotwendige Nass zu kommen. Seine Speicheldrüsen produzieren ein Sekret, das Wasserdampf aus der Luft extrahiert, wenn diese mindestens 80 Prozent Luftfeuchtigkeit enthält. Das Speichel-Wasser-Gemisch wird peu à peu verschluckt, was de facto zu einem Nettogewinn von Flüssigkeit führt. Die Abhängigkeit der Wasseraufnahme von der relativen Luftfeuchtigkeit erklärt die typischen Bewegungsmuster der Zecke an warmen Tagen. Üblicherweise sitzt sie möglichst hoch im Blattwerk eines Busches auf der Lauer, weil sie dort bessere Chancen hat, sich an einem grösseren Säugetier, beispielsweise einem Reh, festzuklammern. Wird es in der Mittagszeit zu heiss und enthält die Luft zu wenig Feuchtigkeit, muss sie in tiefere Etagen des Blattwerks oder sogar bis auf den Boden klettern, wo sie in der feuchten Streuschicht verharrt, bis sie mithilfe des Speichelsekrets ausreichend Flüssigkeit aufgenommen hat. Die Abhängigkeit von der Luftfeuchtigkeit erklärt auch, warum die Anzahl der Zecken in einem dicht mit Bäumen oder hohen Büschen bewachsenen Gebiet stets höher ist als in offenem Grünland, es sei denn, die Luft enthalte eine ausreichend hohe Luftfeuchtigkeit. Das bestätigt eine Untersuchung von Zoologen und Ökologen über das Vorkommen von Lyme-Borreliose auf den Western Isles, einer baumlosen Inselgruppe vor der Westküste von Schottland. Die Inseln bestehen vorwiegend aus moorigen Wiesen und Weiden für Schafe und Rinder, die mit Bruchsteinen und Büschen voneinander getrennt sind. Zecken waren auf den Western Isles früher selten, und Lyme-Borreliose kam nicht vor. Ohne Bäume und dichtes Buschwerk schien der Lebensraum für Ixodes ricinus ungeeignet. Das Inselklima behagt den Zecken Die Grösse der Zeckenpopulation hat allerdings in den vergangenen 15 Jahren deutlich zugenommen, und die Zahl der Fälle von Borreliose ist auf einigen Inseln mittlerweile genauso hoch wie auf dem schottischen Festland. Die Forscher um Caroline Millins von der Universität von Glasgow konnten zeigen, dass die Zeckendichte in der Nähe von Siedlungen und einzeln stehenden Häusern um ein Vielfaches höher ist als auf den Weiden. Für Ixodes ricinus sind die Gärten und Grünanlagen offensichtlich zu einem optimalen Lebensraum geworden. Igel, Mäuse und Ratten, und nicht zuletzt der Mensch, dienen der Zecke als Wirte. Dass sich die Zeckenpopulation überhaupt auf den Western Isles etablieren konnte, hängt, so die Forscher, mit dem Inselklima zusammen. Der das ganze Jahr vom Atlantik her wehende Wind hat einen hohen Feuchtigkeitsgehalt. Auch für die Schweiz zeigen Langzeitdaten einen Zusammenhang zwischen dem Feuchtigkeitsgehalt der Luft und der räumlichen Ausbreitung des Parasiten. Estelle Rochat und ihre Kolleginnen vom Labor für geografische Informationssysteme der ETH Lausanne sind der Frage nachgegangen, ob sich auch in der Schweiz der Lebensraum von Ixodes ricinus im vergangenen Jahrzehnt vergrössert hat. Als Basis nutzten die Geografen zwischen 2009 und 2018 bei Übungen des Schweizer Heeres eingesammelte Zecken sowie eine App, mit der jedermann einen Befall mit dem Gemeinen Holzbock melden kann. Aus der Häufigkeit und der Verbreitung der Zecken wurde der für diese Krabbler geeignete Lebensraum bestimmt. Feuchte Luft in den Schweizer Alpen Während im Jahr 2009 6483 Quadratkilometer als ein für Ixodes ricinus geeigneter Lebensraum identifiziert wurden, waren es zehn Jahre später bereits 10 484 Quadratkilometer – etwa ein Viertel der Fläche der Schweiz. Die Analyse zeigte auch, dass sich der Lebensraum des Gemeinen Holzbocks im Verlauf eines Jahrzehnts kontinuierlich auf höhere Regionen ausgedehnt hatte. Für die Forscher reflektiert die Erweiterung des Lebensraums in den Alpen die Zunahme von milderen Wintern und längerem Frühling und Herbst in den vergangenen zehn Jahren. Da in grösseren Höhen auch im Sommer die relative Luftfeuchtigkeit ausreichend hoch ist, konnte der Gemeine Holzbock in der Schweiz im vergangenen Jahrzehnt seinen Lebensraum nicht nur in der Breite, sondern auch in der Höhe vergrössern. Ein gutes Beispiel dafür ist das Wallis, wo sich die für Zecken bewohnbare Fläche über 1000 Meter massiv ausweitete.

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