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Dies & Das: Klimaforschung

anfang: Ein Klick führt Sie zur WIENER ZEITUNG… Cathren Landsgesell Redakteurin Feuilleton 16.05.2021 Das vergessene Treibhausgas 300 Mal schädlicher als CO2, ist bereits mehr Lachgas in der Atmosphäre als gedacht. Forscher entschlüsseln jetzt, warum. Eliza Harris und Michael Bahn haben schlechte Nachrichten, aber ein Anliegen: „Die Botschaft sollte nicht sein, dass man nichts mehr tun kann“, sagen die beiden Klimaforscher. „Gerade in Bezug auf die Lachgas-Emissionen kann man sehr viel tun. Wir haben das Wissen und die Technologien“, so Harris. „Und noch haben wir Zeit.“ Bahn und Harris haben kürzlich gemeinsam mit Forschungskollegen eine der Ursachen herausgefunden, warum es in den letzten zehn Jahren zu dem auffällig schnellen und starken Anstieg der Lachgas-Konzentration in der Atmosphäre gekommen ist: Anders als bisher angenommen entsteht Lachgas, Distickstoffmonoxid, N2O, nämlich auch während extremer Dürrephasen und, zweitens, Lachgas steht in einem speziell unheilvollen Feedback-Verhältnis zum Klimawandel. Werden nämlich die Dürrephasen durch Extrem-Niederschläge beendet, schnellt der N2O-Ausstoß schlagartig in die Höhe. Es kann sein, dass dann auf einen Schlag über sechzig Prozent des Jahresausstoßes erreicht werden. Die Forscher nennen diese Phänomene „hot moments“, heiße Phasen. Je mehr die Erde sich erwärmt, desto häufiger wird es zu solchen „hot moments“ kommen, denn der Wechsel von einem Wetter-Extrem zum nächsten ist typisch für das Klima der Gegenwart und Zukunft. Je mehr N2O aber in die Atmosphäre gelangt, umso wärmer wird es. Das Feedback sei „sehr stark“ meint Bahn. In dem Mechanismus läge „ein möglicher Tipping-Point“, ein Kipppunkt, verborgen, meint Harris. Ein besonderes Gas Lachgas-Moleküle sind besonders gute Reflektoren: Sie können Wärme-Rückstrahlung der Erde 300 Mal besser abfangen als CO2-Moleküle, und nach jüngsten Schätzungen zirkuliert N2O etwa 116 bis 125 Jahre in der Troposphäre, bevor es in die Stratosphäre gelangt (die im Übrigen schrumpft), wo das Lachgas dann die Ozonschicht auflöst. Lachgas hat einen relativ geringen Anteil an den Treibhausgasen in der Atmosphäre: Durchschnittlich rund sieben Prozent, was aber bereits mehr ist, als der Weltklimarat bisher annahm. Die Emissionen sind seit 1750 um 20 Prozent gestiegen, geschätztes jährliches Wachstum: zwei Prozent. n manchen Jahren hat N2O heute einen Anteil von bis zu zehn Prozent an den Treibhausgasen, weshalb dieses Gas das Erreichen der Pariser Klimaziele in Frage stellt. „Wenn man nichts tut“, so Harris. Die N2O-Problematik sei besonders schwierig zu modellieren und die Entwicklung daher auch kaum vorherzusagen, meint sie. Beispiele wie die erwähnten „hot moments“ zeigen, dass die biochemischen Prozesse, die zur Entstehung von N2O führen, keinem linearen Muster folgen; selbst auf einem einzigen Acker können die Lachgas-Emissionen extrem stark variieren. „Es gibt bei Lachgas keine Wirkung, die sich eins zu eins übersetzt“, sagt Harris. „Aber gerade diese nicht linearen Muster weisen auf die Existenz von Tipping Points hin – auch wenn wir im Moment noch nicht sagen können, wo genau diese liegen.“ Wie viele andere Klimaforscher arbeiten Harris und Bahn unter anderem mit experimentellen Methoden. In diesem Fall mit 16 Blöcken ausgestochenem Bodens aus dem Stubaital in Tirol, die sie extremer Trockenheit aussetzten, um sie anschließend zu bewässern. Stickstoff ist ein essenzieller Bestandteil aller Lebewesen, wobei ein großer Teil des Stickstoffs, der heute in Pflanzen und Tieren „verbaut“ wird, aus der Stickstoffdüngung (Kunstdünger und Gülle) stammt. Mikroorganismen bauen Dünger zu Nitrat um (die sogenannte Nitrifizierung). Rund die Hälfte dieses Nitrats ist aber überflüssig und wird daher unter anderem zum Treibhausgas. Verantwortlich dafür ist die sogenannte Denitrifizierung, bei der aus dem überschüssigen Nitrat N2O wird. Denitrifizierung ist der wichtigste Mechanismus der N2O-Entstehung. Bremsende Effekte gibt es kaum. „Eigentlich hatten wir erwartet, dass etwa Dürre-Perioden die Netto-N2O-Emissionen deutlich reduzieren, das war aber nicht der Fall“, so Bahn. Denitrifizierung funktioniert offenbar immer, solange genug Nitrat vorhanden ist. Die Forschungen bestätigen: Der Anstieg des N2O in den vergangenen Jahrzehnten ist zum einen auf den Klimawandel zurückzuführen – Mikroorganismen sind aktiver, wenn es wärmer ist – und zum anderen auf die steigende Stickstoffdüngung. Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, ist das nicht. Präzisionslandwirtschaft, pfluglose Bodenbearbeitung und die Reduktion von Fleisch und Milchprodukten seien wirksam, um den Teufelskreis aufzuhalten, so Harris und Bahn: „Noch bleibt etwas Zeit.“

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