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Dies & Das: Paläo-Ökologie

anfang: Ein Klick führt Sie zur WIENER ZEITUNG… Cathren Landsgesell Redakteurin Feuilleton 01.06.2021 Mächtiger als die Eiszeiten Die größten Veränderungen in der Biodiversität der Erde setzten mit der Landwirtschaft ein. Der Mensch erweist sich wieder einmal als der große Weltenwandler: Eine Studie aus Norwegen, die sich mit der Veränderung der Vegetation auf der Erde seit der letzten Eiszeit beschäftigt hat, zeigt, dass die Veränderungen der letzten rund 4.600 bis 2.900 Jahre sehr viel dramatischer und umfassender waren, als die großen klimagetriebenen Veränderungen durch das Verschwinden des Eises 18.000 Jahre vor heute. Nichts hat Anzahl und Zusammensetzung der Arten, ob Pflanzen oder Tiere, so sehr verändert wie die Landwirtschaft. Der Abdruck des Holozäns Vor rund 20.000 Jahren erreichte die bislang letzte Eiszeit ihren Höhepunkt. Als die Erde begann, sich zu erwärmen, zogen sich die Gletscher, die den größten Teil der Erde bedeckten, allmählich zurück. Diese einsetzende Warmzeit, in der wir uns noch befinden, brachte massive Veränderungen für die Ökosysteme der Erde mit sich. Forscher der Universität Bergen haben nun erstmals auf einer globalen Ebene untersucht, wie sich Biodiversität und Masse der Vegetation auf der Erde nach der großen Schmelze verändert haben. Die Forschung schließt eine Lücke: Die meisten Biodiversitätsstudien, so die Forscher, nähmen in der Regel wenige hundert Jahre vor der Gegenwart in den Blick, während Forschungen zur Biodiversität vergangener Erdzeitalter sich meistens auf nur einen Kontinent konzentrieren. Spezifische Muster der Entwicklung der Biodiversität der Pflanzen blieben so in der Regel unentdeckt. Diese Forschungsgruppe untersuchte 1.181 fossile Pollen der letzten 18.000 Jahre von allen Kontinenten außer der Antarktis. Diese Daten stammen aus der Datenbank Neotoma Paleoecology Database. Die Wissenschafter rekonstruierten mit diesen Zeugen der Erdgeschichte die Geschichte ihrer Vegetation. Ab dem Moment, wo der Mensch immer mehr Land für den Ackerbau nutzt, geschehen drastische Veränderungen in immer kürzerer Zeit. Auf Basis der zeitlich und räumlich umfassenden Daten zeigt sich ein Muster in deutlicher Klarheit: Während die Eisschmelze und die wärmeren Temperaturen massive Veränderungen mit sich brachten, so werden diese ab etwa 4.600 Jahren von den menschengemachten Veränderungen eingeholt, was die Schwere des Einflusses betrifft, aber eben auch, was die Geschwindigkeit betrifft, mit der sich Zusammensetzung, Verbreitung und Vorkommen der Pflanzenarten verändern. Erkennbar ist der Einfluss des Menschen daran, dass das Verschwinden des Eises über alle Kontinente hinweg eine Wirkung auf die gesamte Vegetation zeitigt. Es ist eine erdumspannende gleichmäßige Antwort. Die menschlichen Einflüsse zeigen sich in ihrem erratischen, oftmals lokal begrenzten Auftreten. „Die Vegetation verändert sich ständig in Reaktion auf das Klima oder auf den Menschen. Indem wir uns die letzten 18.000 Jahre angesehen haben, konnten wir aber sehen, dass die Reaktion nicht immer global synchron war“, erklärt Suzette Flantua, Ökologin und eine der Autorinnen der Studie, in einer Aussendung. Dass es somit zwei Ereignisse gab, die die Vegetation der Erde deutlich transformierten, ist eine der Erkenntnisse der Studie. 1750 als Scheidemarke Die Studienautoren vermuten daher, dass aktuelle Studien das Ausmaß der Veränderungen unterschätzen, wenn sie nur wenige hundert Jahre betrachten. In der Klimaforschung gilt zum Beispiel das Jahr 1750 als Scheidemarke, weil in etwa zu dem Zeitpunkt die Industrialisierung begann. Der Verlust von Pflanzenarten und die Veränderung der Zusammensetzung der Arten haben dieser Studie zufolge aber bereits lang zuvor, um 4.600 vor heute, Fahrt aufgenommen. Die Veränderungen, die heute sichtbar sind, sind zu einem Teil das Erbe vergangener Einflussnahmen des Menschen. „Die aktuelle Zunahme der Veränderungen setzt, zumindest für die terrestrischen Ökosysteme, eine längere Beschleunigung fort, die bereits vor Jahrtausenden begann“, heißt es in der Studie. Im ausklingenden Pleistozän vor 20.000 Jahren bis zum frühen Holozän vor 11.000 Jahren war es noch der Klimawandel, der die Biodiversität bestimmte. Seit dem mittleren Holozän prägt der Mensch durch die Landnutzung die Erde. Kommende Forschung soll zeigen, was im Detail die Veränderungen der Biodiversität bewirkt hat. „Es ist sehr wichtig, diese Ursachen zu kennen. Wir konnten in unserer Studie den Kontext aufzeigen, in dem die Veränderungen passieren“, so Flantua. Dieser Kontext ist ein wichtiges Indiz, auch für das Ausmaß der Veränderungen. Heute werden rund 75 Prozent der eisfreien Landmasse der Erde durch den Menschen genutzt und der Verlust der Arten von Pflanzen und Tieren hat sich beschleunigt und wohl bereits die ökologischen Möglichkeiten der Erde, auf die Klimakrise zu reagieren, geschmälert.

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