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Dies & Das: Nicht einmal ein Zehntel wird weltweit recycelt

Kunststoffkrise David Rennert 2.Dezember 2022 Nicht einmal ein Zehntel wird weltweit recycelt: Verhandlungen zu Plastikmüll gehen in die nächste Runde Die Uno will ein verbindliches Abkommen zur Müllvermeidung, nun macht auch die EU-Kommission neue Vorschläge Die Entwicklung und Herstellung von Plastik hob erst in den 1950er-Jahren so richtig ab – und veränderte die Welt. Kunststoffe machten als Verpackungen Lebensmittel länger haltbar, revolutionierten die Medizin und ermöglichten eine viel billigere Produktion unzähliger Alltags- und Gebrauchsgegenstände, die für Kunden und Verbraucherinnen leistbarer wurden. Die Kehrseite des großen Plastikbooms ist hinlänglich bekannt: Fast 500 Millionen Tonnen Plastik werden inzwischen weltweit pro Jahr produziert, aber nur neun Prozent davon werden recycelt. Erhebliche Teile davon gelangen in die Umwelt. Die sichtbare – und in Form von Mikroplastik auch unsichtbare – Plastikkontamination nahezu aller Ökosysteme unseres Planeten ist die Folge. Umweltschützer und Expertinnen mahnen seit Jahren an, dass es dringend verbindlichere Regeln braucht, damit die Menschheit ihr Plastikproblem in den Griff bekommt. Nach langem Ringen beschloss die Umweltversammlung der Vereinten Nationen im vergangenen März schließlich die Schaffung eines rechtsverbindlichen Abkommens gegen Plastikverschmutzung, aktuell tagen Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen und Umweltverbänden aus 150 Ländern in Uruguay. Im kommenden Jahr sind zwei weitere Beratungsrunden geplant. Recyclingquoten in der EU Die EU-Kommission hat indes zwei zentrale Vorhaben für die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen vorgeschlagen. Wie diese Woche bekannt wurde, soll demnach eine Überarbeitung der Verpackungsrichtlinie dafür sorgen, Verpackungsmüll in der EU bis 2040 um 15 Prozent zu reduzieren. Ohne neue Regelungen würde die Müllmenge voraussichtlich deutlich ansteigen. So will die Kommission beispielsweise unnötige Einwegverpackungen verbieten und verbindliche Quoten für die Wiederverwendung einführen. Insgesamt soll deutlich mehr recycelt werden: Bis 2030 sollen alle Verpackungen recyclingfähig sein und je nach Produkttyp zwischen zehn und 35 Prozent recyceltes Material enthalten müssen. Das zweite Vorhaben der Kommission betrifft einen politischen Rahmen für biobasiertes und biologisch abbaubares Plastik. Dieser enthält keine bindenden Regeln, sondern soll als Richtschnur für künftige EU-Regulierungen gelten. Die Kommission definiert darin, unter welchen Umständen „Bioplastik“ ökologisch sinnvoll ist und wie Produkte aus biobasierten Kunststoffen gekennzeichnet werden sollten. Vage und langsam Für den Kreislaufwirtschaftsforscher Henning Wilts vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie geht der Vorschlag in die richtige Richtung: „Die hier vorgeschlagenen Ziele werden den Markt für Verpackungslösungen fundamental verändern.“ Dafür brauche es vor allem massive Investitionen in neue Sortier- und Recyclinganlagen in Europa. „Diese Maßnahmen sind mit Blick auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft aber absolut notwendig und längst überfällig – ein ‚Weiter so‘ kann keine Option sein“, sagte Wilts. Gleichzeitig mangle es dem Vorschlag aber in vielen Bereichen an Ambition für eine rasche Umsetzung, kritisiert der Wissenschafter. „Eine Wiederverwendungsquote von 80 Prozent für Getränke im Jahr 2040 ist ein schönes Ziel. Es bedeutet aber, dass sich etwa in Deutschland in den nächsten 15 Jahren kaum etwas verändern wird. Hier wird an vielen Stellen massiv Zeit vergeudet, da schon heute erfolgreiche Start-ups die technische Umsetzbarkeit demonstrieren.“ Auch die Vorgaben zur Recyclingfähigkeit von Verpackungen seien noch sehr vage. In Österreich fallen jedes Jahr rund 900.000 Tonen Plastikmüll an. Um die Recyclingquote zu erhöhen, wurden bereits neue Weichen gestellt: So müssen ab 1. Jänner 2023 österreichweit alle Kunststoffverpackungen einheitlich gesammelt werden. Zudem soll ab 2025 ein Pfand auf Plastikflaschen (und auf Aludosen) eingehoben werden. Allgegenwärtige Abfälle – selbst in unserem Blut Indes hat die weltweite Umweltverschmutzung durch Plastikmüll und Mikroplastik längst ungeheure Ausmaße erreicht. Betroffen sind vor allem die marinen Ökosysteme: Plastik macht schon jetzt rund 85 Prozent des gesamten Mülls in den Ozeanen aus, das Umweltprogramm der Uno rechnet aber mit einer Verdreifachung der Abfälle in den Meeren bis 2040. „Der überwiegende Teil des nicht fachgerecht entsorgten Plastikmülls landet in Flüssen und wird in die Ozeane gespült“, sagt Steve Fletcher von der Universität von Portsmouth zu „Nature News“. Die Umweltkosten dieser Verschmutzungen belaufen sich Schätzungen zufolge auf 100 Milliarden Euro pro Jahr. Auch die gesundheitlichen Folgen für Mensch und Tier sind enorm. Gewaltige Mengen an Plastik werden weltweit verbrannt und stellen damit eine erhebliche Luftschadstoffquelle dar. Zudem gibt es kaum noch einen Ort auf der Erde, der nicht von winzigen Plastikteilchen kontaminiert ist: Mikroplastik ist in Gebirgsgletschern ebenso zu finden wie in der Tiefsee, in arktischen Schneeflocken, in Bodensedimenten oder tierischen und menschlichen Körpern. Erst kürzlich wiesen Wissenschafter nach, dass Bartenwale vor der Küste Kaliforniens täglich mehrere Millionen solcher Partikel mit ihrer Nahrung zu sich nehmen. Aber auch Menschen konsumieren täglich Mikroplastik, pro Woche nehmen wir etwa fünf Gramm Plastik zu uns, das entspricht dem Gewicht einer Kreditkarte. Selbst in unserem Blut sind Rückstände davon nachweisbar. Welche genauen Folgen das hat, ist noch längst nicht geklärt. Forschende nehmen aber an, dass Mikroplastik unter anderem zu Entzündungen in Zellen führen und vielleicht sogar zur Entstehung von Tumoren beitragen kann. (David Rennert, 2.12.2022) Zum Thema:

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