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Dies & Das: Wie man die Demokratie sanieren kann

Ein Klick führt Sie zum STANDARD… Demokratie                   Colette M. Schmidt, Martin Tschiderer            22. Oktober 2022      Postings Inhalt Wie man die Demokratie sanieren kann Fachleute fordern Transparenz, Qualifikation, Moral und Bildung, um das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen. Die ÖVP werde zudem nicht um personelle Konsequenzen herumkommen Schmids Anschuldigungen gegen zentrale ÖVP-Politiker, allen voran Ex-Kanzler Sebastian Kurz, haben so viel Gewicht, dass sie nicht nur die ÖVP bis in ihren Kern erschüttern. Foto: HANS KLAUS TECHT Wenn der Bundespräsident Medien kurzfristig für ein Statement in die Präsidentschaftskanzlei bittet, liegt die Vermutung nahe, dass in der Republik Feuer am Dach ist. Demokratischer Wasserschaden Doch was Alexander Van der Bellen „unserer Heimat und unserer Demokratie“ am Donnerstagnachmittag attestierte, war kein Brand, sondern ein „Wasserschaden“. Der gehe an die Substanz der Demokratie und verlange nach einer „Generalsanierung mit glaubhaften Garantien“. Tatsächlich waren die meisten Vorwürfe, die gegen die ÖVP im Raum stehen, schon bekannt, bevor die Protokolle der Vernehmungen von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft öffentlich wurden. Doch Schmids Anschuldigungen gegen zentrale ÖVP-Politiker, allen voran Ex-Kanzler Sebastian Kurz, haben so viel Gewicht, dass sie nicht nur die ÖVP bis in ihren Kern erschüttern. Denn es geht um Volksvertreter, die das System mutmaßlich für ihre eigenen Zwecke missbrauchten und Freunde und Vertraute mit Posten versorgten. Van der Bellen beklagte, dass sich Menschen mit „Schaudern“ von der Politik abwenden – und auch Fachleute teilen diese Einschätzung. Aber werden durch die ÖVP-Affären tatsächlich alle etablierten Parteien, gar die Demokratie an sich geschwächt? Die ruinierte Branche Ja, glaubt Politikwissenschafter Peter Filzmaier, die ÖVP-Affären würden zur „Verfestigung der Politik als vom Image her ruinierte Branche“ beitragen. Sie hinterließen auch einen Flurschaden für die Demokratie. Dabei waren die Zustimmungswerte zur Demokratie als Regierungsform in einschlägigen Studien wie dem „Demokratie-Monitor“ des Sora-Instituts oder dem „Demokratie-Radar“ schon bisher stark angekratzt. Ein harter Kern deklarierter Demokratiegegner ist eine gesellschaftliche Konstante – die durchschnittlich nicht höher als bei rund fünf Prozent der Bevölkerung liegt. Das gravierendere Problem sei eine weit größere Gruppe, die zumindest latent anfällig für Demokratieskepsis sei, bis zu einem Drittel ausmache und wachse, sagt Filzmaier. „Genau die sind in Krisensituationen und nach Politikskandalen die Zielgruppe für politische Rattenfänger.“ Die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle teilt den Befund, dass die jüngsten Vorwürfe „das gesamte politische System“ beschädigten. „Es bestätigt in der Bevölkerung eine dunkle Vermutung.“ Die andauernden Skandale stärkten Populisten und Kleinparteien, vor allem die Jugend verliere ihren Glauben an die „Steuerungsfähigkeit der Politik“. Auf der Straße und im Netz seien junge Menschen trotzdem politisch aktiv. Doch wie kann eine Parteiendemokratie so noch funktionieren? Macht für neue Parteien Die Politologin sah im Bundespräsidentschaftswahlkampf den Beleg: „Starke Männer können sehr viele Stimmen gewinnen für eine Position, für die man eigentlich Qualifikation braucht. Doch wenn man das Gefühl hat, es geht nur um Posten und Macht, dann kann es ja jeder.“ Vetternwirtschaft und Korruptionsskandale nützten vor allem neuen Parteien, die mangels Regierungsbeteiligung noch keine Chance zum Machtmissbrauch hatten, meint Filzmaier. Bei politikverdrossener Stimmungslage genüge es, neu und anders zu sein, um bei Wahlen eine Chance zu haben – zumindest kurzfristig. Würde heute eine Partei mit dem Namen „Keine von denen da oben“ gegründet, stünde sie als neue Liste ganz unten auf dem Stimmzettel. „Unter allen etablierten Parteien fände sich dann die Kurzbezeichnung ‚Keine‘“, sagt Filzmaier. „Auch ohne Programm und Wahlkampf gäbe es die reelle Chance, dass vier Prozent der Wähler und Wählerinnen das ankreuzen.“ Aufgedeckt Stainer-Hämmerle sieht aber auch positive Aspekte in den neuen Entwicklungen, denn sie zeigten: „Der Rechtsstaat funktioniert, die Dinge wurden aufgedeckt, und man kommt nicht durch damit.“ Der Historiker Heinz Wassermann, der an der FH Joanneum auch Politikforschung betreibt, glaubt ebenso, dass für die ÖVP die einzige Chance darin bestehe, „Tabula rasa“ zu machen. Wobei ein „Rücktritt auf Verdacht immer ein Problem“ sei. „Offensichtlich muss man in Österreich wirklich eine Haftstrafe ausfassen, um zurückzutreten.“ Die ÖVP müsste jetzt jedenfalls „alles, was an Kurz-Relikten noch da ist“, in die dritte oder vierte Reihe verräumen. „Kanzler Nehammer war als Wahlkampfleiter auch Part of the Game. Mich wundert seine mangelnde Sensibilität daher sehr. Er hätte wissen müssen, dass da noch einiges im Anrollen ist. Nur auf Zeit zu spielen wird nicht gehen, dafür ist die Suppe auch politisch schon zu dick“, glaubt Wassermann. Aber was können die bestehenden Parteien jetzt tun, um den Glauben an die Parteiendemokratie wiederherzustellen? „Ich finde gut, was die Neos jetzt fordern: Wir müssen für Regelungen sorgen, damit das künftig nicht passieren kann, also für transparente Postenvergaben und transparente Geldflüsse“, sagt Stainer-Hämmerle. Parteien müssten sich zudem überlegen, „welche Angebote sie machen können, damit sich wieder Menschen angezogen fühlen“. Transparenz Korruptionsvorwürfe gehören jedenfalls zu den Faktoren, die Menschen besonders stark davon abhalten, sich am demokratischen System zu beteiligen, sagt die Wiener Demokratiewissenschafterin Tamara Ehs, die zurzeit an der Goethe-Universität Frankfurt forscht. Das gelte besonders, wenn es sich nicht nur um einzelne Ereignisse und Personen, sondern um ein systemisches Problem handle. In Österreich bekomme man den Eindruck eines anhaltenden Zustands, in dem sich Politikerinnen und Politiker „gegen das Gemeinwohl und für die Interessen einiger weniger entscheiden“. Der Eindruck einer Elite, die es sich selbst richte, die öffentliche Ämter mit privaten Interessen überlagere, widerspreche dem Wesen der Demokratie. „Und es ist ein Angriff auf das Versprechen der Gleichheit, von dem die Demokratie lebt.“ Auch Ehs sieht Transparenz als einen Ausweg aus der Krise: „Entscheidend ist jetzt, die Reformen anzugehen, die uns seit Jahren vom Europarat, von Transparency International und anderen internationalen Organisationen angeraten werden“, sagt Ehs: eine Reform der Parteienfinanzierung, neue Straftatbestände für Mandatskauf und die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Auch die Whistleblower-Richtlinie der EU sei immer noch nicht zufriedenstellend umgesetzt. „Das eigentliche ‚Kaufhaus Österreich‘“, spielt Ehs auf ein missglücktes Projekt der Ex-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck an, „der Selbstbedienungsladen innerhalb der Republik, muss geschlossen werden.“ Neben mangelnder Transparenz sieht Stainer-Hämmerle auch mangelnde Moral und Qualifikation als Problem. Kompetenz und Moral Präsidentschaftsbewerber Dominik Wlazny habe etwa Menschen angesprochen, weil er sinngemäß gesagt habe: „Wir müssen mehr reden, ich weiß auch nicht

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