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Dies & Das: Das Beste, was das Internet hervorbrachte

Wikipedia Gregor Kucera, Redakteur | Online Das Beste, was das Internet hervorbrachte Die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia basiert auf einem Flop, löste gedruckte Lexika ab und feiert ihren 20. Geburtstag. Böse Zungen behaupten, das Beste, was das Internet in seiner bisherigen Geschichte hervorgebracht habe, sei die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Diese ging am 15. Jänner 2001 an den Start – und hat die Welt nachhaltig verändert. Wikipedia ist eine der meistgeklickten Seiten im Internet. Sogar die erfolgreichste, hinter der kein mächtiger Konzern steckt, sondern mit der Wikimedia Foundation eine Stiftung, und vor allem hunderttausende freiwillige Autorinnen und Autoren auf der ganzen Welt. Die Welt vor Wikipedia Die Enzyklopädiewelt vor Wikipedia war eine von Brockhaus oder der Encyclopedia Britannica. Für diese Werke hat man Bücherregale erfunden. Der „wahre“ Brockhaus (es gab den Brockhaus in einem Band, den Großen Brockhaus in einem Band, in fünf und in 15 Bänden) bestand aus 24 dicken, in Leder oder Halbleder gebundenen Edelbänden und kostete rund 3.000 Euro. Die broschierte Studienausgabe war ebenso wie die digitale Edition auf zwei CD-ROMs für etwa 1.000 Euro käuflich zu erwerben. Seit Jahren dominierte zudem „Encarta“ von Microsoft den Markt der digitalen Lexika. Doch dann kam Wikipedia. Jimmy Wales und Larry Sanger (er stieg 2003 aus dem Projekt aus) gründeten die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia am 15. Jänner 2001. Zum Vergleich: Google startete am 15. September 1997, Facebook am 4. Februar 2004, ein Jahr später YouTube, 2006 folgte Twitter. Zur englischsprachigen Wikipedia-Version kam bereits am 16. März 2001 eine deutschsprachige hinzu. Seit 2003 wird die Wikipedia von der gemeinnützigen Wikimedia Foundation betrieben. Deren Zweigverein Wikimedia Österreich besteht seit 2008. Die spendenfinanzierte und werbefreie Wikipedia liegt weltweit auf Rang 12 der am meisten abgerufenen Websites, in Österreich auf Rang 6. Das damals neuartige und schlussendlich langfristig erfolgreiche Konzept eines Wikis, mittlerweile vielfach kopiert, beschreibt Jimmy Wales – immer noch das Gesicht von Wikipedia – so: „Die ursprüngliche Idee von Wikipedia haben wir uns damals von der wachsenden Open Source Software Community abgeschaut. Gleichzeitig sind wir aber dezentral organisiert – wie eine Kleinstadt.“ Obwohl jeder seine Interessensgebiete verfolgen kann, arbeiten dennoch alle an einer Aufgabe – eine Enzyklopädie zu betreiben. „Hätten wir uns als Forum organisiert, wo jeder was reinschreiben kann, hätten wir uns nicht so lange gehalten“, so Wales. „Hier arbeiten sehr viele Leute mit großer Passion. Diese Gemeinschaft prüft die Einhaltung unserer Regeln. Das unterscheidet uns im Internet von vielen anderen Angeboten. Wir sind hier, um einander zu helfen und Wissen zu teilen.“ Mehr als 280.000 freiwillige „Wikipedianer“ arbeiten jeden Monat für die Online-Enzyklopädie. Pro Sekunde gibt es etwa 1,9 Änderungen in den Einträgen der 55 Millionen Artikel, die in 304 Sprachen verfügbar sind und monatlich von 1,5 Milliarden Anwendern abgerufen werden. Die Inhalte in der Wikipedia stehen, wenn sie nicht gemeinfrei sind, unter einer Freien Lizenz. Das bedeutet, dass sie – unter Bedingungen wie Namensnennung und Link zur Lizenz – frei weiterverwendet und dabei auch verändert werden dürfen. „Wikipedia ist ein Ehrenamt, das wie alle Freiwilligen-Leistungen in unserer Gesellschaft mehr Anerkennung verdient“, fordert Raimund Liebert, Geschäftsführer der heimischen Wikipedia-Gesellschaft Wikimedia Österreich. In Österreich sind es etwa 575 Menschen, die regelmäßig Beiträge in der Online-Enzyklopädie leisten. Davon kommen rund 70 auf mehr als 100 Bearbeitungen im Monat. Nach wie vor hat das Projekt Schwierigkeiten, Frauen für die Mitarbeit zu gewinnen. Weltweit wird der Frauen-Anteil unter den Wikipedia-Aktiven auf 12 Prozent geschätzt, unter den neuen Mitwirkenden sind es aktuell rund 22 Prozent. Wikipedia-Projekte wie „Frauen in Rot“ für biografische Artikel und Kampagnen rund um den Frauentag am 8. März sollen gezielt Frauen ansprechen. Für alle Menschen, die sich in ihrer Freizeit online engagieren möchten, kann das Wikipedia-Jubiläumsjahr jedenfalls ein neuer Ansporn sein. Die Herausforderungen Und genau dies zeigt eine der Schwachstellen, oder Herausforderungen, bei Wikipedia auf, die gelöst werden müssen, damit man zukunftsfähig bleibt. Es gibt viel zu wenige Frauen, die am Online-Lexikon mitarbeiten, zudem sind es auch meist weiße Männer aus reicheren Gegenden der westlichen Welt. Der Männerüberhang in der Autorenschaft zeigt sich auch in der Sprache und führt immer wieder zu Diskussionen. In Wikipedia wird nicht gegendert. In den Statuten gibt es Autoren, Administratoren und Schiedsrichter – immer nur in der männlichen Form. Das Gleiche in den Artikeln. Auch „Gendersternchen“ oder ein großgeschriebenes I in der Mitte eines Wortes sind in Wikipedia nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Die Wikipedia umfasst 304 Sprachen, von Abchasisch bis Zulu. Die einzelnen Sprachversionen divergieren in Anzahl und Umfang der Artikel teilweise stark voneinander. Die älteste und mit Abstand größte Wikipedia-Sprachversion ist die englischsprachige. Die in der austronesischen Sprache Cebuano geschriebene Wikipedia ist die zweitgrößte nach Anzahl der Artikel. Diese werden allerdings anders als üblich großteils nicht von Menschen, sondern von Computerprogrammen geschrieben. Die boarische Wikipedia gehört zur Kategorie der Mundart-Wikipedias und kann mit einer boarischen Fluachsammlung aufwarten. Die Esperanto-Wikipedia hat eine aktive Community von gut 100 Beitragenden und ist nur eine von mehreren, die in einer Plansprache geschrieben sind. Nicht ohne Stolz stellte Wales kürzlich fest, dass Wikipedia, trotz Corona, von Verschwörungstheorien verschont blieb: „Es ist recht schwer, die Wikipedia-Gemeinschaft an der Nase herumzuführen. Seit Jahren untersuchen und diskutieren wir unsere Quellen. Es kommt auf die Gemeinschaft an. Quellen und Bestätigungen sind für uns ein zentrales Element.“ Jedoch nicht überall ist man beliebt: In China, dem Iran oder auch Usbekistan ist die Seite gesperrt, Russland arbeitet an einer regierungstreuen „Alternative“. Die Zukunft von Wikipedia liegt nicht nur in den Händen der Spender und Unterstützer. Neue Projekte wie etwa Wikidata, eine strukturierte maschinenlesbare Wissensdatenbank, sollen stetig Neues bringen. Aber das ist nur eines von vielen freien Projekten, die die Gesellschaft von Google, Amazon, Alibaba und Co. unabhängiger machen sollen. Eine schwierige, aber wichtige Mission. Die Wikipedia ist nur eines von mehreren Wikimedia-Projekten für Freies Wissen: Wikipedia – freie Enzyklopädie Wikimedia Commons – freie Mediensammlung Wikidata – freie Wissensdatenbank Wikiversity – freie Lernplattform Wiktionary – freies Wörterbuch Wikibooks – freie Lehrbuchsammlung Wikinews – freie Nachrichtenplattform Wikiquote – freie Zitatesammlung Wikisource – freie Quellensammlung Wikispecies – freies Artenverzeichnis Wikivoyage – freier Reiseführer MediaWiki – freie Software RegiowikiAT – freie österreichische Heimatbücher

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