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Dies & Das: Österreich 2023: eine feministische Bestandsaufnahme

Von Beatrice Frasl 21.07.2023 Thema: Demokratie Österreich 2023: eine feministische Bestandsaufnahme Seit Jahrzehnten käuen feministisch Aktive die immer selben Forderungen wieder. Weil sie immer noch nicht erfüllt werden, ist dieses Land nun um eine feministische Kolumne reicher. Schilder mit der Aufschrift „I can’t believe I still have to protest this shit“ sind mittlerweile Standardausrüstung bei feministischen Protesten und auf Social Media zum Meme geworden. Für jene von uns, die feministisch aktiv sind, beschreiben sie eine Art Grundgefühl, denn seit Jahrzehnten käuen wir die immer selben Forderungen wieder. Aktuell müssen wir sogar mehr Zeit mit Abwehrkampf von Rückschritten verschwenden statt Fortschritte in Richtung geschlechtergerechtere Welt zu machen. Das macht jene Dinge, die gesagt und geschrieben werden müssen, aber nicht weniger, sondern umso wichtiger. Dieses Land ist deshalb mit heute um eine feministische Kolumne reicher. Österreich im Spitzenfeld beim Gender Pay Gap Und sie startet mit einer Bestandsaufnahme: Österreich ist mit 18,8 Prozent im europäischen Negativ-Spitzenfeld, wenn es um Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern geht. Innerhalb der EU ist der Gender Pay Gap nur in Estland höher, dort nämlich beträgt er 20,5 Prozent. Wenn es um die Verteilung von Vermögen geht, verfügen Frauen, je nach Erhebung, über 30-40 Prozent weniger Kapital. Frauen erhalten 41,06 Prozent weniger Pension als Männer (eine Minimalverbesserung von 0,52 Prozent zum Vorjahr). Die derzeitige Berechnung der Pension diskriminiert Frauen für ihre unbezahlte Arbeit zuhause – für die Arbeit, die sie in der Kinderbetreuung, in der Pflege kranker und alter Angehöriger und im Haushalt leisten. Ein Resultat daraus ist das schockierende Ausmaß an Altersarmut, das Frauen in diesem Land trifft. Altersarmut trifft vor allem Frauen Doppelt so viele Frauen wie Männer sind in Österreich von Altersarmut betroffen, sie können beispielsweise ihre Wohnungen nicht heizen, sich nicht ausreichend und gesund ernähren oder sich keine neue Waschmaschine kaufen, sollte die alte eingehen. Frauen sind in Österreich für den Großteil der unbezahlten Reproduktionsarbeit zuständig, sie staubsaugen, sie kochen, sie pflegen, sie trösten, sie wischen Kotze weg. Täglich, unsichtbar und unbezahlt. Und wenn Reproduktionsarbeit nicht unbezahlt von Frauen innerhalb von Familien geleistet wird, wird sie schlecht bezahlt und unter schlechten Arbeitsbedingungen auf andere Frauen ausgelagert.  Schwangerschaftsabbruch ist in Österreich nach wie vor illegal. Ja, ihr habt richtig gelesen. Mit der sogenannten „Fristenlösung“ ging 1975 keine Legalisierung einher, sondern lediglich die Straffreiheit der Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen. Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor im Strafgesetzbuch geregelt. Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor im Strafgesetzbuch geregelt. Schwangerschaftsabbruch ist, unter anderem deshalb, auch nach wie vor eine privat zu bezahlende Gesundheitsdienstleistung und sehr schwer zugänglich.  Mehr Femizide als in jedem anderen Land Frauen sind in hohem Ausmaß von Gewalt in Partnerbeziehungen und von sexueller und sexualisierter Gewalt betroffen. Während ein MeToo-Fall nach dem anderen mediales Aufsehen erregt (zuletzt: Rammstein), gibt es in Österreich mehr Femizide als in jedem anderen europäischen Land. Ein Femizid, das ist, ich zitiere von der Homepage der autonomen österreichischen Frauenhäuser, „die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von ‚Verstößen‘ gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden. Femizide gehören daher zu den Hassverbrechen.“ 2022 wurden 29 Frauen in Österreich von Partnern oder Expartnern ermordet. 2023 (wir schreiben Anfang Juli) sind es bereits 13. Jede dritte Frau in Österreich ist von sexueller und/oder körperlicher Gewalt betroffen. Rechte werden zurück-, nicht ausgebaut Ich würde nun gerne die Worte schreiben: „Aber glücklicherweise leben wir im Jahr 2023 und es gibt eine starke feministische Bewegung, stolze Frauenpolitikerinnen in politischer Verantwortung und wir machen ständig Schritte in eine richtige, geschlechtergerechtere Richtung.“ Kann ich aber nicht. Denn: Die Annahme, dass der Lauf der Geschichte sich stetig der Gerechtigkeit zubewegt, ist eine Lüge. Wir befinden uns inmitten eines brachialen antifeministischen Backlashes, innerhalb von Österreich wie international. Rechte in Sachen sexueller Selbstbestimmung und Freiheit werden nicht aus-, sondern rückgebaut. In Polen, in Ungarn, in den USA. Auch in Österreich lobbyiert eine erstarkte (und katholisch geprägte) Rechte seit Jahren, die wenigen und schlechten Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch, die Frauen in diesem Land haben, weiter einzuschränken. Während Mordkriminalität insgesamt sinkt, steigt sie gegen Frauen. Während Mordkriminalität insgesamt sinkt, steigt sie gegen Frauen. Bereits Corona hat Fortschritte in Sachen Feminismus um Jahrzehnte zurückgedreht. Wie immer in Krisen, sind Frauen diejenigen, die am meisten draufzahlen, deren politische Forderungen am wenigsten gehört werden und deren Interessen in den Hintergrund geraten. Die Inflation verstärkt die Geschlechterungleichheit weiter. Wenn wir davon sprechen, dass Arme immer ärmer werden, dürfen wir nicht vergessen, dass diese Armen primär Frauen sind. In der öffentlichen und veröffentlichten Debatte wird auf diese wichtige, feministische Perspektive aber vergessen. Die Misogynie erstarkt Gleichzeitig sind wir mit einer nie dagewesenen Wiedererstarkung von Misogynie konfrontiert und das von allen Seiten, angepeitscht von Social-Media-Algorithmen und virtueller Anonymität. Und der Feminismus selbst verliert sich in Grabenkämpfen. Feministinnen sind, ganz in einem neoliberalen und patriarchalen Sinne, zu (um die Schriftstellerin Gertraud Klemm zu zitieren) „Einzellern“ geworden, die lieber einander bekämpfen, während das Patriarchat wiedererstarkt und rechte Parteien weltweit das Ruder übernehmen. Parteien links der Mitte wiederum legen lieber Lippenbekenntnisse ab für imaginierte feministische Idealsubjekte anstatt Politik für reale Frauen in ihren realen Lebensumständen zu machen. Ich könnte hier noch seitenlang weitermachen, wer die Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis beschreibt, wird so schnell nicht fertig. Aber das ist ja nur der Einführungstext zur Kolumne. Ich habe also noch ausgiebig Raum dafür in den kommenden Ausgaben. Ich will ehrlich sein: I can’t believe I still have to write about this shit. Aber es bleibt einer ja nichts anderes übrig, als immer wieder zu sagen und zu schreiben, was gesagt und geschrieben werden muss. Das werde ich hier, an der Stelle, nun zweimal im Monat tun.

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