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Dies & Das: Vogel des Jahres 2022

Susanne Strnadl 31. Jänner 2022 Wie man der gefährdeten Mehlschwalbe Aufwind verleihen kann Jahrhundertelang galten Schwalben als Frühlingsboten und Glücksbringer, die Haus und Hof vor diversem Unheil bewahrten, nicht zuletzt vor vielen lästigen Insekten. Heutzutage sind die wendigen Flieger stark im Rückgang begriffen – der Grund dafür sind Nahrungs- und Wohnungsmangel. Besonders betroffen ist die Mehlschwalbe. Im Siedlungsbereich kann man zwei Schwalbenarten antreffen, nämlich die Rauch- und die Mehlschwalbe, die man zusätzlich mit dem ähnlich aussehenden Mauersegler verwechseln kann. Die Unterscheidung ist aber mit etwas gutem Willen durchaus machbar: Der tief gegabelte Schwanz der Rauchschwalbe weist lang auslaufende Spitzen auf, die bei Mehlschwalbe und Mauersegler fehlen. Außerdem ist die Unterseite der Rauchschwalbe rötlich-schwarz-weiß, die des Mauerseglers dunkel und die der Mehlschwalbe ebenso wie ihre Beine reinweiß – ein Umstand, dem sie auch ihren Namen verdankt: Sie sieht aus, als wäre sie im Mehl gesessen. Meisterin der Reparatur Bei uns hält sich die Mehlschwalbe nur im Frühling und Sommer auf, wie in einer alten Bauernregel festgehalten: „Zu Maria Geburt (8. September) fliegen die Schwalben furt, zu Maria Verkündigung (25. März) kommen sie wiederum.“ Die kalte Jahreszeit verbringen sie in Afrika, südlich der Sahara und bis zu 9.000 Kilometer von ihrem Brutgebiet entfernt. Nach ihrer Rückkehr machen sie sich rasch ans Brüten, wobei sie, sofern möglich, ihr altes Nest wieder benutzen. Im Bedarfsfall reparieren sie es auch. Alles ist weniger anstrengend als ein neues Nest zu bauen: Immerhin braucht es dafür bis zu 1.500 Lehmkügelchen, für die die Vögel an Lacken oder Gewässerrändern kleine Portionen Lehm im Schnabel zu Kugeln formen und einzeln zum Nistplatz transportieren. Etwa ab Mitte Mai beginnen die Weibchen mit der Ablage von drei bis fünf Eiern, die zwei bis drei Wochen von beiden Eltern bebrütet werden. Schwerarbeit Circa im Juni schlüpfen die Jungen der ersten Brut, und von da an leisten die Eltern Schwerarbeit, um möglichst alle Schnäbel sattzubekommen: Innerhalb einer Saison verfüttert ein Schwalbenpärchen rund ein Kilo Insekten an seine Nachkommen, wobei meist im Sommer eine zweite Brut erfolgt. Dazu kommt der Eigenbedarf der Eltern, die pro Tag gut die Hälfte ihres Eigengewichts verzehren. Die Nahrung besteht dabei größtenteils aus Luftplankton, also aus in der Luft vorhandenen Insekten. Das ist auch der Grund dafür, dass Schwalben bei bevorstehendem Schlechtwetter tiefer fliegen: Je wärmer die Luft ist, desto höher steigt sie auf – und nimmt dabei die Insekten mit. Vor Regen jedoch sinkt der Luftdruck und damit auch die Flughöhe des Luftplanktons. Birdlife schätzt den Mehlschwalbenbestand in Österreich auf rund 15.000 Brutpaare. Das mag viel klingen, solange man nicht weiß, dass es noch vor 20 Jahren doppelt so viele waren. Schuld an dem massiven Rückgang ist wieder einmal – sowohl direkt als auch indirekt – der Mensch. Ursprünglich eine Bewohnerin steiler Felswände, hat sich die Mehlschwalbe schon vor Jahrhunderten dem Menschen angeschlossen und brütet heute in erster Linie an dessen Gebäuden. Fliegende Mitbewohner Dabei bevorzugt sie wettergeschützte Plätze, etwa unter Dachvorsprüngen oder unter Balkonen, ebenso wie Gesellschaft: Ein einzelnes Mehlschwalbennest kommt praktisch nicht vor. Oft sind es vier bis fünf; es können aber auch deutlich mehr sein: Im Burgenland etwa gibt es vereinzelt noch Kolonien mit bis zu 120 Paaren. Die lokale Bevölkerung ist stolz auf „ihre“ Schwalben und schützt sie entsprechend, wie Christina Nagl von Birdlife Österreich erzählt. Das ist durchaus nicht überall der Fall. Viele Hausbesitzer fürchten um die Sauberkeit ihrer Fassaden oder Balkone und haben entsprechend wenig Freude mit den geflügelten Mitbewohnern. Da es sich bei der Mehlschwalbe um eine geschützte Art handelt, ist das Entfernen ihrer Nester streng verboten, was jedoch nicht von jedem beachtet wird: „Vor allem in Wohnhausanlagen werden bei Fassaden- oder Dachrinnenreinigungen oft die Schwalbennester entfernt“, sagt Nagl. Dramatischer Rückgang Alternativ bringen manche Menschen Spikes an möglichen Brutplätzen an, und auch moderne Fassadenanstriche können die Ansiedlung verhindern: Sie sind so glatt, dass nichts an ihnen kleben bleibt – auch nicht der Lehm für die Schwalbennester. Diesen Lehm überhaupt aufzutreiben stellt die Vögel ebenfalls vor ein wachsendes Problem: Mit zunehmender Versiegelung wird es immer schwieriger, Pfützen und andere Wasserstellen mit lehmigem Rand zu finden. Dazu kommt, dass das Angebot an Insekten durch Pestizide und Intensivierung der Landwirtschaft seit Jahren dramatisch abnimmt, wodurch die Schwalben – ebenso wie andere insektenfressende Vögel – immer weniger Nahrung finden. Eine dänische Studie aus dem Jahr 2018 konnte zeigen, dass die Insektendichte direkten Einfluss auf die Anzahl der Brutpaare von Mehl-, Rauch- und Uferschwalben hat: Weniger Insekten bedeuten weniger Futter, die Altvögel können weniger Nachwuchs großziehen. Der Rückgang der Insekten muss mittlerweile als dramatisch bezeichnet werden: Eine Studie in deutschen Naturschutzgebieten ergab eine Reduktion fliegender Insekten zwischen 1990 und 2017 um gut 75 Prozent. Schuld daran dürften vor allem Insektizide in der umliegenden Landschaft sein, aber auch deren zunehmende Artenarmut an Pflanzen, die den Insekten als Nahrung dienen. Kost, Logis und Lehm Prinzipiell lassen sich die Bedürfnisse der Schwalben ganz leicht zusammenfassen, sagt Nagl: „Sie brauchen einen Platz, wo sie ihr Nest bauen können, die nötige Akzeptanz, damit sie das auch dürfen, und dann Nahrung, wofür es möglichst viele heimische, blühende Pflanzen braucht.“ Wo diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, hält sich auf Dauer keine Schwalbenkolonie. „Wenn die Vögel einmal weg sind, ist es gar nicht leicht, sie wieder zurückzubringen“, sagt Nagl, „denn besonders Mehlschwalben siedeln sich nur in der Nähe anderer Schwalben an.“ Wer die Schwalben unterstützen möchte, kann unter anderem eine Lehmlacke in seinem Garten anlegen und möglichst viele verschiedene heimische Blumen pflanzen. (Susanne Strnadl, 31.1.2022) Weiterlesen:

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