Blättern in der Chronik

Dies & Das: Wenn Wissenschafter zur Weltrettung ausrücken

Globale Probleme Tanja Traxler 21. November 2021 Wenn Wissenschafter zur Weltrettung ausrücken Die Welt hat Probleme, und die Universitäten haben Departments.“ Dieses Bonmot kommt Christian Pohl schmunzelnd über die Lippen, wenn er ausholt zu argumentieren, warum Forschung jenseits der althergebrachten wissenschaftlichen Disziplinen notwendig ist. Am Department Umweltsystemwissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ist Pohl an mehreren transdisziplinären Projekten beteiligt und hat zuletzt als Juryvorsitzender den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF dabei unterstützt, hierzulande eine Förderschiene für transdisziplinäre Forschung auf den Weg zu bringen. Im Gegensatz zu inter- oder multidisziplinären Ansätzen geht es bei transdisziplinären Forschungsprojekten darum, nicht nur mehrere wissenschaftliche Disziplinen mit einzubeziehen, sondern gleichermaßen auch gesellschaftliche Akteure. Während sich die herkömmliche Wissenschaft durch zunehmende Spezialisierung auf immer enger gefasste Fragestellungen verlegt, hat die transdisziplinäre Forschung keinen geringeren Anspruch, als die großen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen. „Das Wissen an den Hochschulen ist immer noch sehr stark nach Disziplinen organisiert“, sagt Pohl, „es braucht daher Prozesse, damit die Wissenschaft möglichst beitragen kann, um die großen Probleme der Welt zu bewältigen.“ Für Pohl besteht die große Herausforderung der Transdisziplinarität folglich darin, wie sich Wissenschaft organisieren lässt, um stärker zur Problemlösung beizutragen: „Bei der disziplinären Grundlagenforschung ist es ein Nebeneffekt, zur Problemlösung beizutragen. Bei der transdisziplinären Forschung ist genau das der Haupteffekt.“ Spielball der Politik Wenn Wissenschafter zur Weltrettung ausrücken, sehen sie sich mit einer Reihe an Herausforderungen konfrontiert – und auch einer Portion Skepsis, die ihnen streng disziplinär arbeitende Kollegen entgegenbringen: Wenn Forscher zu Problemlösern werden, verlieren sie dann nicht ihre Freiheit? Wenn sich Wissenschafter willfährig der politischen Arena ausliefern, machen sie sich damit nicht zum Spielball für politische und gesellschaftliche Interessen? Und, was soll dabei schon Neues herauskommen, ist das nicht einfach bloß angewandte Forschung? „Ich finde, all das stimmt so nicht“, sagt Pohl. Transdisziplinäre Forschung sei zwar mit Risiken verbunden, denn wenn man als Forschender einen gesellschaftlichen Beitrag leisten will, bewegt man sich in einem Graubereich zwischen Distanziert-Forschenden und Aktivist-Sein. Dieser Graubereich könne laut Pohl „herausforderend“ sein, aber gemeistert werden „indem man sich immer bewusst macht, welche Rolle man als Forscher vertritt – und wie sich diese von jener von Aktivisten oder Politikern unterscheidet“. Von Energietee bis Einstein Eine weitere Herausforderung der transdisziplinären Forschung besteht darin, dass sie „sehr zeitaufwendig ist“, wobei „ein Großteil der Zeit dafür benötigt wird, Begriffe zu erklären, deren Bedeutung man eigentlich für selbstverständlich hält“. So weit, so unbefriedigend. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie unterschiedlich konnotiert verschiedene Begriffe in den jeweiligen Disziplinen oder Gruppen sind, ist etwa Energie: Im Kontext der Physik ist die Energie etwa als Maß für geleistete Arbeit, für Wärme oder Strahlung definiert. Gemäß Albert Einsteins Relativitätstheorie ergibt sich eine Äquivalenz von Masse und Energie, die durch die Formel E=mc² ausgedrückt wird. Greift man hingegen im Supermarktregal zu einem „Energietee“ oder versucht man, in einem Gerichtsprozess die „kriminelle Energie“ eines Angeklagten zu erörtern, liegt dem jeweils ein völlig anderer Begriff von Energie zugrunde. Großer Zeitbedarf „Man braucht oft sehr viel Zeit, sich bewusst zu machen, was in anderen Disziplinen unter einem bestimmten Begriff verstanden wird“, sagt Pohl. In manchen Projekten könne es zielführend sein, sich auf ein gemeinsames Verständnis zu einigen. In anderen Projekten wiederum sei es sinnvoller, die wichtigsten Bedeutungen herauszuarbeiten und mit diesen parallel zu arbeiten. Bei der ersten Ausschreibung des Programms #ConnectingMinds des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, das sich dezidiert der Förderung von transdisziplinärer Forschung widmet, bekamen fünf Projekte den Zuschlag, die sich mit Partnern aus Wissenschaft und Praxis den Themenfeldern Pflege, nachhaltige Fleischproduktion, psychische Belastung und Therapie von Parkinson befassen. Im Auswahlverfahren war für Pohl und die weiteren Jurymitglieder zentral, „wie stark die Praxisakteure beim Projekt beteiligt sind und wie das Projekt zur Lösung eines sozialen Problems beiträgt“. Insgesamt werden 4,5 Millionen Euro an die fünf Projekte ausgeschüttet, deren Laufzeit fünf Jahre beträgt. FWF-Präsident Christof Gattringer hofft, dass der Fonds damit zu einer „neuen Forschungskultur“ beiträgt, „mit besonders guten Chancen, Ergebnisse hervorzubringen, die unser aller Leben verbessern“. Beispielsweise werden im Projekt „Caring Robots“ Experten von TU Wien, Universität Salzburg, Caritas Wien und Technischem Museum Wien die möglichen Rollen von Robotern in der Pflege untersuchen. Im Projekt „COwLEARNING“ von Universität für Bodenkultur, Vet-Med Wien und den Praxispartnern Rinderzucht Austria, Vier Pfoten und anderen sollen neue Wege einer tiergerechten, ökologisch und sozial gerechten Milch- und Fleischproduktion erforscht werden. Konträre Perspektiven Das Projekt „Unlocking the Muse“ der Universität Wien, ParkinsonsNet und der niederländischen Initiative De Nieuwe Creatieven erforscht die Rolle der künstlerischen Kreativität im Umgang mit Parkinson. Pohl engagiert sich seit 20 Jahren für transdisziplinäre Forschung. Das #ConnectingMinds-Programm des FWF begrüßt er als Pionierleistung für die Förderung transdisziplinärer Forschung eines nationalen Fördergebers von Grundlagenforschung. „Richtig spannend“ werde die transdisziplinäre Forschung für ihn erst dann, „wenn die verschiedenen Stakeholder konträre Sichtweisen vertreten, die ausgehandelt werden müssen“. Genau das sei auch bei den ausgewählten Projekten gegeben. (Tanja Traxler, 21.11.2021) Wissen: Links:

zum Originalbeitrag

Die Links zu weiterführenden Beiträgen und Bilder stehen nur im Originalbeitrag zur Verfügung