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Thema Gesellschaft & Politik…#21: Politische Verantwortung

Ivermectin Lara Hagen, Gabriele Scherndl 18. November 2021 Kickls Wurmmittel-Ratschläge bleiben ungestraft Selbst Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober reichte es. Er forderte auf Twitter dazu auf, strafrechtliche Fragen und Haftungsfragen zu Wurmmitteltipps eines gewissen „K“ zu klären. Dass dieses K für Kickl steht, liegt nahe, immerhin propagiert dieser seit Monaten zur Covid-Behandlung die Einnahme von Ivermectin, einem Entwurmungsmittel für Pferde. Nun liegt eine Steirerin wegen Ivermectin auf der Intensivstation, bestätigt wird dem STANDARD, dass sie aber außer Lebensgefahr sei. Dazu gesellen sich unbestätigte Gerüchte, die in sozialen Medien kursieren. Etwa dass gleich eine ganze Familie aus dem Bezirk Rohrbach in Oberösterreich wegen einer Überdosis des Mittels habe behandelt werden müssen: Der Vater sei bereits gestorben, die Mutter und zwei Kinder lägen mit Multiorganversagen auf der Intensivstation. „Wir können diesen Tweet nicht bestätigen, hier handelt es sich wahrscheinlich um Fake-News“, sagt dazu die Sprecherin der Oberösterreichischen Gesundheitsholding. Wir werden die strafrechtlichen Fragen und Haftungsfragen klären müssen – etwa wenn K Entwurmungsmittel empfiehlt – uvam . Wer könnte sich darum kümmern? — Rudi Anschober (@rudi_anschober) November 17, 2021 Sie kann sich das Gerücht nur mit einer Verwechslung erklären. Vor wenigen Tagen sei ein Mann wegen Covid auf die Intensivstation der Klinik Rohrbach gekommen, er wollte aber keine Behandlung und sei auf eigenen Wunsch auf die Normalstation verlegt worden, wo er relativ rasch an Corona verstorben sei. Von Verwandten hieß es dann zu den Ärztinnen und Ärzten, dass der Mann nur deshalb so schwer erkrankt sei, weil er zu wenig Ivermectin eingenommen habe, erzählt die Sprecherin. „Vielleicht hat jemand von dieser Geschichte gehört – und so kam dann eines zum anderen. Aber die Geschichte mit der Familie, die stimmt nicht.“ Warnungen längst bekannt Denn dass Ivermectin gefährlich ist, ist längst bekannt: Zahlreiche Institute und Einrichtungen wie die Weltgesundheitsorganisation haben schon vor der Einnahme gewarnt, nun tut das auch der Hersteller selbst. MSD (Merck Sharp & Dohme) teilte mit, dass das Medikament erstens nicht bei einer Corona-Infektion helfe und zweitens schwere Nebenwirkungen zu bedenken seien. Außerdem würden Lieferengpässe bereits die Behandlung jener Beschwerden, wofür das Medikament eigentlich da ist, behindern: Parasiten. Wobei der Pharmagroßhandelsverband Phago dem STANDARD mitteilte, dass bundesweit momentan kein Ansturm auf das Mittel feststellbar sei – zumindest auf legalem Weg. FPÖ-Chef Herbert Kickl riet jedenfalls noch vor zwei Wochen, und damit kurz vor seiner Corona-Infektion, zu Ivermectin – obgleich er freilich betonte, dass man sich dennoch mit dem Hausarzt absprechen müsse. Erst vor einer Woche teilte er auf seiner Facebook-Seite ein Video, in dem ein Arzt Ivermectin und Vitamin D bei einer Covid-Erkrankung empfahl. Keine rechtliche Handhabe Diesem Arzt würde sie „blind vertrauen“, kommentiert eine Frau unter das Video. Eine andere meint, die „mächtige herrschende Mafia“ habe Ivermectin zurückgezogen. Tipps wie diese und dazu noch die konsequente Impfskepsis Kickls sind also offenbar mit ein Grund, warum das Virus in Österreich dermaßen grassiert. Doch rechtlich – und damit zurück zum ehemaligen Gesundheitsminister – ist Kickl mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für dieses Verhalten zu belangen. Denn: Fake-News in die Welt zu setzen, also das Verbreiten von „falschen und beunruhigenden Gerüchten“, wie es früher im Gesetzestext hieß, ist seit Anfang 2016 in Österreich nicht mehr strafbar. Auch der Strafrechtler Frank Höpfel vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien sieht keine Handhabe gegen derartige Gesundheitstipps des FPÖ-Chefs. Am ehesten treffe auf die Sachlage noch der sogenannte Kurpfuscherparagraf zu, sagt Höpfel, jener greife aber nur, wenn eine derartige Gesundheitsberatung gewerblich ausgeübt werde. Im Gespräch mit dem STANDARD sagt Höpfel: „Die Beratung müsste mit der Absicht gemacht werden, damit Geld zu verdienen.“ Dass die FPÖ als Partei auch Spenden einnimmt, erfülle diesen Sachverhalt aber nicht. Andere strafrechtliche Delikte, etwa eine Körperverletzung oder die Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten, greifen hier laut Höpfel nicht, dazu fehle es an konkreten Handlungen. Anzeigen, aber keine Ermittlungen Laut Staatsanwaltschaft Wien seien wegen derartiger Fragestellungen bereits mehrere Anzeigen gegen einen hochrangigen FPÖ-Politiker eingelangt. Mangels Anfangsverdachts der Begehung einer strafbaren Handlung seien aber keine Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Wie ihr Kollege Höpfel sieht das auch Strafrechtlerin Verena Murschetz: Derartige Gesundheitstipps oder Aufrufe, sich nicht impfen zu lassen, seien zwar verheerend, aber wohl nicht durch das Delikt der Gefährdung durch übertragbare Krankheiten gedeckt, „denn Kickl selbst ist in der Situation nicht die unmittelbar gefährdende Person“, sagt sie – rein rechtlich seien die unmittelbaren Gefährder in dem Fall wohl corona-positive Personen, die das Virus potenziell weiterverbreiten. Selbst eine Bestimmungstäterschaft Kickls zur Gefährdung käme ihrer Ansicht nach nicht in Frage. Konsequenzen für verschreibende Ärzte Hat Kickl hingegen die Empfehlung abgegeben, Covid-Erkrankungen mit Ivermectin zu behandeln, und würde dann eine Person aufgrund dieser Empfehlung an der Vergiftung durch den Gebrauch dieses Medikaments sterben, so stehe die Strafbarkeit wegen Fahrlässiger Tötung im Raum, sagt Murschetz: „Das gilt jedenfalls, wenn ein Arzt oder eine Ärztin Ivermectin verschreibt und eine Person daraufhin verstirbt.“ Voraussetzung für die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung sei aber, dass dieses Mittel zum Tod geführt hat – es müsste nachgewiesen werden, dass tatsächlich das Medikament die Todesursache war, nicht die Covid-Erkrankung. Dazu können – auch ohne Todesfälle – andere Konsequenzen kommen. Ärzte und Ärztinnen, die das Mittel verschreiben, wenn das nicht nötig oder gar schädlich ist, drohen Disziplinarverfahren, heißt es von der Bundesärztekammer, deren Ausgang kann von einer schriftlichen Verwarnung bis zum Jobverlust reichen. Nur: Die oberösterreichische Ärztekammer gibt an, man habe keine Daten darüber, wer was verschreiben würde. (Lara Hagen, Gabriele Scherndl, 18.11.2021) Weiterlesen:

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