Dies & Das: polyglott #1 von 2

Ein Klick führt Sie zum STANDARD…

Lara Hagen

15. September 2020

Postings

Wie viele Schüler mit Migrationshintergrund zu schlecht Deutsch können

In Berichten über den Integrationsbericht hieß es teilweise verkürzt, zwei Drittel würden die Standards in Deutsch nicht schaffen. Ein Blick hinter die Zahlen

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) bei der Präsentation des Integrationsberichts vergangene Woche. Bildung sei eine der größten Baustellen, hieß es dort.
Foto: APA/Robert Jaeger

Wien – Besorgniserregend und alarmierend – so beschrieb Katharina Pabel, Vorsitzende des Expertenrats für Integration, das Abschneiden von Schülern mit Migrationshintergrund bei den Bildungsstandards im Fach Deutsch. Zwei Drittel würden diese nicht oder nur teilweise erreichen.

Eine Differenzierung, die in den Berichten über den Integrationsbericht allerdings oft fehlte. Da hieß es dann verkürzt, dass zwei Drittel dieser Schüler die Tests in Deutsch nicht schaffen.

Wie groß ist die Zahl jener, die die Anforderungen in Deutsch nicht erfüllen, aber tatsächlich? Und wie stark spielt der Faktor Migrationshintergrund hinein?

Ein Blick hinter die Zahlen

Dass zwei Drittel der Schüler mit Migrationshintergrund in Deutsch zu schlecht sind, stimme jedenfalls nicht, sagt Michael Bruneforth, Mitherausgeber der Bildungsstandards 2016 in Deutsch und Abteilungsleiter für Lesen beim Institut des Bundes für Qualitätssicherung im österreichischen Schulwesen.

Um die Ergebnisse einordnen zu können, müsse man zuerst darüber sprechen, wie die Standards definiert sind, sagt der Experte. Denn hierzulande orientieren sie sich an den Zielen des Lehrplans und nicht unbedingt an den Minimalleistungen, die Schüler erbringen sollen. Ziel seien Standards gewesen, die Schulen herausfordern.

Bruneforth ist für jenen Fachbereich zuständig, bei dem es 2016 bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund am meisten gehapert hat: Jeder Dritte mit Migrationshintergrund (35 Prozent) erreichte hier die Bildungsstandards nicht. Ein weiteres Drittel teilweise – die Zahl ist bei autochthonen Jugendlichen beinahe gleich hoch.

Was „teilweise erreicht“ heißt

Vergleichbar sei dieses Teilweise-Erreichen mit den Anforderungen der zweiten Leistungsgruppe in der Hauptschule. Das sei keine Definition, sondern eine Analyse der Ergebnisse mit den Noten aus dem Semesterzeugnis. „Die schulische Laufbahn dieser Jugendlichen ist aufgrund ihrer Lesekompetenz nicht gefährdet“, sagt Bruneforth. „Wir beobachten nicht aktiv eine konkrete ‚Nichtgefährdung‘, sondern wir beobachten Kompetenzen, die nicht automatisch mit einer Gefährdung einhergehen. Manche Jugendlichen sind vielleicht gefährdet, ohne dass wir das aufgrund der Lesekompetenz sagen könnten“, differenziert er.

Bleibt das Drittel, das 2016 starke Probleme hatte. Nur den Migrationshintergrund als Grund dafür anzuführen greife zu kurz, meint Bruneforth.

Soziale Schicht als wichtiger Faktor

Da wäre etwa auch die soziale Disparität, die laut Bildungsstandards-Bericht sogar ausgeprägter ist als die migrationsbezogene – vor allem in Wien. Während 19 Prozent der Jugendlichen, deren Eltern als höchsten Abschluss eine Berufsausbildung haben, die Standards in Lesen nicht erreichen, sind es unter den Jugendlichen mit Eltern, die maximal Pflichtschulabschluss haben, doppelt so viele und bei Kindern aus Akademikerhaushalten nur halb so viele. Viele mit Migrationshintergrund kommen aus bildungsferneren Schichten. Bruneforth: „Die Überlappung zeigt, dass sich die Probleme nicht auf die andere Erstsprache reduzieren lassen.“

Im Bericht heißt es dazu: „Berücksichtigt man den im Schnitt unterschiedlichen Sozialstatus von autochthonen und zugewanderten Familien und vergleicht man jeweils nur Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund mit gleichem Sozialstatus, reduzieren sich die Unterschiede um ungefähr ein Drittel.“

Integrationsministerin Raab will – wie berichtet – als eine Maßnahme die Eltern von Schülern mit großen Problemen in Deutsch stärker einbeziehen. An Schulen könne man nicht alle Probleme auslagern, hieß es bei der Pressekonferenz von ihr.

Was „nicht erreicht“ heißt

35 Prozent der Teilnehmer mit Migrationshintergrund haben die Bildungsstandards nicht erreicht, bei den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund sind es zwölf Prozent. Was ist mit diesen Schülerinnen und Schülern? Im Bildungsstandards-Bericht heißt es dazu, dass sie „im weiteren schulischen Fortkommen beeinträchtigt“ seien. Als jemand aus einem Akademikerhaushalt schrecke ihn es natürlich auch immer, wenn er hört, dass man acht oder neun Jahre zur Schule geht und nicht sinnerfassend lesen kann, sagt Bruneforth. Analphabeten seien diese Schüler nicht, aber die Kompetenzen seien schon sehr gering. Allerdings erfolge häufig ein erfolgreicher Wechsel in die Berufsbildung, sagt der Experte.

Im Bildungsstandards-Bericht wird hierfür der Index der sozialen Benachteiligung angeführt. Er beschreibt, wie stark Schulen durch die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft herausgefordert sind. In Österreich sind 62 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Schulen mit geringer sowie 20 Prozent in Schulen mit mittlerer sozialer Benachteiligung. Sieben Prozent besuchen Schulen mit hoher und weitere elf Prozent mit sehr hoher sozialer Benachteiligung.

Soziale Benachteiligung in Wien hoch

In Wien gibt es deutliche Abweichungen: Nur ein Drittel der Schüler besucht hier Schulen mit geringer sozialer Benachteiligung. 22 Prozent der Schülerinnen und Schüler sind in Schulen mit einem mittleren Indexwert. 13 Prozent befinden sich in Schulen mit hoher und 38 Prozent in Schulen mit sehr hoher sozialer Benachteiligung. Die Zusammensetzung der Schülerschaft in Wien sei damit heterogener als in den anderen Bundesländern, „was vielfach als besondere Herausforderung für das unterrichtliche Handeln wahrgenommen wird“. (Lara Hagen, 15.9.2020)

Weiteres…