Nicola Werdenigg: „Skifahren ist unsympathisch geworden“
Nicht nur der Klimawandel, den sie „die Klimakatastrophe“ nennt, setzt laut Nicola Werdenigg dem Skisport zu. Die ehemalige Abfahrerin, Olympiavierte 1976, Skilehrerin und Skiführerin sieht den österreichischen Nationalsport mit vielen Problemen konfrontiert. Auftakt der STANDARD-Gesprächsserie „Schnee von morgen“ über die Zukunft des Skisports.
STANDARD: Ist der Skisport noch zu retten?
Werdenigg: Der Skisport, wie wir ihn bis zur Jahrtausendwende und vielleicht noch zehn Jahre danach gekannt haben, hat keine Zukunft. Das hat mehrere Gründe, allen voran die Klimakatastrophe. Damit geht einher, dass viele Leute umdenken, weil sie ihren ökologischen Fußabdruck möglichst klein halten wollen.
STANDARD: Oft hört man, Skifahren sei nicht mehr leistbar.
Werdenigg: Das kommt dazu, ist aber vielleicht gar nicht das wichtigste Argument. Viele Menschen geben quasi ung’schaut viel Geld aus für etwas, das sie gerne tun. Aber in Zukunft wird der finanzielle Aspekt immer wichtiger werden. Es wird im Lauf der Zeit und des Klimawandels immer weniger Skigebiete geben, der Sport wird ähnlich exklusiv werden wie in den USA. Dort zahlt man teilweise jetzt schon hundert Dollar für die Tageskarte.
STANDARD: Glauben Sie nicht, dass sich im nächsten Winter erst recht wieder die Massen auf den Pisten und auch in den Gondeln drängen werden?
Werdenigg: Es wird weniger werden. In der Pandemie hat das Image des Skisports stark gelitten. Vielen geht das Getue ums Skifahren auf die Nerven. Sie haben die Schlangen beim Anstellen am Lift gesehen. Sie haben gehört, dass es kein Problem war, während eines Lockdowns in Skiorten ein Zimmer zu bekommen. Sie sehen, wie fahrlässig Politiker am Gängelband von Touristikern agieren. Das empört die Menschen. Ich kann es verstehen. Skifahren ist unsympathisch geworden. Das Verhalten der Verantwortlichen nach dem Corona-Ausbruch in Ischgl war derart fatal, dass viele im Skifahren eine Idiotie schlechthin sehen. Dazu noch die unmöglichen Aussagen und Aktionen der Tiroler Liftkaiser bis zuletzt – das pickt, das geht nicht mehr weg.
STANDARD: Aber in vielen Skiorten hat der Betrieb doch sogar in den Ferien gut funktioniert. Da waren hauptsächlich Einheimische unterwegs, der Andrang war überschaubar.
Werdenigg: Dagegen ist ja auch gar nichts zu sagen. Da geht’s darum, dass die Leute vor Ort, vor allem auch Kinder und Jugendliche, ihre Freizeit sinnvoll gestalten können. Nur verstehen die Menschen in den Städten halt nicht, warum sie schlechtergestellt sind, warum ihnen Vergleichbares untersagt ist. Nicht einmal Tennis im Freien ist möglich. Und wieso ist der Tiergarten Schönbrunn geschlossen? Die Politik hat viel dazu beigetragen, dass der Skisport so polarisiert, dass sich in Österreich ein großer Graben zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West aufgetan hat.
STANDARD: Sie sagen, der Skisport in seiner jüngsten Ausprägung hat keine Zukunft mehr. Welche Ausprägung wäre eine Alternative?
Werdenigg: Ich bin mir nicht sicher. Nach dem Krieg wurde der Skisport als Identitätsstifter gebraucht, das ist längst weggefallen. Auf den Skisport kommen große Probleme zu. Skifahren wird megateuer werden, so exklusiv wie einst Golf oder Tennis. Diese Sportarten sind dann in die Breite gegangen, beim Skisport geht’s jetzt in die andere Richtung.
STANDARD: Kann nicht vielen Gebieten helfen, dass Kunstschnee bald noch billiger und verträglicher für die Umwelt herzustellen sein wird?
Werdenigg: Die Masse wird keine große Lust haben, auf einem weißen Band im Grünen runterzufahren.
STANDARD: Was wird aus jenen, die gewohnt sind, in ihrem Heimatort Ski fahren zu gehen?
Werdenigg: Das wird schon bleiben. In den Orten hat der Skisport auch eine soziale Komponente. Und die Einheimischenpreise bei den Liftkarten haben schon ihre Berechtigung. Da geht’s um die tägliche Freizeitgestaltung. Aber da braucht es keine neue Skischaukel, da braucht es den einen oder anderen schönen Hang, auf dem sich zehn feine Schwünge ziehen lassen. Der Skisport hat mehrere Gesichter. Nicht nur das Gesicht des Politikers, der trotz Pandemie die Gondeln wieder anfüllen will. Sondern auch das Gesicht meiner ehemaligen Nanny, die mit 85 Jahren nicht mehr g’scheit gehen kann, aber immer noch leidenschaftlich Ski fährt. Oder das Gesicht meiner Enkelin, die sich darauf freut, dass sie bald zum ersten Mal richtig dahingleiten wird.
STANDARD: In den 1980ern sind Wiener Schulklassen regelmäßig auf Skikurs gefahren. Das ist längst nicht mehr so. Hat sich dadurch die Distanz der Stadt zum Skisport vergrößert?
Werdenigg: Ich hab die Schulskikurse nie nur positiv gesehen. Da sind auch viele Kinder ausgegrenzt worden, Kinder aus prekären Verhältnissen haben oft gelitten. In der ersten Gruppe fuhren die, die schon von den Eltern das Rüstzeug hatten. Aber die Kinder in der dritten und vierten Gruppe hatten oft keinen Spaß, die sind vergrault worden.
STANDARD: Wohin kann oder soll sich der Skirennsport entwickeln?
Werdenigg: Schwierige Frage. Der Rennsport zieht halt auch nicht mehr so bei der Jugend. Kinder haben unzählige Alternativen. Und bis es ein Kind schafft, in einen Kader zu kommen, müssen die Eltern schon sehr viel investiert haben. Außerdem ist der Rennsport brutal gefährlich. Die Spitzenfunktionäre haben es verabsäumt, für mehr Sicherheit zu sorgen. Und dass sich viel ändert, wenn bald eine Verjüngung an der Spitze etlicher Verbände stattfindet, bezweifle ich. Es wäre auch allerhöchste Zeit für modernere Rennformate, da hat kaum eine Entwicklung stattgefunden.
STANDARD: Letzte Frage: Wann waren Sie zuletzt Ski fahren, wann gehen Sie es wieder an?
Werdenigg: Das letzte Mal liegt genau ein Jahr zurück. Im Frühjahr 2020 hatte ich mehrere Wochen eingeplant, das hab ich absagen müssen. Aber jetzt geh ich bald wieder, mit der Enkeltochter, in Hollabrunn. Da gibt es in einem kleinen Skiclub ein großes Engagement, das schätze ich sehr. (Fritz Neumann, 14.1.2021)
Nicola Werdenigg (62) stammt aus Mayrhofen im Zillertal und aus der Skifahrerfamilie Spieß. Als 15-Jährige wurde sie in den Nationalkader des ÖSV aufgenommen. Sie fuhr im Weltcup viermal auf das Podest, war Abfahrtsmeisterin 1975 und Olympia-Vierte 1976 in der Abfahrt. Diplomskilehrerin und Skiführerin. Werdenigg hat drei Kinder, ihr Mann Erwin ist 2016 verstorben. Im November 2017 machte sie in einem Sportmonolog im STANDARD öffentlich, dass sie als 16-Jährige von einem ÖSV-Teamkollegen vergewaltigt worden war. In der Folge wurde eine Serie von Missbrauchsfällen im Skisport bekannt. 2018 erhielt sie den Frauenring-Preis, 2019 den Ute-Bock-Preis für Zivilcourage. Sie engagiert sich gegen Machtmissbrauch, derzeit unter anderem in Belarus, und setzt sich für Lösungen in der Asylpolitik ein, aktuell speziell für die Flüchtlinge in den Lagern auf Lesbos.
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