Dies & Das: Streiflichter vom 20.1.2020 – Streit um Einfluss von Parteien in Schulen eskaliert

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Oona Kroisleitner, Nina Weißensteiner 

20. Jänner 2020

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Streit um Einfluss von Parteien in Schulen eskaliert

Der Disput zwischen dem Bildungsressort und der freigestellten „Ombudsfrau für Kulturkonflikte“ geht in die nächste Runde: Susanne Wiesinger erwägt jetzt, zu klagen

So sieht es aus: Das neue Buch von Susanne Wiesinger trägt den Titel „Machtkampf im Ministerium“. Foto: APA/ROBERT JAEGER

Eine neue Eskalationsstufe hat am Montag der Disput zwischen dem Bildungs ministerium und Susanne Wiesinger, bis vor kurzem an Problemschulen als „Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte“ tätig, erreicht: Wiesinger, die von ihrer Funktion mittlerweile freigestellt ist, wies den Vorwurf der ihr vom Ressort zur Seite gestellten Beraterin Heidi Glück zurück, sie sei „mehr Maulwurf als Ombudsfrau“ gewesen – und will jetzt wegen Ehrenbeleidigung klagen.

Die Vorgeschichte: Am Wochenende wurde publik, dass die langjährige Wiener Lehrerin an einer Neuen Mittelschule und SPÖ-Gewerkschafterin im Zuge ihrer knapp einjährigen Tätigkeit mit dem Addendum-Redakteur Jan Thies auch ein Buch (Titel: Machtkampf im Ministerium) darüber verfasst hat, wie sie als weisungsfreie Ombudsfrau vom Ministerium bei der Arbeit kontrolliert worden ist. Zuvor, im Herbst 2018, hatte Wiesinger mit ihrem ersten Buch Kulturkampf im Klassenzimmer eine Debatte über Auswirkungen des konservativen Islam an Schulen angezettelt – worauf sie Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) im Februar 2019 eben prompt als Ombudsfrau ins Bildungsressort holte.

Petra Stuiber erklärt im STANDARD-Podcast, weshalb Wiesinger zu Recht bekannte Probleme aufzeigt, dafür aber problematische Methoden anwendet.

Glück versichert zu Wiesingers Message-Control-Vorwürfen im STANDARD-Gespräch, dass es zwischen ihr und Wiesinger „alle zwei, drei Wochen einen Jour fixe“ gab, um sich über den Stand von Wiesingers Tätigkeitsbericht an Brennpunktschulen auszutauschen, und: Im Zuge ihrer Termine an den Schulen sei der Ombudsfrau auch eine Ministeriumsmitarbeiterin zur Seite gestellt worden, damit Wiesinger bei ihren Gesprächen vor Ort vor allem protokollarische Unterstützung bekomme. Glück, einst Pressesprecherin von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und Kanzler Wolfgang Schüssel (beide ÖVP), nun Strategieberaterin: „Schließlich ging es um eine strukturierte Analyse, eine übersichtliche Gesamtschau der vorhandenen Probleme.“

Über Ehre und Zwang

Auch Bildungsminister Heinz Faßmann drückte zu Wochenbeginn seine Irritation über die freigestellte Ombudsfrau, deren Vertrag aber ohnehin Ende Februar ausgelaufen wäre, aus – er wies etwa den erhobenen Vorwurf zurück, dass Wiesinger Interviewantworten zwecks Kontrolle zuvor hätte abgeben sollen. Ihr bereits erarbeiteter Tätigkeitsbericht wurde vom Ministerium noch am Montag auf die Ressorthomepage gestellt.

In dem 135-seitigen Konvolut findet sich etwa Datenmaterial von Anzeigen und Polizeieinsätzen an Schulen. Ebenso führt Wiesinger darin Phänomene wie ein „System der Ehrverteidigung“ von zugewanderten Schülern an oder das Problem weiblicher Genitalverstümmelung unter Schülerinnen, die im Sommer in ihren Herkunftsländern der weiblichen Beschneidung unterzogen worden sein dürften. Allerdings: Außer der plakativen Schilderung einer Schulleiterin an einer Wiener Volksschule bleibt Wiesinger dazu aber Zahlenmaterial schuldig – etwa Angaben darüber, wie oft sie mit solchen Verdachtslagen an Schulen konfrontiert war. „Mehrfach“ wurde an sie auch das Problem der „Zwangsheirat“ von Mädchen herangetragen, wie in ihrem Bericht steht. Genaue Datenangaben, wie häufig sie davon an den Schulen gehört hat? Leider ebenfalls Fehlanzeige.

In der Wiener Bildungsdirektion hält man sich mit Aussagen über die Zukunft Wiesingers noch zurück. Es sei „gut denkbar“, dass sie in Wien wieder unterrichte, erklärte ein Sprecher auf STANDARD-Anfrage. Schließlich sei Wiesinger nach wie vor formell Wiener Lehrerin und als Landesbeamte lediglich an das Ministerium „ausgeborgt“ worden. Klar sei: Die Wiener Bildungsdirektion ist mit dem Ministerium im Gespräch, es werde auch eine Einladung an die Lehrerin ergehen, um ihre Wünsche anzuhören. Dass Wiesinger an ihre alte Schule in Wien zurückkehrt, sei nicht ausgeschlossen. Allerdings müsse man erst feststellen, was Wiesinger selbst will und wo es Bedarf für sie gibt. (Oona Kroisleitner, Nina Weißensteiner, 20.1.2020)

Was in dem Buch „Machtkampf im Ministerium“ und Wiesingers Tätigkeitsbericht steht

In unzähligen Gesprächen konnte ich erfahren, wie sehr sich Leiter und Lehrer unter Druck gesetzt fühlen, nicht über Missstände in unserem Schulsystem zu sprechen.
Aus dem Buch „Machtkampf im Ministerium“, Seite 43

Wir fahren nicht mehr Ski, weil die Mädchen glauben, ihr Jungfernhäutchen würde dabei reißen. Das ist irre. Und es ist traurig. In allen Bundesländern entscheiden Religion, Kultur und Migration darüber, ob ein normaler Unterricht möglich ist.
Ebendort, Seite 143

Um Fragen, wie unsere Schulen für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen vorbereitet werden, geht es eigentlich nie. Es geht um Posten, Macht und die eigene Karriere.
Ebendort, Seite 25

Von Wien bis Vorarlberg: Die Mittelschule ist zur „Restschule“ des Landes verkommen.
Ebendort, Seite 68

Früher hatte man vielleicht fünf Kinder mit auffälligem Verhalten in einer Klasse. Heute sind es manchmal bis zu fünfzehn.
Ebendort, Seite 122

Es ist hierbei wichtig zu betonen, dass Mädchen in den Schulen bestehende Systeme der Ehrverteidigung teilweise bewusst unterstützen oder nutzen. Mehrfach wurde an die Ombudsstelle herangetragen, dass Schülerinnen bspw. ihre Brüder dazu auffordern, ihre Konflikte körperlich für sie auszutragen.
Aus dem Tätigkeitsbericht, Seite 40

Eine weitere Form von Gewalt, die mehrfach an die Ombudsstelle heran getragen wurde, ist Zwangsheirat.

Ebendort, Seite 41

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