Dies & Das: …und auf die Klimakrise wird vergessen

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…und auf die Klimakrise wird vergessen

Der Klimawandel wird zu einer größeren Krise als Corona führen. Doch Klimaforscher stoßen seit jeher auf taube Ohren

Ein Virus hat uns überrumpelt – in Österreich und auf der ganzen Welt – dem Fachleute im Verlauf der pandemischen Ausbreitung den Namen Sars‐CoV‐2 gegeben haben. Es hat die Welt ziemlich aus der Bahn gebeutelt und dann war urplötzlich alles anders. Regierende Politikerinnen und Politiker haben sich auf erst langsam sich zusammenreimende wissenschaftliche Ratschläge verlassen und klare Entscheidungen getroffen, Oppositionspolitikerinnen und -politiker haben mit etwas Verzögerung aber dann glaubwürdig die parlamentarische Kontrolle eingefordert, Wirtschaftstreibende haben trotz der Sorge ums Überleben ihrer Betriebe eingesehen, dass es „so“ nicht mehr lange hätte weiter gehen können. Viele Menschen haben entdeckt, wie sich in den letzten Jahrzehnten Werte und Wertigkeiten in zunehmend rasender Beschleunigung verschoben hatten und was alles möglich ist, wenn plötzlich nichts mehr geht.

Wir Klimaforschende haben erfahren, dass es urplötzlich möglich ist, dass die globalen und nationalen Entscheidungstragenden auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschafler hören und ihre Entscheidungen danach aufbauen und ausrichten. Wir haben unseren Augen und Ohren nicht getraut. Dabei ist unser Wissen um das Klimasystem und seinen zunehmend dramatischen Wandel – rund 120 Jahre seit den ersten richtigen Berechnungen der Auswirkung von mehr oder weniger Kohlendioxid in der Atmosphäre – äußerst fundiert.

Klimasystem, unkontrollierbar

Die über Jahrzehnte hartnäckig tauben Ohren wären auch weiterhin genauso nicht schlimm wie die offenen Ohren mit den Händen im Schoß, wenn denn nicht der Klimawandel sich zu einem enorm viel bedrohlicheren Problem entwickelt hätte, als es Covid-19, die vom neunen Virus verursachte Krankheit ist. Irgendwo zwischen der heutigen globalen Mitteltemperatur knapp höher als ein Grad über dem vorindustriellen Wert und plus zwei Grad wird unser Klimasystem unkontrollierbar werden, werden sich die in der Mehrzahl bedrohlichen Veränderungen nicht mehr stabilisieren lassen und über Jahrhunderte hinaus immer weiter ansteigen. Kipppunkte werden kippen und ganze Systeme sich nicht mehr wieder einrenken lassen, ein großer Teil der Weltbevölkerung wird seine Lebensgrundlage verlieren. Der Weg, um das schon stark erwärmte Klima anhaltend zu stabilisieren, fordert eine Reduktion der menschengemachten Emission von Treibhausgasen, allen voran des Kohlendioxids, um mehr als die Hälfte bis 2030 und praktisch auf null in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten.

Die gewaltigen Buschfeuer in Australien – die Klimakrise ist da.
Foto: APA/AFP/SAEED KHAN

Bis 2030 haben wir noch 115 Monate und mit jedem verlorenen Monat wird die Kurve der notwendigen CO2-Abnahme mehr und mehr zur Sturzbahn und schnell ist die allerletzte Chance vorbei, an der Klimakatastrophe vorbei zu schrammen. Dabei wär es so einfach, das schlimmste abzuwenden. Unsere völlig überhitze Gesellschaft abkühlen lassen, nie mehr so aufpeitschen lassen und den fast schon völlig zertrümmerten Hausverstand wieder zusammenzustücken, wie wir das in den letzten Wochen vielfach ja schon begonnen haben zu tun. Den Wohlstand gerade so weit erstreben, wie er zum Wohlergehen notwendig ist, Ressourcen nicht verbrauchen, sondern (wieder-) verwenden, in allen Bereichen des gesellschaftlichen Tuns ökologisch und damit letzten Endes auch ökonomisch und dem Gemeinwohl dienlich nachhaltig sein, nicht-nachhaltigen Ressourcenverbrauch Kosten- und Folgekosten-wahr bepreisen und mit dem damit eingehenden Geld für soziale Gerechtigkeit sorgen. Die wissenschaftlichen Grundlagen dafür sind von allen erdenklichen Wissenschaftssparten lange schon erbracht.

Die große Sorge darüber, dass unser Lebensstil ohne Blick auf die dringend notwendige Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen so schnell wie möglich und mit allen nur erdenklichen (finanziellen) Mitteln hochgefahren und dann auf mehrere Jahre kein Geld für einen drastischen Klimaschutz vorhanden sein wird, damit der letzte Moment vor der „Überdosis“ verstreichen wird, erfüllt die Klimaforscherinnen und Klimaforscher weltweit mit großer Sorge. Jene, die in der Kommission für Klima und Luftqualität der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig sind, haben daher kürzlich einen offenen Brief an die Österreichische Bundesregierung verfasst, den ich als Mitinitiator und Mitunterzeichner auch in diesen Blog zur Kenntnis bringen möchte, den meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Eis und Klima am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenforschung der Universität Innsbruck betreiben. (Georg Kaser, 20.5.2020) 

Zur Person:

Foto: Daniela Brugger

Georg Kaser

Professor für Klima- und Kryosphärenforschung an der Universität Innsbruck. Erforschung der Gletscher-Klima Beziehung in den niedrigen und mittleren Breiten. Mehrfacher IPCC Lead Author seit 2003.

Offener Brief Klimaschutz 

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