Thema Gesellschaft & Politik…#14

anfang:

Freie Medien?

Ein ORF, wie er sein sollte

Wenn nicht ein General zur Wahl stünde, sondern ein ganzer Rundfunk – Kommentar Harald Fidler

7. August 2021

https://www.derstandard.at/story/2000128755551/ein-orf-wie-er-sein-sollte

Wer leitet künftig den ORF?

6. August 2021

Wer leitet künftig den ORF? Lisa Totzauer, Roland Weißmann und Alexander Wrabetz sind drei von 14 Kandidaten / * Foto-Credit: siehe weiter unten

in Österreich findet am kommenden Dienstag die wichtigste Wahl des Jahres statt. Entschieden wird sie von 35 Personen. Sie bestimmen in einem kuriosen Gremium namens Stiftungsrat darüber, wer bis 2027 die Geschicke des ORF leitet. Dabei geht es nicht nur um das einzige Medienunternehmen im Lande mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro – es geht um viel mehr, wie auch Cathrin Kahlweit in ihrem Text „Wen will Kanzler Kurz?“ (SZ Plus) beschrieben hat.

Es geht um den Zugriff der Parteien auf den ORF, der trotz aufholender privater Konkurrenz mit vier Fernseh- sowie drei bundesweiten und neun regionalen Radioprogrammen, dem reichweitenstärksten Onlineportal des Landes und dem Teletext noch immer die größte Medienorgel des Landes ist.

Genau deshalb ist der ORF im Würgegriff der Parteien, der unmittelbarer und dreister ist, als man sich das im öffentlich-rechtlichen System in Deutschland auch nur annähernd vorstellen kann (dessen Rechte gerade durch das Bundesverfassungsgericht gestärkt wurden, hier lesen Sie mit SZ Plus mehr dazu). Wer etwas werden will, braucht das richtige „Kastl“, die parteipolitische Zuordnung. Das gilt für Korrespondentinnen und Korrespondenten genauso wie für Chefredakteure oder gar die Position des Generaldirektors.

Zwar wird dem Unternehmen und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seit 1974 in einem Bundesverfassungsgesetz Unabhängigkeit zugesichert. Aber in Österreich gilt eben die Realverfassung, und diesem Verständnis gemäß geht das Recht nicht vom Volk aus, sondern die Parteien nehmen sich das Recht heraus – indem sie sich eben den Zugriff auf Medien sichern und eine Abhängigkeit schaffen. Die vierte Macht im Staate am Gängelband der Parteien.

Das war in Österreich schon unter sozialdemokratischen Kanzlern so und ist unter dem konservativen Sebastian Kurz nicht anders. Der amtierende Kanzler greift gerne persönlich zum Telefon und ruft Chefredakteure an – vor allem, wenn es um die Berichterstattung zu Meinungsumfragen geht, die scheint ihm besonders wichtig zu sein.

In diesem Jahr wird mit der Begründung Corona das Füllhorn der Medienförderung noch etwas üppiger ausgeschüttet, vorwiegend über den Boulevardmedien – insgesamt fließen 67 Millionen Euro aus Steuermitteln. Und steuernd kann die Politik auch im ORF eingreifen, indem Personen in Führungspositionen geschickt werden, die den direktesten Zugriff versprechen. Allein darauf kommt es an.

Es geht nicht um ökonomische Kompetenz oder gar Konzepte für die digitale Zukunft – übrigens eines Unternehmens, das im Gegensatz zu den dritten ARD-Programmen wie dem Bayrischen Rundfunk noch nicht einmal einen digitalen Player zusammengebracht hat.

Einschlägige Kompetenz wird auch nicht von den Stiftungsräten erwartet, obwohl sie über Führungspersonal, Budget und Programmschema entscheiden. Nur drei haben – zum Teil Jahre zurückliegende – Erfahrungen im Medienbereich (PR zählt nicht dazu). Dafür sind 32 von den 35 Mitgliedern parteipolitisch zuzuordnen, weil sie von der Bundesregierung, den Landesregierungen oder anderen Gremien bestellt werden, wo wiederum Parteien eine Rolle spielen.

Und deshalb findet sich dann jemand wie der Betreiber eines Babyhotels in diesem mächtigen Zirkel, der sich damit brüstet, er habe „Hausverstand und die Sicht der durchschnittlichen Zuschauer“ – „mit dem bin ich bis jetzt gut gefahren“, immerhin 13 Jahre lang. Aktive Politiker und Parteiangestellte dürfen nicht vertreten sein, aber ehemalige schon – der Vorsitzende des Stiftungsrats ist Norbert Steger von der FPÖ, er war von 1983 bis 1987 Vizekanzler der Republik.

Vor Sitzungen trifft man sich zur Abstimmung im sogenannten Freundeskreis der jeweiligen Parteien. Seit bei einem Treffen von ÖVP-Sympathisanten dieses eigentlich für die Kontrolle des ORF zuständigen Gremiums Anfang Juli nicht nur des Kanzlers Medienbeauftragter Gerald Fleischmann, sondern auch ORF-Vizefinanzdirektor Roland Weißmann aufgetaucht ist, gilt dieser als Favorit. Einen ÖVP-Wunsch, Gerald Heidegger als alleinigen ORF.at-Chefredakteur zu entmachten und ihm einen Ko-Chefredakteur zur Seite zu stellen, erfüllte Weißmann als ORF.at-Geschäftsführer.

Der bisherige ORF-Chef Alexander Wrabetz, der als Sozialdemokrat firmiert, hat sich mit allerlei Versprechungen seit 2007 im Amt gehalten – sich wie ein Chamäleon einfach der vorherrschenden politischen Konstellation angepasst. Er könnte davon profitieren, dass der eine oder andere Stiftungsrat für Lisa Totzauer, die andere „bürgerliche“ Kandidatin, stimmt.

Zumindest zwei Chefredakteure von Zeitungen wurden von ÖVP-Vertretern angesprochen, ob sie sich nicht bewerben würden – unter den letztlich 14 selbsternannten Kandidaten findet sich dann aber keiner von ihnen. Es findet sich auch niemand mit internationaler Erfahrung – mangels parteipolitischer Verankerung in Österreich hätte er oder sie ohnehin keine Chance.

18 Stimmen braucht es zur Kür, der „Freundeskreis“ der ÖVP-nahen Stiftungsräte umfasst 16 Mitglieder, vier weitere werden dem bürgerlichen Lager zugerechnet. Das könnte für Weißmann reichen – außer Wrabetz verspricht mehr. Das ist keine faire Wahl, sondern ein unwürdiges Gefeilsche im und um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich.

Schönes Wochenende!
Alexandra Föderl-Schmid
Stellvertretende Chefredakteurin

* Foto-Credit: Thomas Ramstorfer/picture alliance, Volker Preußer/imago, Wolfgang Wolak/picture alliance, Herbert Neubauer/APA/dpa; Bearbeitung: SZ

Das Rennen um den ORF und wir

Warum ein unabhängiger Rundfunk für Österreichs politische Kultur entscheidend ist. Zu hören: ORF-Redakteursprecher Dieter Bornemann, NZZ-Autorin Meret Baumann, Falter-Herausgeber Armin Thurnher, Wiener-Zeitung-Chefredakteur Walter Hämmerle und Falter-Journalistin Anna Goldenberg

https://www.falter.at/falter/radio/42071523-ba33-4829-9b17-cc49ff62b31d/das-rennen-um-den-orf-und-wir-569

ORF-Wahl: Verfassungsjurist Mayer für geheime Wahl – Gesellschaftsrechtler Schauer skeptisch

Heinz Mayer sieht einen Schadenersatzanspruch, wenn der beste Kandidat nicht gewählt wird. Gesellschaftsrechtler Schauer sieht Ermessensspielraum – aber nur wenig für geheime Abstimmung

6. August 2021

https://www.derstandard.at/story/2000128737409/orf-wahl-verfassungsjurist-mayer-fuer-geheime-wahl-das-gesetz-sieht

Kommentar von Rubina Möhring

“Reporter ohne Grenzen – Österreich” kritisiert die Regierung u.a. aufgrund der verschwiegenen Verschlechterung der Pressefreiheit scharf. Präsidentin Dr. Rubina Möhring kommentiert die neuen Entwicklungen rund um die Medienpolitik des Bundeskanzlers und seines Finanzministers.

Dr. Rubina Möhring ist eine österreichische Journalistin, Publizistin und Präsidentin von „Reporter ohne Grenzen – Österreich“. Sie ist eine der wichtigsten und arriviertesten Stimmen im Kampf um Pressefreiheit.
Bis März 2010 war sie als Redaktionsleiterin bei ORF 3Sat verantwortlich für die Bereiche Kultur und Wissenschaft sowie für die 3Sat-Magazine „nano“ und „kulturzeit“. Seit 2010 ist sie freie Autorin und Publizistin.
Ihr neues Buch „Mundtot – Der gefährliche Kampf um die Pressefreiheit“ wird im kommenden Jahr im Czernin Verlag erscheinen.
Dr. Möhring erhielt mehrere Auszeichnungen für ihr Wirken, u.a. den Karl-Renner-Preis der Stadt Wien, den prestigeträchtigen Concordia-Preis des Presseclubs Concordia sowie das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich.

https://zackzack.at/2020/11/28/genialitaet-im-doppelpack-kanzler-kurz-und-finanzminister-bluemel-ordnen-die-medienwelt-gastkommentar-von-rubina-moehring/

Neuer ORF-Generaldirektor: Weißer Rauch über dem Küniglberg