Klimawandel: Wir müssen gestern handeln
Politikwissenschafter Robert Huber schreibt in seinem Gastkommentar, dass der technologische Fortschritt alleine uns nicht vor einer Klimakatastrophe bewahren wird.
Während der Klimawandel mit seinen politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Konsequenzen im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie eher in den Hintergrund gerückt ist, ist die Klimakrise nun – seit wenigen Wochen – wieder eines der bestimmenden Themen im öffentlichen Diskurs. Grund dafür sind unter anderem Extremwetterereignisse wie die Hochwasser und Überschwemmungen im europäischen Raum oder die Hitzewelle in Nordamerika. Die Wissenschaft warnt schon lange vor den negativen Konsequenzen des voranschreitenden Klimawandels. In diesem Kontext erinnert uns der jüngste Bericht des Weltklimarats einmal mehr an den menschgemachten Beitrag und betont darüber hinaus, dass Klimawandel mehr bedeutet als die Schlagzeile „Wärmster Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“. Die Schlussfolgerung des Berichts wirkt wie ein immer verzweifelter nachhallendes Echo vergangener Klimakonferenzen: Wir müssen gestern handeln.
Dies steht im Kontrast zu den Aussagen von Kanzler Sebastian Kurz („Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte“) oder dem konservativen deutschen Kanzlerkandidaten Armin Laschet („Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik“). Beide Aussagen stehen für eine Haltung, die vielleicht nicht offen klimaskeptisch ist, aber zumindest die menschliche Verantwortung herunterspielt, die Dringlichkeit bezweifelt und nötige Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels als optional darstellt. Wie soll nun die konkrete Politikantwort auf den Klimawandel aussehen? Welche Optionen gibt es zwischen der vagen Hoffnung, dass die Technologie das Problem irgendwann von allein lösen würde, und der destruktiven Schlussfolgerung, wir alle müssten „zurück in die Steinzeit“? Und in welchem Ausmaß soll gesellschaftliche Akzeptanz die Auswahl von Politikmaßnahmen beeinflussen?
Sebastian Kurz setzt voll auf den sogenannten „technical fix“, also auf Lösungen durch Technologie: „Der einzig richtige Zugang ist, auf Innovation und Technologie zu setzen“, sagt er. Aber kann Technologie, die zugleich auch Ursache der Krise ist, allein den Weg aus der Krise weisen? Auf Basis des aktuellen Berichts des Weltklimarats gibt es allen Grund, bei dieser Frage kritisch zu bleiben. Die Zeit drängt, und die vermeintlichen Heilsbringertechnologien existieren noch nicht.
Unzureichende Perspektive
Gegeben, dass eine Erderwärmung von 1,5 °C – bezogen auf vorindustrielle Messungen – bereits Anfang der 2030er-Jahre wahrscheinlich ist, bleibt fraglich, ob und in welchem Ausmaß Technologie rechtzeitig verfügbar und flächenmäßig einsetzbar sein wird. Zwangsläufig reicht es nicht, einige prestigeträchtige Projekte mit guter PR inszeniert umzusetzen. Der Austausch älterer, weniger sauberer Technologien benötigt Zeit und vor allem politische und finanzielle Anreize. Entsprechend bietet die reine Verfügbarkeit von Technologie für einen weitreichenden und zeitnahen ökologischen Wandel eine unzureichende Perspektive.
Heißt das nun zwangsläufig, dass jeder weitreichende Klimaschutz zurück in „die Steinzeit“ führen muss? Auf wie viel müssten wir als Gesellschaft verzichten, wenn wir dieses Ziel erreichen wollen? Je länger wir warten, umso entschlossenere Maßnahmen werden nötig sein und umso unangenehmer werden die Einschränkungen in unserem Alltag ausfallen. Bei der Wahl der Maßnahmen müssen Politikerinnen und Politiker aber zudem Effektivität und Akzeptanz gegeneinander abwägen. Ohne Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger werden weitreichende Maßnahmen nur bedingt erfolgreich sein. Hier zeigen die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sehr gut, dass die ökonomischen Verteilungseffekte weitreichender Klimapolitik nicht unbeachtet bleiben dürfen.
„Je länger wir warten, umso entschlossenere Maßnahmen werden nötig sein und umso unangenehmer werden die Einschränkungen in unserem Alltag ausfallen.“
Kompensationsmaßnahmen und Umverteilung müssen jenen zugutekommen, die zum Beispiel besonders hart von einer Preissteigerung im Individualverkehr getroffen werden. Die formale Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in den Politikprozess kann für ein Mehr an demokratischer Legitimität der Maßnahmen sorgen. Intelligente Politikpakete können hier Anreize schaffen und den Bürgerinnen und Bürgern helfen, ihr Verhalten umweltfreundlicher zu gestalten. Jedoch sollte die Politik keinesfalls ausschließlich auf die Popularität ihrer Klimapolitik achten, sonst läuft diese Gefahr, völlig zahnlos zu bleiben.
Ohne einschneidende Maßnahmen wird es nicht gehen. Entschlossenes Handeln ist nötiger denn je, denn in vielerlei Hinsicht haben wir den „point of no return“ schon erreicht. Zukünftige Klimaschutzmaßnahmen haben in erster Linie das Ziel, dass es nicht noch schlimmer wird als ohnehin schon jetzt prognostiziert. Gleichzeitig ist soziale Verträglichkeit und das Abfedern von Verteilungskonflikten essenziell, um breite Koalitionen für weitreichende Klimamaßnahmen zu finden. Dies ist eine zentrale Herausforderung für die türkis-grüne Regierung und war zumindest zu Beginn ein grundlegendes Versprechen.
Ob wir „das Beste aus beiden Welten“ sehen werden und ob dies auch Klimapolitik beinhaltet, wird vor allem auch am grünen Regierungsteam liegen. Dafür benötigt es jedoch jene mutige ökologische Vision, mit der die Grünen 1986 in den Nationalrat eingezogen sind. Was es nicht braucht – und das gilt es hier vehement zu betonen –, ist wieder nur eine von vielen „österreichischen Lösungen“, die am Ende aufgrund ihrer Zahnlosigkeit das genaue Gegenteil bewirken. (Robert Huber, 14.8.2021)
Robert Huber ist Politikwissenschafter an der Universität Salzburg.
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