Dies & Das: Wie Kurz sich rhetorisch aus der Affäre ziehen will

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Kommentar der anderen Natascha Strobl

10. Oktober 2021

Wie Kurz sich rhetorisch aus der Affäre ziehen will

Vom Diener über den Macher zum Märtyrer: Sebastian Kurz hat am Wochenende ein rhetorisches Lehrstück hingelegt

Politikwissenschafterin Natascha Strobl analysiert in ihrem Gastkommentar die Rücktrittsrede von Sebastian Kurz.

Sebastian Kurz tritt also als Bundeskanzler zurück. Wobei er nicht zurück-, sondern zur Seite tritt, wie er am Samstag klarstellte. Die ganze Rede von Kurz ist gespickt mit rhetorischen Finessen, die eine nähere Betrachtung verdienen.

Interessant ist, dass Kurz sich gleich zu Beginn seiner Rede als Diener des Landes bezeichnet. Damit konterkariert er die Zuschreibungen der letzten Tage, die ihn als machthungrigen Narzissten gebrandmarkt haben. Mit der Selbstbeschreibung, nur „dienen“ zu wollen, setzt er einen neuen Frame für sich und seinen Namen und bereitet so zu Beginn vor, durch welche Linse wir alles Folgende betrachten sollen. Er ist aber nicht nur Diener, sondern auch selbstloser Märtyrer, der sich gewissermaßen für das Wohl des Landes opfert. Weil die Situation so verfahren ist, wie sie ist, nimmt er es auf sich, obwohl unschuldig, die Situation aufzulösen. Er stellt die Situation so dar, als hätten alle ein wenig Schuld an ihr.

Sebastian Kurz ist nicht mehr Kanzler. Er wechselt als Klubchef der ÖVP in den Nationalrat. Foto: Robert Newald

Insbesondere erwähnt er den Koalitionspartner, die Grünen, und macht daraus eine Pattsituation. Eine Pattsituation entsteht aber dann, wenn es zwei gleichberechtigte und gleich starke Gegenüber gibt. In diesem Fall wird aber nur gegen eine Partei als Partei plus engste Vertraute des Bundeskanzlers wegen schwerwiegender Verdachtsmomente ermittelt. Insofern haben nicht alle gleichberechtigt Schuld an einer schwierigen Situation. Diese Schuld ist recht exklusiv bei der ÖVP anzusiedeln. Diese Faktenlage wischt Kurz salopp mit „Pattsituation“ weg. Mehr noch, er ist so gütig, diese Situation aufzulösen.

Rhetorisches Anketten

Kurz rettet aber nicht nur die ÖVP, sondern gleich das ganze Land. Statt ungewisser „Experimente“ sorgt er für Stabilität und ein weiteres Zusammenarbeiten in der Bundesregierung. Kurz präsentiert sich damit als Stabilitätsfaktor. Das ist insofern perfide, als er ja exklusiv dafür gesorgt hat, dass diese Stabilität verloren gegangen ist. Kurz gibt diesen Ball weiter und macht alle anderen Parteien zum Unsicherheitsfaktor. Nicht nur die Opposition, sondern auch den Koalitionspartner, den er jetzt mit seinem selbstlosen Schritt zur Räson bringt. Die Message ist klar: Eine Regierung ohne ÖVP bedeutet Chaos und Regierungsunfähigkeit. Also, auch wenn es ungerecht ist, opfert sich Kurz selbst, um dies zu verhindern. Dabei echot er die Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der genau diese Stabilität eingemahnt hat. Dieses rhetorische Anketten an den Bundespräsidenten hat Kurz schon beim Ibiza-Skandal gemacht. So nimmt er sich selbst aus der Schusslinie und simuliert Gravitas und Staatsräson. Insbesondere gratuliert Kurz sich selbst dazu, FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Regierung verhindert zu haben. Jenen Kickl, den Kurz selbst 2017 in die Regierung geholt hatte.

Wie ein Feldherr

Die ersten Wahlkampftöne schwingen schon mit, und die Themen werden aufbereitet: Wirtschaft, Arbeitsplätze und die Pandemie, die wahlweise noch zu meistern ist oder bereits erfolgreich bewältigt wurde. Wahlkampf ist die Paradedisziplin der ÖVP unter Kurz, und sie lebt im permanenten Wahlkampfmodus. Dazu passt selbstverständlich auch, dass Kurz sich kein einziges Mal entschuldigt. Nicht für das angerichtete Chaos, nicht für die Regierungskrise, nicht für sein Netzwerk, nicht für die Chats, er entschuldigt sich einfach für nichts. Im Gegenteil betont Kurz, wie wahnsinnig beliebt er sei. Bei den vielen Leuten, die ihm schreiben, den Bünden und Organisationen und nicht zuletzt den eigenen Regierungsmitgliedern, die er großmütig aus ihrem Treueschwur entlässt wie ein gütiger römischer Feldherr seine Prätorianer. Ein Feldherr, der dementsprechend auch nur „zur Seite“ und eben nicht zurücktritt.

Platz an der Sonne

Diese Rede war vieles, aber sie war keine Rede von jemandem, der eine Niederlage eingesteht oder auch nur Reue zeigt. Das ist sowohl Zeichen nach innen als auch nach außen. Nach innen simuliert sie Stärke und Kontrolle. Die ÖVP ist fast zur Gänze rund um Kurz aufgebaut. Tritt Kurz ab, müssen viele um ihren Platz an der Sonne fürchten.

Das führt einerseits zu Loyalitäten, andererseits zu schnellen Absetzbewegungen, wenn diese Stärke nicht mehr glaubwürdig ist. Die Rede war auch ein Versuch, dies zu verhindern. Nach außen ist es eine Warnung an den Koalitionspartner, den er negativ erwähnt. Kurz schiebt die Probleme, die er selbst verursacht hat, den Grünen und der Opposition zu und präsentiert sich selbst als derjenige, der eine schmerzhafte Lösung anbietet. Wer eine Lösung hat, kann nicht das Problem sein. Demzufolge sind das Problem die anderen. Die Frage ist nur, ob diese auch noch von dem Kakao trinken, durch den sie rhetorisch gezogen werden. (Natascha Strobl, 10.10.2021)

Podcast:

Natascha Strobl ist Politikwissenschafterin.

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