Dies & Das: 2 G in Österreich

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Kommentar

Meret Baumann (bam)

08.11.2021

Die verkappte Impfpflicht in Österreich ist Ausdruck eines politischen Versagens

In Österreich herrscht «Schnitzelpanik», seit das Land Ungeimpfte vom sozialen Leben praktisch ausschliesst. Die Frage ist jedoch nicht, ob die 2-G-Regelung zu weit geht, sondern, ob sich damit ein neuerlicher Lockdown noch verhindern lässt.

In Österreichs Restaurants gibt es kein Schnitzel mehr für Ungeimpfte.
Christian Bruna / EPA

In Österreichs sozialen Netzwerken ist «Schnitzel» derzeit eines der meistbenutzten Schlagwörter. Die Angst, das nationale Lieblingsgericht nicht mehr in einem Lokal in geselliger Runde verspeisen zu können, sorgte am Wochenende für lange Schlangen vor den Impfzentren und die höchste Zahl verabreichter Spritzen seit dem Sommer. Es herrsche akute «Schnitzelpanik» im Land, befinden deutsche Medien.

Die Einschätzung ist wohl nicht falsch, denn trotz zwei verheerenden Corona-Wellen im November letzten Jahres und im vergangenen Frühling, wochenlangem hartem Lockdown und nun seit einem Monat wieder steil steigenden Fallzahlen verschmähen viel zu viele Österreicher die Vakzine, die Impfquote liegt mit 63 Prozent sogar noch unter derjenigen der Schweiz.

Die Intensivstationen sind teilweise bereits wieder voll

Angesichts der sich verschlechternden Situation machte die Regierung schon vor zwei Wochen international Schlagzeilen mit der Idee eines «Lockdowns für Ungeimpfte». Man rätselte, wie ein solcher konkret umgesetzt würde, und Bundeskanzler Alexander Schallenberg betonte, der Schritt werde hoffentlich nicht notwendig sein. Explosionsartig steigende Infektionszahlen und alarmierende Meldungen aus den Spitälern liessen die Regierung ihren «Stufenplan» aber rasch über Bord werfen und zu einer drastischen Massnahme greifen: Mit der nationalen 2-G-Regelung sind Ungeimpfte seit Montag vom sozialen Leben praktisch ausgeschlossen, sie dürfen nicht mehr in Gesellschaft Sport treiben und dürfen auch nicht mehr zum Coiffeur oder zur Massage.

Das kommt einem Lockdown für Ungeimpfte sehr nahe und bedeutet eine verkappte Impfpflicht. Ein derart weitgehender Eingriff in die persönliche Freiheit ist nur im äussersten Notfall akzeptabel. Glaubt man den Experten, ist dieser allerdings eingetreten: Die Intensivstationen in den besonders betroffenen Bundesländern Oberösterreich und Salzburg sind faktisch voll – und die rekordhohen Ansteckungszahlen der letzten Woche werden sich in den Spitälern erst in zehn Tagen abbilden. Dabei trifft die erneut ausser Kontrolle geratene Pandemie nicht nur Ungeimpfte, die schwer an Covid-19 erkranken, sondern auch das Unfallopfer, die Krebspatientin, deren Operation verschoben werden muss, sowie alle Kinder, die noch nicht geimpft werden können und nach einer Infektion möglicherweise an Long-Covid-Symptomen leiden.

Die Frage ist deshalb nicht mehr, ob die 2-G-Regelung zu weit geht, sondern, ob sich damit ein neuerlicher Lockdown für alle noch rechtzeitig abwenden lässt. Das ist keineswegs gesichert. Epidemiologen halten zumindest regionale Lockdowns sogar für wahrscheinlich. Die Tourismusbranche fordert solche lieber früher als später, um die wirtschaftlich fundamental wichtige Wintersaison noch zu retten. Vor diesem Hintergrund ist kein Schnitzel für Einzelne ein weniger gravierender Eingriff in die Grundrechte als eine flächendeckende Schliessung für alle.

Die tiefste Impfquote Westeuropas

Dennoch ist die 2-G-Pflicht Ausdruck eines politischen Versagens. Die tiefste Impfquote Westeuropas hat Gründe, die in der Schweiz sehr vertraut klingen dürften. Zum einen kommunizierte die Regierung unentschlossen. Sie vermochte nicht, einen genügend grossen Teil der Bevölkerung von der Notwendigkeit der Vakzine zu überzeugen. Stets auf die öffentliche Meinung bedacht, erklärte der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz die Pandemie fast im Monatsrhythmus für beendet, überwunden oder «gut gemeistert» – leider zu früh. Geradezu fatal war, dass die Regierung aus Rücksicht auf die für Kurz’ ÖVP wichtige Landtagswahl in Oberösterreich Ende September trotz steigenden Fallzahlen auf schärfere Massnahmen verzichtete. Wochenlang wurde das grassierende Virus praktisch ignoriert.

Zum anderen durchbricht mit der FPÖ eine starke rechtspopulistische Kraft den politischen Konsens mit dem Ziel, sich den Gegnern der Corona-Massnahmen als einzige Alternative anzubieten. Der FPÖ-Chef Herbert Kickl spricht von Impfvergewaltigung und empfiehlt die Behandlung von Covid-19 mit einem Entwurmungsmittel für Pferde – ein gefährlicher Unsinn, der sich über soziale und einige traditionelle Medien dennoch rasch verbreitet. Es ist wohl kein Zufall, dass die Impfquote in Oberösterreich, wo die FPÖ mitregiert, am tiefsten ist.

Die Folge ist ein Desaster, das vermeidbar gewesen wäre. Die 2-G-Regelung ist unpopulär, verfassungsrechtlich heikel und treibt die Spaltung der Gesellschaft voran. Aber man möchte sich nicht vorstellen, welche Verwerfungen ein weiterer Lockdown auslöste.