Klimawandel- Glaziologin erklärt die Prozesse in der Polarregion
Angelika Humbert im Gespräch mit Nana Brink
Seit 2009 hat sich das Abschmelzen der Eismassen in Grönland verdoppelt. Einerseits schmelze das Eis an der Oberfläche schneller, erklärt die Glaziologin Angelika Humbert. Andererseits würden die Gletscher sich beschleunigen und dadurch mehr Inlandeis in den Ozean hineintragen.
Nana Brink: Die Satellitenbilder, die wir von den Polen sehen, strahlen immer in allen Farben. Auffällig ist, dass das Blau immer mehr abnimmt und das Rot immer mehr zunimmt. Heißt: Die Eisschilde Grönlands und der Antarktis verlieren rund 500 Kubikkilometer Eis pro Jahr. Um sich das mal plastisch vorzustellen, das wäre eine Eisschicht, die rund 600 Meter dick wäre und sich über das ganze Stadtgebiet von Hamburg erstrecken würde. Man kann sich ausmalen, dass das mit der Erderwärmung zu tun hat, die gerade die 195 Delegationen auf der Klimakonferenz in Peru beschäftigt. Man will ja versuchen, das Ansteigen der Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Angelika Humbert ist Glaziologin, das ist Gletscherforscherin, am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Guten Morgen, Frau Humbert!
Angelika Humbert: Guten Morgen!
Brink: Glaziologin, das ist eine wunderbare und ungewöhnliche Berufsbezeichnung. Sie sind also berufsmäßig im Eis unterwegs, salopp gesagt?
Humbert: Ja, genau. Wir beschäftigen uns mit dem Fließen und dem Rückgang und der Veränderung der Eismassen.
Brink: Kommen wir auf die Eisschmelze zu sprechen. Das ist ja nichts Ungewöhnliches, beschäftigt uns auch schon seit Jahren. Sie hat sich aber seit 2009 in Grönland verdoppelt. So schnell ging das noch nie, haben Sie herausgefunden. Wie erklären Sie sich das?
Masse der Eisschilde nimmt ab
Humbert: Diese Verdopplung ist schon ein deutlicher Unterschied zu den Jahren und Jahrzehnten zuvor. Die Erklärung hierfür ist zweiteilig. Den letztendlichen Grund können wir auch noch nicht ganz genau sagen, aber wir haben hier zwei Faktoren, die diese Veränderung der Eismassen bewirken. Das eine ist, dass es in Grönland tatsächlich an der Oberfläche auch schmilzt. In dem Moment trifft dieser Begriff „Gletscherschmelze“ auch zu.
Der andere Fall ist aber der, dass diese Gletscher sich beschleunigen. Und mit der Beschleunigung transportieren sie eben mehr Eis von dem großen Inlandeisschild in den Ozean hinein. Und dadurch nimmt die Masse und das Volumen der Eisschilde ab.
Brink: Ich versuche mir gerade vorzustellen – was bedeutet das, transportieren? Was transportieren Gletscher?
Humbert: Gletscher transportieren sozusagen ihre eigene Eismasse. Stellen Sie sich vielleicht einfach ein Glas Honig vor, das sie auf dem Frühstücksbrett komplett umdrehen, dann beginnt der Honig ja auch zu fließen. Und der fließt irgendwann am Rand über das Frühstücksbrett hinaus, und das ist dieser Transport von Eis der Gletscher in den Ozean.
Brink: Und diese Eisschmelze, mit dem Begriff sind Sie ja nicht ganz einverstanden, oder muss man den ein bisschen genauer definieren?
Humbert: Ja, es geht eigentlich um eine genaue Definition. Häufig ist es so, dass Menschen sich gar nicht vorstellen können, dass die Antarktis, dass die Gletscher da schmelzen. Es ist ja so unheimlich kalt.
Brink: Ist ja auch schwer vorzustellen.
Humbert: Und de facto ist es in der Antarktis auch nicht so, dass uns die Gletscher wegschmelzen, sondern sie beschleunigen sich und dadurch verlieren sie eben von ihrer Masse. Also Ihr Honigglas, dass der Honig immer schneller fließt, dann ist irgendwann nichts mehr auf dem Brett übrig, und das hat gar nichts damit zu tun, dass der Honig an der Oberfläche irgendwie warm geworden ist oder irgendwie weggeschmolzen wäre. Deshalb ist eigentlich der Begriff der Schmelze nur dort wirklich anzuwenden, wo das Eis an der Oberfläche auch schmilzt.
Brink: Nun werden aber diese Eisstücke, sagen wir mal, diese Riesen ja transportiert ins Wasser, weiter, und irgendwann schmelzen sie ja oder lösen sich ja doch auf. Was bedeutet denn das eigentlich für unsere Erde?
Regionale Veränderung des Meeresspiegels
Humbert: Das sind zwei Faktoren, die da reinspielen. Das eine ist, dass man natürlich, ähnlich, wie wenn man in ein Wasserglas einen Eiswürfel reinwirft, der Meeresspiegel erst mal steigt. Und bei den Ozeanen gibt es noch den weiteren Effekt, dadurch, dass man von den Gletschern Frischwasser, das kalt ist, einträgt, verändern sich die Zirkulationen und die Salzverteilung im Ozean. Und das selbst hat auch eine Veränderung des Meeresspiegels, bringt es mit sich.
Und in beiden Fällen hat man eben einen Anstieg des Meeresspiegels im globalen Mittel sozusagen, über den gesamten Ozean. Und der Beitrag, der durch diese Veränderung des Salzgehalts in der Strömung kommt, das macht eben den regionalen Meeresspiegel, also eine Veränderung auch von der Nordsee, ob das jetzt in der Hamburger Bucht ist oder hier in Bremerhaven oder an anderen Stellen der Küsten der Weltmeere.
Brink: Das bedeutet was?
Humbert: Das bedeutet, dass dieser globale Anstieg, den man immer in irgendwelchen Zahlen versucht zu fassen, so und so viele Millimeter pro Jahr, in einzelnen Regionen eben deutlich stärker sein kann, in anderen eben auch niedriger. Und für die Leute, die in den Regionen beheimatet sind, die einen höheren regionalen Meeresspiegelanstieg erleben, für die ist eben diese Implikation deutlich spürbarer.
Brink: Also Überschwemmungen?
Humbert: Zum Beispiel. Insgesamt einfach ein Anstieg des Meeresspiegels. Und häufig halten einfach die Deiche dem dann nicht mehr stand.
Brink: Welchen Anteil hat der Klimawandel an dieser Entwicklung?
Humbert: Es gibt in den Eisschilden natürlich immer auch eine interne Variabilität. Wir nennen das so eine natürliche Veränderung, die damit zustande kommt, dass es eine fließende Eismasse ist. Stellen Sie sich das Eis als eine sehr, sehr zähe Flüssigkeit vor …
Brink: Der Honig …
Humbert: … der Honig, genau. Und der kann mal am Boden festgefroren sein, und dann hat er ganz viel Scherwärme, und dann wird das Eis wärmer. Und je wärmer es ist, desto schneller fließt es auch. Es wird unten am Boden so warm, dass es anfängt zu gleiten. Dann rutscht es auch noch zusätzlich über den Boden. Und mit dem baut sich die Scherwärme wieder ab und auf die Art und Weise wird er wieder kälter …
Brink: Was ist eine Scherwärme? Vielleicht noch mal …
Humbert: Wenn Sie Knete ganz stark kneten, wird die Knete warm. Und diese Verformungswärme, diese Verformungsenergie, die geht in die Wärme dann hinein. Und das macht den Gletscher wärmer, und dann fließt er schneller. Und dieser Zyklus, das ist was, was eine interne Variabilität, wie wir das nennen, bedingt. Das hat also nichts mit dem Klimawandel zu tun, und das passiert auch auf Zeitskalen von Dekaden, Hunderten von Jahren.
„Schwarzer Schnee“: Mischung aus Rußpartikeln und Mikroben
Brink: Faszinierend, wie viele unterschiedliche Formen und Kältegrade auch Eis haben kann. Das stellt man sich als Laie gar nicht so direkt vor. Also der Klimawandel spielt eine Rolle. Aber er spielt bei einem anderen Phänomen eine Rolle, das Sie auch festgestellt haben, nämlich dem schwarzen Schnee.
Humbert: An der Oberfläche von Grönland kann man in manchen Regionen so eine ziemlich dunkle Oberfläche feststellen. Das ist eine Mischung aus Rußpartikeln zusammen mit solchen Mikroben, wir nennen das Cryogenites, und die machen eben – das sieht wie so kleine Zylinderchen aus, die sich langsam in die Tiefe fressen. Das ist so eine gelartige Substanz, und die verändert natürlich die Oberfläche von dem Schnee. Und diese Veränderung dieser Oberfläche bedingt, dass die Rückstreuung dieser Schneeoberfläche oder Eisoberfläche eben eine andere ist.
Brink: Woher kommt das?
Humbert: Das ist eine Ausbreitung, sag ich mal, das ist so ein biologischer Zyklus, wie sich das ausbreitet, und dann kommt eben noch Zutrag von Rußpartikeln durch die Regionen, die rund um Grönland auch liegen.
Brink: Und wie kommen diese Rußpartikel dahin?
Humbert: Das ist durch die Atmosphäre.
Brink: Woher kommen die?
Humbert: Unterschiedliche Regionen. Es gibt ja auf der Nordhalbkugel genügend Rußquellen, die gut dorthin transportiert werden können.
Brink: Also auch eine Sache, die dann das Schmelzen befördert?
Humbert: Ja, man muss auch sich vorstellen, dass es auch sehr stark von der Oberfläche an sich abhängt. Wenn ich eine Schneeoberfläche habe, dann reflektiert die anders als eine blanke Eisoberfläche, und so eine blanke Eisoberfläche, die schmilzt bei gleicher Temperatur an der Oberfläche einfach schneller, und das ist auch so ein positiver Feedback, letztendlich.
In dem Moment, wo ich immer mehr an der Oberfläche von Grönland schmelze und immer mehr blanke Eisfläche produziere, schmilzt es dann eben im Jahr darauf an diesen Stellen auch deutlich früher, und übers Jahr gesehen auch mehr.
Also, es ist nicht nur der Beitrag von dem Ruß, sondern einfach der Unterschied zwischen einer Schneeoberfläche und einer Eisoberfläche, allein das.
Brink: Der Beitrag, den der Mensch dazu beiträgt, dass sich die Natur verändert. Herzlichen Dank, Angelika Humbert, Gletscherforscherin am Alfred-Wegener-Instititut in Bremerhaven. Danke für das Gespräch!
Humbert: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.