Dies & Das: Streiflichter vom 21.8.2019-Für eine Handvoll Euro

Flaschensammler und ihr Alltag – von Frederik Rother

In Parks, bei Großveranstaltungen, auf der Straße: In vielen deutschen Städten sammeln Menschen Pfandflaschen und Dosen. Sie verdienen sich etwas dazu, um mehr Geld zum Leben zu haben. Die Ursachen dafür reichen oft Jahre zurück.

Ein Mann sucht in Berlin in einem Papierkorb nach Pfandflaschen oder Pfanddosen (picture alliance/ dpa/ Wolfram Steinberg)

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„Ich mache das schon fünf, sechs Jahre. Erst mal war das nur so ein Hobby, dann habe ich so im Vorbeigehen ein paar Flaschen eingepackt und jetzt gehe ich richtig los zum Flaschensammeln.“

Birgit sitzt vor einem Imbiss in Köln, Zigarette in der Hand, vor ihr eine Cola. Auf der vierspurigen Straße rauschen die Autos vorbei. Im Supermarkt gegenüber hat sie gerade Flaschen in den Pfandautomaten geworfen. Das Ende eines heißen Junitages – der in einer Notschlafstelle für obdachlose Frauen begann.

„Ich war um 10 Uhr aus der Notschlafstelle raus und bin dann da hinten zur Kirche gegangen. Manche Mülleimer waren richtig gut gefüllt mit Flaschen, leeren Flaschen. War nicht schlecht, acht Euro so ungefähr.“

Birgit sammelt Flaschen, um etwas Geld dazuzuverdienen – neben der Sozialhilfe in Höhe von monatlich gut 300 Euro, die sie vom Amt bekommt. Einen geregelten Job hat sie nicht.

Sie geht zu ihrem Einkaufskorb mit Rollen: „Da sind Klamotten drin, was zu essen, Tabak, Plastiktüten, Handtasche.“

Leere Flaschen packt sie in die Tüten, die sie an den Korb gebunden hat.

„Ich werfe alles durcheinander und im Rewe, da ist so ein Flaschenautomat, da kann man alle Flaschen reintun.“

Einkommen reicht oft nicht aus für den Alltag

Bierflaschen bringen in der Regel acht Cent Pfand, Mehrwegflaschen aus Glas oder Plastik 15 Cent, Dosen und Flaschen, die mit Einwegpfand belegt sind, 25 Cent. Hinter acht Euro Ertrag steht viel Arbeit – so fühlt es sich für Birgit auch an: „Ja, weil ich bin ja schon was älter, ich bin ‚64 geboren und da hat man schon so Probleme mit Krankheiten, kranke Beine und Rückenschmerzen und so.“

„Die meisten, die Flaschen sammeln, sind in irgendeiner Art von Armut betroffen“, sagt Alban Knecht, Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität im österreichischen Klagenfurt. Er forscht zu Armut, Ungleichheit und Sozialpolitik – und beschäftigt sich mit dem Phänomen Flaschensammeln, das in vielen deutschen Städten zum Alltag gehört. Zahlen von Behörden dazu gibt es nicht. Aber es dürften Tausende Sammler sein, aus Deutschland und dem Ausland.

Offiziell gelten Menschen hier als von Armut bedroht, wenn sie für alle Ausgaben monatlich weniger als 1.000 Euro zur Verfügung haben.

Im Sommer wird gerne gegrillt: zurück bleibt viel Müll, aber auch Pfandflaschen. (dpa / picture alliance / Guido Kirchner)

Alban Knecht hat bei seiner Forschung und in Interviews festgestellt, dass die meisten Flaschensammlerinnen und -sammler nicht obdachlos sind. In der Regel beziehen sie Hartz IV oder eine Frührente. Aber dieses Einkommen reicht laut Knecht oft nicht aus, um den Alltag zu bestreiten. Deswegen sammeln sie Pfandflaschen.

„In den Interviews haben sie oft gesagt, naja, es ist ja eigentlich nur ein Hobby, weil sie es selber auch nicht ganz ernst nehmen als Beruf. Aber die Idee ist schon so, dass ich da einer richtigen Tätigkeit nachgehe, die ein bisschen berufsähnlich ist. Viele Flaschensammler sagen, betteln kommt für mich gar nicht in Frage, ich möchte irgendwie was tun, wo es auch eine Gegenleistung gibt. Und die kleinste Lösung ist dann Flaschensammeln.“

Viele Sammlerinnen und Sammler strukturieren damit auch ihren Alltag, nutzen ihre freie Zeit sinnvoll. Wenn es gut läuft, so Knecht, verdient man täglich fünf bis zehn Euro. Bei Fußballspielen oder Volksfesten kann es auch schon mal deutlich mehr sein. Aber so etwas ist nicht die Regel.

Weltmeisterschaft 2006: wie alles begann

„Es geht wirklich nur darum, beschäftigt zu sein und sich das Leben mit ein paar Euro am Tag etwas schöner zu gestalten. Flaschensammler erzählen zum Beispiel, dass sie sich dann auch einen Kaffee leisten können, das würde sonst nicht gehen.“

Das Sammeln von Pfandflaschen ist eine Entwicklung, die sich für Knecht zeitlich klar einordnen lässt: „Das Flaschensammeln hat begonnen zur Weltmeisterschaft 2006, da war einmal das Public Viewing ein Grund.“

Public Viewing wurde mit der Weltmeisterschaft 2006 populär – und damit auch das Flaschensammeln. (picture alliance / imageBROKER / Thomas Frey)

Und die Einführung des Einwegpfandes. Seit 2003 werden in Deutschland Mineralwasser, Bier und kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke in Einwegverpackungen bepfandet, mit 25 Cent. Das gilt für Flaschen und Dosen und soll verhindern, dass Einwegverpackungen in der Natur landen. Die Quote der Mehrwegverpackungen soll auch gesteigert werden. Das Pfand habe das Flaschensammeln attraktiv gemacht, meint Alban Knecht.

Ein anderer Grund, den der Soziologe für das Aufkommen des Flaschensammelns ausmacht, ist: „Natürlich auch Hartz IV. Die Leute sind einfach nicht mehr mit ihrem Geld zurechtgekommen.“

Seit 2005 gilt in Deutschland das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, kurz Hartz IV. Das Ziel war, den Arbeitsmarkt zu beleben und Einsparungen bei den staatlichen Sozialausgaben zu erreichen.

Unter anderem wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt, die Unterstützung für Langzeitarbeitslose auf das Niveau der Sozialhilfe gesenkt. Die Folge laut Knecht: Viele Leute sind finanziell nicht mehr zurechtgekommen. Einige fingen an, Flaschen zu sammeln.

Zunahme von Ungleichheit und Armut in Deutschland

Grundsätzlich sieht auch Stefan Sell diese Entwicklung. Aber der Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz schaut weiter zurück, auf die Mitte der 1990er-Jahre. Sell beobachtet seitdem eine deutliche Zunahme der Ungleichheit und damit verbunden auch der Armut in Deutschland:

„Das hängt zusammen mit der gewaltigen Zunahme schlecht bezahlter, also Niedriglohnjobs. Die hängen auch zusammen mit dem Zerfall der Tarifbindung in vielen Branchen und Hartz IV wirkte ein Stück weit wie ein Brandbeschleuniger. Dahingehend, dass ja ein Wesensmerkmal von Hartz IV die Tatsache ist, dass den Menschen jede, aber auch jede Form von Beschäftigung, und sei sie noch so schlecht, zumutbar wurde.“

Starke Gewerkschaften, gute Tarifverträge, solide Altersabsicherung: Das alte Sozialstaatsmodell der Bundesrepublik funktionierte in den 1990er-Jahren nicht mehr. Gleichzeitig wurden die Finanzmärkte dereguliert, Schutzvorschriften abgebaut, Industriearbeitsplätze in Billiglohnländer verlagert. Das führte laut Sell zu einer Zunahme prekärer Lebenslagen von Arbeitnehmern:

„Sie sind entweder abgerutscht in lange Phasen der Arbeitslosigkeit, oder aber immer wiederkehrende Arbeitslosigkeit oder sie sind gelandet in Jobs im Dienstleistungsbereich, die eben deutlich schlechter bezahlt sind und abgesichert sind als die Jobs, sagen wir mal, die die Mehrheit in den 70er- und 80er-Jahren gestellt haben. Viele der Probleme, die wir heute sehen, sind Folgen von Entwicklungen, die damals in den 90er- und 00er-Jahren über uns gekommen sind.“

Hinter diesen politischen Entwicklungen wie auch hinter der Hartz-IV-Reform stand ein neoliberaler Gedanke mit der Idee: „Dass Marktkräfte per se bessere Lösungen am Ende bringen werden als wenn der Staat, unvollkommen wie er ist, da rumfummelt.“

Dadurch hat sich auch das Leitbild für den Sozialstaat verändert. Hartz IV rückt die Eigenverantwortung der Menschen in den Blick – Stichwort: „Fördern und Fordern“. Und Betroffene werden sanktioniert, wenn sie gegen Pflichten und Auflagen verstoßen. Eine Sozialpolitik, die nach Meinung vieler Experten Armut fördert.

Flaschensammler finden sich oft bei Großveranstaltungen wie Musikkonzerten und Fußballspielen (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)

„Hallöchen, leere Flaschen? – Ich glaube, da ist kein Pfand drauf. – Doch, die nehme ich. – Dann gerne, vielen Dank, schönen Tag noch.“

Die zwei jungen Frauen sind hilfsbereit. Sie sitzen an einem heißen Montagabend unter einem Baum im Park und geben Hajo, 78 Jahre alt, zwei Pfandflaschen aus Glas. Er kippt die letzten Tropfen aus und packt die Flaschen in seinen Einkaufstrolley.

Was sind sie wert? „15 Cent eine, Bierflasche nur acht Cent. Aber die Menge macht‘s. Samstag, Sonntag hatten wir das Auto voll. Das waren 42 Euro – Pfandgeld.“

Hajo und seine Frau Ingrid sammeln seit gut drei Jahren Pfandflaschen in einem Park im Kölner Süden. Ingrid ist 75 Jahre alt, sie läuft mit ihrem Trolley gerade das andere Ende der Wiese ab. Konkurrenzsituationen und Reibereien mit anderen Sammlern, wie sie an belebten Orten schon mal vorkommen können, haben sie hier keine.

1.600 Euro Einnahmen pro Jahr durch Pfandsammeln

Route und Logistik sind bei beiden eingespielt. Wie viele andere regelmäßige Sammler haben sie sich professionalisiert und kümmern sich um ihre Ausrüstung: „Mein Wägelchen hier, das ist vom Speermüll, den Griff habe ich mir selber gemacht. Ab und zu muss man die Räder mal runter machen, ein bisschen Fett dran tun, damit die nicht anfangen zu quietschen, ne.“

Hajo ist gelernter Brauer und hat dann unter anderem als Maler, Versicherungskaufmann und Immobilienmakler gearbeitet. Er mag das Sammeln, quatscht gerne mit den Menschen. Sogar Freunden und Nachbarn haben sie davon erzählt.

Ingrid ist Einzelhandelskauffrau und war viele Jahre bei einer Bank angestellt. Mit 58 ist sie in Frührente gegangen, deswegen musste sie Abzüge in Höhe von 18 Prozent in Kauf nehmen.

Mittlerweile ist Ingrid bei ihrem Mann angekommen: „Mein Mann war lange Jahre selbstständig, der kriegt nur 500 Euro Rente. Und wir haben natürlich Glück, weil wir eine Genossenschaftswohnung haben und eine günstige Miete zahlen, sonst kämen wir mit der Rente nicht hin.“

Flaschensammeln – für viele Menschen eine Art Einkommen (imago stock&people)

Aber große finanzielle Sprünge sind nicht drin, deswegen sammeln sie Flaschen. Manchmal fährt Ingrid noch Senioren zum Einkaufen oder zum Arzt und verdient so ein bisschen dazu. Mit dem Geld bestreiten sie ihren Alltag:

„Zum Urlaub nehmen wir mal was raus, oder fahren mal da und da hin, dann nehmen wir mal was raus, aber sonst haben wir immer Geld im Haus. Dadurch kann man sich einfach ein bisschen mehr leisten. Ich habe meine Enkelin, die studiert, da unterstützt man ja auch.“

1.600 Euro hätten sie im letzten Jahr eingenommen, erzählen sie, nur durch das Pfandsammeln. Ans Aufhören denken die beiden nicht.

Aber es bleibt ein mühsames Geschäft. Die vielen eingesammelten Flaschen sind schwer und das Pfandgut muss zurückgegeben werden. Mit ihrem Auto fahren Ingrid und Hajo regelmäßig zu einem großen Supermarkt am Stadtrand. In kleineren Geschäften hätten sie schon mal Ärger mit anderen Kunden gehabt, weil die bei der Pfandrückgabe warten mussten.

„Gute und schlechte Arme“?

Der Supermarkt ist neben der Straße und dem Park ein öffentlicher Ort, an dem sich Sammler meistens klar zu erkennen geben müssen. Ein Ort, der mit Scham behaftet ist. Soziologe Alban Knecht: „Viele Flaschensammler berichten, dass das am Anfang ein Thema war, dass man damit irgendwie zurechtkommt, sich nicht so aus dem Konzept bringen lässt, wenn Leute zuschauen. Auf der anderen Seiten haben uns die Flaschensammler und -sammlerinnen immer wieder berichtet, dass es schwierig ist und auch eine gewisse Überwindung braucht, wenn ich in den Supermarkt reingehe und sage, so, hier sind meine Flaschen, ich hätte jetzt gerne Geld ausbezahlt. Das ist auch ein Moment, der schambehaftet ist.“

Immer unterwegs: Flaschensammler am Rathenauplatz in Köln (picture alliance / Arco Images /Joko)

Generell spielen die Eigen- wie auch die Fremdwahrnehmung eine wichtige Rolle. Sammler rechtfertigen sich oft, verweisen auf den Schutz der Umwelt, betrachten ihre Tätigkeit als Job, sagen, dass das Geld auf der Straße liegt. Sie wollen zeigen, dass sie proaktiv versuchen, aus der eigenen Situation, die häufig mit Armut verbunden ist, das Beste zu machen. Sie wollen zur Gesellschaft dazugehören.

Dem gegenüber steht die Wahrnehmung von außen. Und der zweigeteilte Blick der Gesellschaft auf bedürftige, arme Menschen. Sozialwissenschaftler Stefan Sell: „Es gibt sozusagen, bitte in Anführungsstrichen, gute und schlechte Arme. Gute Arme, in Anführungsstrichen, sind Menschen, die unverschuldet da reingekommen sind oder aber etwas geleistet haben, jetzt arm sind und das ist unerträglich.“

Dazu gehören altersarme Menschen, Menschen mit Behinderung oder auch kleine Kinder.

„Währenddessen aber zum Beispiel Langzeitarbeitslose, also Erwachsene, da wird oft – ob bewusst oder unbewusst – unterstellt, die haben sich selber in diese Situation hineinmanövriert, sind also selber schuld an der Armut.“

Die Folge laut Stefan Sell: Die Bereitschaft des Einzelnen, für eine Umverteilung und würdige Absicherung zu sorgen, fällt deutlich niedriger aus, als wenn Langzeitarbeitslose als gesellschaftliches Problem verstanden werden. Diese Entwicklung ist für Sell seit den 1990er-Jahren zu beobachten und unauflösbar mit dem neoliberalen Geist jener Zeit verknüpft.

Viele Menschen geben leere Pfandflaschen freiwillig weiter

Dazu beigetragen haben auch Äußerungen von Politikern über den Missbrauch von Sozialleistungen: „Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, dass wir unser Land als einen kollektiven Freizeitpark organisieren.“ – Helmut Kohl 1993.

„Mehr Eigenverantwortung des Einzelnen, weniger soziale Hängematte.“ – Wolfgang Schäuble 1994.

„Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft!“ – Gerhard Schröder 2001.

„Der Link ist eben da, dass die Flaschensammler, dadurch, dass sie sich als jemand darstellen, der arbeitet, sozusagen aus diesen Fängen des Missbrauchs befreien können. Und das ist tatsächliche eine Strategie, die funktioniert“, sagt Soziologe Alban Knecht von der Universität Klagenfurt, der die Folgen von Missbrauchsdiskursen untersucht hat.

Flaschensammlern wird oft positiv begegnet. Viele Menschen geben leere Pfandflaschen freiwillig weiter. Die Motive sind unterschiedlich: Kleinstbeträge zu verschenken, tut finanziell nicht weh, man muss das Pfandgut nicht selbst zurückbringen oder hat das Gefühl, Gutes zu tun und hart arbeitenden Menschen zu helfen.

Mit der Polizei haben Flaschensammler kaum Ärger. Es ist in der Regel zwar verboten, Flaschen aus öffentlichen Abfalleimern rauszunehmen. Denn deren Inhalt gehört städtischen Entsorgern. Aber verfolgt wird das meistens nicht.

Sozialwissenschaftler Stefan Sell (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)

An Flughäfen, Bahnhöfen und in Einkaufszentren ist das Durchsuchen von Abfallbehältern ebenfalls oft nicht erlaubt. Regelmäßig gibt es Berichte über Sammler, die vom jeweiligen Sicherheitspersonal des Ortes verwiesen und teilweise auch angezeigt werden. Mit dem Jobcenter kann es theoretisch auch Konflikte geben, wenn Pfandgeld als Einkommen betrachtet und mit Hartz-IV-Bezügen verrechnet wird. Fälle sind aber so gut wie keine bekannt.

Das Flaschensammeln ist in den letzten Jahren ein breites gesellschaftliches Phänomen geworden. Immer wieder gibt es deswegen Initiativen, die die Suche nach Pfand erleichtern sollen – wie „Pfand gehört daneben“ oder die Internetseite „pfandgeben.de„. Gürhan hat sich dort vor einiger Zeit angemeldet. Jetzt sitzt der 40-Jährige an den Rheintreppen in Köln und erzählt: „Pfandgeben.de hat ja den Vorteil, man muss gar nicht auf den Straßen rumlaufen. Man wird von da angerufen, von Leuten, die einfach ihre Pfandflaschen loswerden wollen, man geht da einfach hin und holt die ab.“

Pfandflaschen, die nicht recycelt werden, belasten die Umwelt

Denn Pfandgeber können registrierte Nutzer wie Gürhan einfach kontaktieren. Gürhan ist gelernter Fachinformatiker, aufgrund von Epilepsie aber nur eingeschränkt einsatzfähig. Zurzeit bezieht er Hartz IV, monatlich gut 600 Euro inklusive Mietbeihilfe. Letztes Jahr hat er angefangen, sporadisch Pfand zu sammeln.

„Ich habe das nicht, ich sage mal, aus eigener Lust gemacht, ich habe nämlich momentan auch ein bisschen höhere Schulden. Und das ist auch einer der Gründe insbesondere, warum ich das Sammeln gestartet hatte. Und es ist nicht unbedingt angenehm.“

Deswegen ist er vor allem nachts los. Aber der Ertrag war nicht hoch, er wollte keine Glasflaschen mitnehmen, zu schwer und vergleichsweise wenig wert. Seine Krankheit hat die Gänge erschwert. Nach wenigen Monaten hat Gürhan mit dem aktiven Sammeln aufgehört und sich bei pfandgeben.de angemeldet. Bisher kamen über das Internet-Portal keine Vermittlungen zustande, aber vielleicht ändert sich das noch, sagt Gürhan, er bleibt optimistisch.

Projekte wie „Pfandgeben.de“ oder die sogenannten Pfandringe – die an öffentlichen Abfalleimern montiert werden können, um Pfandflaschen darin abzustellen – haben neben dem sozialen auch einen ökologischen Anspruch. Denn Pfandflaschen, die nicht recycelt werden, belasten die Umwelt.

Pfandring in Karlsruhe: So ist es Pfandsammlern einfacher möglich, die Flaschen und Dosen mitzunehmen. (dpa / picture alliance / Uli Deck)

Hier kommen die Sammler ins Spiel: „In jedem Fall spielen die Flaschensammler eine große Rolle für die Sammlung dieser bepfandeten Einwegflaschen“, sagt Philipp Sommer, stellvertretender Leiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. Auch ein Interessenverband der Verpackungsindustrie bestätigt das.

Aber genaue Zahlen zur Relevanz von Sammlern für das Pfandsystem gibt es nicht. Klar ist nur: Wegen des im europäischen Vergleich hohen Einwegpfandes ist das Flaschensammeln vor allem eine deutsche Entwicklung.

Flaschensammeln wird attraktiv bleiben

Mehrere Untersuchungen zeigen: Knapp 98 Prozent der PET-Plastikflaschen, die mit dem Einweg-Pfand belegt sind, werden in Deutschland zurückgebracht und recycelt. Auch bei Dosen mit Einwegpfand und Mehrwegverpackungen ist die Sammelquote ähnlich hoch.

Ein mit dem Einwegpfand verbundenes Umweltschutz-Ziel wurde dabei erreicht: Die Vermüllung der Umwelt hat deutlich nachgelassen. Ein anderes Ziel wurde verfehlt: Die Förderung von wieder benutzbaren Mehrwegverpackungen. „Im Verpackungsgesetz gibt es eine Quote für Getränke in umweltfreundlichen Mehrwegflaschen von 70 Prozent. Die wird aber überhaupt nicht eingehalten, aktuell liegen wir bei etwa etwas mehr als 40 Prozent. Wir haben ja viele Händler, die überhaupt keine Mehrwegflaschen verkaufen.“

Ein mit dem Einwegpfand verbundenes Umweltschutz-Ziel wurde nicht erreicht: die Verbraucher greifen aus Kosten- und Bequemlichkeitsgründen gerne zum Pet-Produkt. (dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck)

Für die lohnt sich Einweg oft mehr. Denn die leeren Plastikflaschen und Dosen werden einfach geschreddert und recycelt und müssen nicht wie Mehrwegflaschen gelagert und später zur Wiederbefüllung weitertransportiert werden. Die Verbraucher greifen auch gerne zu Einwegverpackungen – oft, weil sie den Unterschied zwischen Einweg und umweltfreundlicherem Mehrweg nicht erkennen, sagen Umwelt- und Verbraucherschützer.

Damit wird das Einwegpfand Deutschland noch eine Weile erhalten bleiben. Und das Flaschensammeln wird auch deswegen weiterhin attraktiv bleiben. Dennoch muss die Politik hier ansetzen, sagt Philipp Sommer von der Deutschen Umwelthilfe: „Ich denke, dass Fragen der sozialen Gleichheit und Umweltfragen getrennt voneinander gelöst werden müssen.  Es ist wichtig, dass wir Armut und soziale Ungleichheit grundsätzlich bekämpfen und das nicht etwa durch Lebensmittelspenden oder das Sammeln von Einwegplastikflaschen die Probleme abmildern.“

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