Dies & Das: Kein Dank für die DNA-Pionierin Rosalind Franklin

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Frauen in Forschung

Brigitte Biwald, 25.7.2020

Kein Dank für die DNA-Pionierin Rosalind Franklin

Die britische Forscherin, geboren am 25. Juli vor hundert Jahren, trug wesentlich zur Entdeckung der DNA-Doppelhelix bei – den Ruhm ernteten andere.

Drei Männer erhielten den Nobelpreis für die Entwicklung des Modells der DNA. Die Datengrundlage stammte jedoch von einer Frau – von Rosalind Franklin (1920-1958). Neben dem Eingang des Pubs „The Eagle“ in Cambridge hängt eine blaue Gedenktafel: In dieser Kneipe verkündeten 1953 Francis Crick und der heute 92-jährige James D. Watson, sie hätten die Struktur der DNA entschlüsselt. Im Oktober 2017 kritzelte jemand auf die Tafel „+Franklin“.

Die Entdeckung der Struktur der DNA (Desoxyribonukleinsäure) gilt als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Ohne die Vorarbeiten der britischen Biochemikerin Rosalind Franklin hätten die drei Wissenschafter James D. Watson (geboren 1928), Francis Crick und Maurice Wilkins (beide 1916-2004) die Struktur der DNA nicht erforschen können.

Die Leistungen von Rosalind Franklin (1920-1958) wurden lange geringgeschätzt. – © Getty Images/Donaldson Collection/Michael Ochs Archives

Den beiden Autorinnen Anne C. Sayre und Brenda Maddox verdanken wir einen Einblick in den Kampf von Rosalind Franklin um wissenschaftliche Anerkennung. Sayre und Maddox konnten noch mit Zeitzeugen und den Hauptakteuren Crick, Watson und Wilkins diskutieren. Auch erhielten sie Einblick in das Familienarchiv der Franklins. Somit konnte das zum Teil negative Bild, das James Watson in herablassender Weise von Rosalind Franklin für die Nachwelt zeichnete, revidiert werden. Watson, acht Jahre jünger als Franklin, beschrieb „Rosy“ in seinem Bestseller von 1969 „Die Doppelhelix“ als „farblose Erscheinung“, ließ seine Erzählung aber mit anerkennenden Worten enden.

Energischer Charakter

Rosalind Franklin war in keiner Hinsicht „farblos“: Geschmackvoll, aber schlicht gekleidet mit sportlicher Figur bewältigte sie ihren Forschungsalltag. Sie hatte nicht nur eine hohe mathematische Begabung, sondern auch „goldene Hände“ bei der chemischen Vorbereitung und der fotografischen Röntgenanalyse. Die junge Frau liebte das Bergsteigen, zeigte Ausdauer und Konzentration und scharte einen großen Freundeskreis um sich. Bei der Bildung von Forscherteams zeigte sich Franklin kooperativ. Sie betreute Dissertanten und galt als sehr kinderlieb. Mit ihrer entschiedenen Art eckte sie mitunter an. Franklin kam immer direkt auf den Punkt und war selten diplomatisch. Das lag aber daran, dass sie an sich selbst hohe Maßstäbe legte und solche auch von anderen erwartete.

Rosalind Franklin, geboren am 25. Juli 1920 in London, entstammte einer angesehenen jüdischen Bankier-Familie. Sie war die Zweitälteste von fünf Kindern, die alle eine hervorragende Ausbildung erhielten. Wie seinerzeit die jüdische Wiener Physikerin Lise Meitner (1887-1968), zeigte Franklin schon als Jugendliche großes Interesse an den Naturwissenschaften. Im Frühjahr 1938 bestand die erst Siebzehnjährige die Zulassungsprüfungen an der Universität Cambridge, wo sie in der

Lise Meitner und Otto Hahn (1913). – © NARA

Chemieprüfung als Beste abschnitt. Franklin studierte in der Folge dort Naturwissenschaften. Einen formellen Abschluss durfte sie zu dieser Zeit noch nicht machen. Erst 1945 wurden die ersten Wissenschafterinnen in die britische Royal Society aufgenommen. Ein Jahr vorher erhielt Otto Hahn den Nobelpreis für Chemie, Lise Meitner überging man jedoch.

Während Rosalinds Studienzeit in Cambridge zwischen 1938 und 1945 unterstützten ihre Eltern – empört über die britischen Einreisebeschränkungen – deutsch-jüdische Flüchtlinge. Sie selbst arbeitete ab 1942 an der neu eingerichteten „British Coal Utilisation Research Association“. In diesem staatlichen Laboratorium untersuchte Franklin als „Assistant Research Officer“ die physikalisch-chemischen Eigenschaften von Kohle: Ziel dieser als kriegswichtig eingestuften Analysen war es, Kohle effizienter zu nutzen. Parallel dazu arbeitete sie als Luftschutzhelferin und schloss 1945 ihre Dissertation auf dem Gebiet der physikalischen Chemie ab.

Rosalind Franklin arbeitete anschließend vier Jahre, von 1947 bis 1950, am Staatlichen Chemie-Labor in Paris, wo sie zur Expertin für Röntgenkristallografie wurde. Sie genoss diese Zeit: Im Labor herrschten Gleichberechtigung und gute Laune. Ihre Arbeit dokumentierte sie in zahlreichen Aufsätzen. Bald war sie auf ihrem Fachgebiet eine international anerkannte Wissenschafterin. Rosalind sprach perfekt französisch, nähte Kleider und kochte für ihren Freundeskreis. Ihre produktivsten Forschungsarbeiten führte sie hauptsächlich mit jüdischen Wissenschaftern durch.

Sachkundig führte sie der Physiker und Frauenheld Jacques Mering (1904-1973) in die Röntgenkristallografie ein. Er inspirierte seine Schülerin nicht nur intellektuell; aber leider war Mering verheiratet und hatte bereits eine Geliebte. Obwohl heftige Gefühle im Labor brodelten, ging Rosalind in ihrer Röntgenarbeit auf, wobei der Apparat auch handwerkliches Geschick erforderte. Weder sie noch ihre Kollegen machten sich damals bei ihrer Arbeit allzu viele Gedanken über die Gefahren der Strahlung: Die Belegschaft arbeitete auch bei eingeschaltetem Röntgengerät, denn nur so konnte die Kamera ausgerichtet werden.

Zu Weihnachten 1950 verließ Franklin Paris. Sie galt bereits als Spezialistin mit internationalem Ruf auf dem Gebiet der Struktur von Kohle und Kohlenstoffen. 1951 begann sie im Labor für Biophysik des King’s College London mit Forschungen zur Struktur der DNA. Ihre Arbeit dort stand jedoch von Anfang an unter ungünstigen Vorzeichen: Einige Pausenräume waren für Frauen damals nicht zugänglich.

Der Leiter des Instituts hatte Franklin die Koordination der DNA-Forschung übertragen. Diese Funktion sollte sich jedoch als problematisch erweisen, denn Franklins Kollege Maurice Wilkins, zweiter Direktor des Fachbereichs für Biophysik, ging davon aus, dass Franklin bloß seine Assistentin sei. Nach diesem schlechten Start kamen die beiden nie mehr gut miteinander aus, und die Arbeit wurde aufgeteilt: Franklin untersuchte die dehydrierte Form von DNA (A-Form), Wilkins die stärker wasserhaltige B-Form.

Laut James Watson war Wilkins in der Technik der Röntgenstrahlendiffraktion ein Anfänger und hoffte auf die Unterstützung Franklins. Diese aber betrachtete sich nicht als seine Assistentin, da man ihr einen eigenen Aufgabenbereich zugewiesen hatte. Überdies störte Wilkins die entschiedene Art seiner Kollegin. Er bezeichnete Rosalind als „bissig“ und versuchte erfolglos, sie mit Pralinen umzustimmen. Die Qualität ihrer Pariser Arbeit war für ihn unbedeutend. Die Suche nach „Löchern in der Kohle oder deren Fehlen“ interessierte ihn nicht.

Entscheidendes Foto

Im Jänner 1953 fuhr Watson nach London, in der Tasche einen noch unveröffentlichten Aufsatz des berühmten Chemikers und Nobelpreisträgers Linus Pauling (1904- 1973) mit einem (allerdings falschen) Vorschlag zur Struktur der DNA. Watson wollte Franklin zu einer Kooperation überreden, solange Pauling seinen Fehler noch nicht bemerkt hatte. Doch als Watson ihr vorwarf, sie deute ihre eigenen Daten falsch, wurde Rosalind Franklin wütend. Darauf verließ er hastig ihr Büro und traf auf Wilkins. Dieser zeigte ihm das entscheidende Foto Franklins, heute bekannt als „Photo 51“. Watson ging ein Licht auf!

Maurice Wilkins. – © National Institutes of Health
James D. Watson. – © National Cancer Institut

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Francis Crick. – © CC/Marc Lieberman

Bald danach bekamen Crick und Watson von einem Mitglied eines Finanzierungskomitees einen internen Report Franklins, der nicht zur Verbreitung vorgesehen war, zugespielt. Im März 1953, einen Tag, bevor Crick und Watson ihr berühmtes DNA-Modell einer Spirale aus zwei umeinander gewundenen Strängen fertigstellten, schickte Franklin zwei Artikel an eine wissenschaftliche Fachzeitschrift: In beiden beschrieb sie die Doppelhelix-Struktur, doch die Artikel erschienen erst nach der Publikation des Crick-Watson-Modells.

Inzwischen hatte Franklin das College in London gewechselt. Sie schien mit der DNA-Forschung abgeschlossen zu haben und leitete ab 1953 am Londoner Birkbeck College erfolgreich ein Team von Wissenschaftern. In dieser Zeit veröffentlichte sie zahlreiche Artikel zur Struktur des Tabakmosaikvirus (TMV). Insbesondere mit Aaron Klug (1926-2018), der 1982 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, verband sie eine intensive kollegiale Zusammenarbeit, die umfangreiche Ergebnisse im Rahmen der Pflanzenvirenforschung erbrachte.

Aaron Klug war es auch, der nach Franklins frühem Tod anhand ihrer Notizbücher zeigen konnte, dass sie bereits am 23. Februar 1953 den Beweis für die zweikettige Helix der DNA erbracht hatte. Ihr fehlte damals nur noch die Erkenntnis, dass die Basenpaare der DNA den genetischen Code trugen. Diese Schlussfolgerung zogen am 28. Februar 1953 Watson und Crick ohne Franklins Wissen. Ihre „Fotografie 51“ bleibt jedoch der Schlüssel zur Entdeckung der Doppelhelix.

Neues Forschungsfeld

Rosalind Franklin konzentrierte sich indessen auf das TMV, das man an den gekräuselten, brüchigen sowie hell- und dunkelgrün gesprenkelten Flecken erkennt, die es auf Tabakblättern verursacht. Für sie war das TMV ebenso aufregend wie die DNA, es war leicht verfügbar und hochgradig infektiös – ein geeignetes Modell für die Virenforschung.

1954 besuchte sie die USA, hielt viele Vorträge und war voll des Lobes für die amerikanischen Wissenschafter. In Amerika erhielt Franklin auch große Anerkennung für ihre Entdeckung. Sie kehrte mit Kontakten zu amerikanischen Virenlaboratorien nach Hause zurück. Diese bildeten die Grundlage eines Großteils ihrer Arbeit der folgenden drei Jahre. 1956 und 1957 veröffentlichte sie, bereits todkrank und geschwächt von einer Kobalt-Therapie, 13 Aufsätze. Insgesamt hatte sie 37 wissenschaftliche Aufsätze allein und mit anderen veröffentlicht.

Rosalind Franklin (1955). – © CC/MRC Laboratory of Molecular Biology

Am 16. April 1958 starb Rosalind Franklin im Alter von erst 37 Jahren in London an Unterleibskrebs, wahrscheinlich eine Folge des damals noch sorglosen Umgangs mit Röntgenstrahlen. Vier Jahre später erhielten Watson, Crick und Wilkins den Nobelpreis für Medizin. Nur Wilkins erwähnte Franklin in seiner Dankesrede kurz. Sie selbst erfuhr nie, wie Crick und Watson an ihre Daten gekommen waren.

Aaron Klug erinnerte 1982 in seiner Nobelpreisrede an seine Kollegin. Er verwies darauf, wie sehr sie sein Vorbild gewesen sei, und betonte gleichzeitig seine Überzeugung, dass sie gleichfalls mit dieser größten wissenschaftlichen Auszeichnung bedacht worden wäre, hätte sie nur lange genug gelebt.

Weiters

Brigitte Biwald ist Historikerin; Veröffentlichungen zur Medizin- und Militärgeschichte.
Literaturhinweise:Brenda Maddox: „Rosalind Franklin. Die Entdeckung der DNA oder der Kampf einer Frau um wissenschaftliche Anerkennung“. Frankfurt 2003.
James D. Watson: „Genes, Girls and Gamow. Erinnerungen eines Genies“. München 2003.