Sven Titz
15.07.2020
- Die jüngste Hitzewelle in Sibirien wäre ohne den Klimawandel undenkbar gewesen
- Hitzewellen sind oft die tödlichsten Wetterextreme
- Die Fische leiden, die Insekten schwärmen
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Die jüngste Hitzewelle in Sibirien wäre ohne den Klimawandel undenkbar gewesen
Seit Anfang des Jahres herrscht im Norden Sibiriens eine Wärme, die aussergewöhnlich ist. Die Durchschnittstemperatur der Monate Januar bis Juni lag mehr als fünf Grad Celsius über dem Mittelwert der Jahre 1951 bis 1980. Dies hat gravierende Folgen für die Zivilisation. Der auftauende Permafrostboden hat zum Beispiel Ende Mai zur Beschädigung eines Treibstofftanks in der Region Krasnojarsk geführt, weil das Erdreich nachgegeben hatte. Hunderttausende Liter Diesel liefen aus und verschmutzten die Gewässer der Umgebung – ein Umweltdesaster.
Hitzewellen sind oft die tödlichsten Wetterextreme
Die ungewöhnlich hohen Temperaturen seien durch den Klimawandel um den Faktor 600 wahrscheinlicher geworden, berichtet jetzt ein internationales Forscherteam. Um den Einfluss des Klimawandels auf die Hitze in Sibirien zu ermitteln, zogen die Forscher um Andrew Ciavarella vom britischen Wetterdienst, dem Met Office mit Sitz in Exeter, zahlreiche Computersimulationen zu Rate. Ohne Klimawandel, so schreiben die Autoren, gäbe es eine derartige Hitzeperiode im Schnitt nur einmal in 80 000 Jahren. Selbst unter den heutigen klimatischen Bedingungen betrage die mittlere Wiederkehrzeit 130 Jahre.
Ähnliche Studien hat die Initiative «World Weather Attribution» schon mehrfach durchgeführt. Sie sind bei der Bekanntmachung noch nicht wissenschaftlich begutachtet – dies gilt auch für die Untersuchung der gegenwärtigen Hitzeperiode in Sibirien. Doch die angewandte Methodik gilt als etabliert.
Werden die Treibhausgasemissionen nicht rasch verringert, ist gemäss der Studie zu erwarten, dass «sibirische Hitze» wie jene in der ersten Hälfte des laufenden Jahres gegen Ende des Jahrhunderts regelmässig auftreten wird. «Hitzewellen sind in den meisten Teilen der Erde die bei weitem tödlichsten Wetterextreme», sagt die Mitautorin Friederike Otto von der University of Oxford gemäss einer Pressemitteilung. «Sie müssen sehr ernst genommen werden.»
Sonia Seneviratne von der ETH Zürich, die ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat, erläutert, wie sich die Erwärmung in Sibirien selbst verstärkt: Wenn durch die Wärme der Schnee früher schmelze, nehme der Boden mehr Sonnenstrahlung auf. Gleiches gelte für das Eis auf dem Ozean und das Meerwasser. Das treibe die Temperaturen zusätzlich in die Höhe, sagt Seneviratne. Sibirien sei im Laufe des Jahres zwar stets extremen Temperaturschwankungen zwischen minus 40 und plus 20 Grad Celsius unterworfen, aber eine so grosse und anhaltende Hitze wie in diesem Jahr gehe noch deutlich darüber hinaus.
In der Kleinstadt Werchojansk wurden am 20. Juni 38 Grad Celsius gemessen, was noch offiziell geprüft wird. Damit wurde der vorherige Hitzerekord innerhalb des arktischen Polarkreises, der 1915 in Alaska aufgestellt worden war, um ein paar Zehntelgrad gebrochen.
Die Fische leiden, die Insekten schwärmen
Selbstverständlich wirkt sich die Hitze in Sibirien auch auf die Fauna aus. Fische leiden unter den hohen Wassertemperaturen; Mückenschwärme steigen auf. Und Seidenmotten vermehren sich extrem und bedrohen die Wälder. Die Motten schädigen Nadelbäume und machen sie auf diese Weise anfälliger für Waldbrände, welche dieses Jahr durch Dürre und Hitze ohnehin begünstigt werden. So ist bis zum 25. Juni bereits eine Fläche von mehr als 20 000 Quadratkilometern sibirischer Wald verbrannt – fast 3000 Quadratkilometer mehr als letztes Jahr bis zu diesem Zeitpunkt.
Neben dem Klimawandel hat eine spezielle Wetterlage, gekennzeichnet durch äusserst stabile Hochdruckgebiete, die Hitze begünstigt. Auch für den Rest des Jahres sind gemäss saisonalen Vorhersagen erhöhte Temperaturen für Sibirien zu erwarten. Die Entwicklung passt ins globale Bild: Derzeit ist das Jahr 2020 auf Kurs, eines der heissesten Jahre seit Beginn moderner meteorologischer Messungen zu werden – wenn nicht das heisseste.