Dies & Das: Die Grünen in der Regierung: Die gefühlten Niederlagen tun doppelt weh

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Kommentar der anderen Gunther Trübswasser

13. Juni 2021

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Die Grünen in der Regierung: Die gefühlten Niederlagen tun doppelt weh

Am Wochenende findet der grüne Bundeskongress statt. Grund zu fragen: Was ist mit den Leuchtturmprojekten? Warum blieb man beim türkisen Treiben oft viel zu geräuschlos?

Der ehemalige Grünen-Politiker Gunther Trübswasser wirft in seinem Gastbeitrag einen Blick auf seine Partei. Er würde sich mehr Mut in der Regierungsarbeit mit der ÖVP erwarten.

Die Ausgangslage darf als bekannt vorausgesetzt werden: Zwei Parteien, die nicht unterschiedlicher hätten sein können, sowohl nach der Größe als auch inhaltlich und vor allem in ihren machtstrategischen Ambitionen, verhandelten vor eineinhalb Jahren ein gemeinsames Regierungsprogramm und bildeten eine Regierung. Dass es ein Ritt über den Bodensee werden würde, wurde den Beteiligten erst nach und nach klar. Auch den Wählerschaften, wenngleich beide hofften, dass ihre Parteien das bessere Ende haben würden.

Illustration: Klaus Pobitzer

Verglichen mit der perspektivlosen Politik der Regierung Kurz I (mit der FPÖ) war das Programm der Regierung Kurz II mit den Grünen als Juniorpartner zweifellos über weite Strecken eine ermutigende Antwort auf die Herausforderungen der kommenden Jahre. So weit, so gut, wenn nicht stellenweise, wie im Kapitel „Migration und Sicherheit“, deutlich sichtbar geworden wäre, dass seitens der ÖVP auch mit Beton gearbeitet wurde. Anfangs durfte man zwar hoffen, dass über Details noch geredet werde. Dass es allerdings im selben Kapitel die „Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit“ ins Regierungsprogramm geschafft hatte, war für Grün-Sympathisanten schon eine arge Zumutung.

Peinlich und herzlos

Dazu war eine extrem restriktive Asylpolitik erkennbar und für den Fall einer nicht näher definierten Flüchtlingskrise ein „koalitionsfreier Raum“, der von Beginn an nichts Gutes verhieß. Spätestens bei der beharrlichen Weigerung der ÖVP, wenigstens einige Flüchtlinge, unbegleitete Kinder und Jugendliche, aus den hoffnungslos überfüllten, menschenunwürdigen Lagern in Griechenland aufzunehmen, merkte man, wie kompromisslos die Kanzlerpartei in diesem Punkt war.

Die stereotype Zurückweisung aller Hilfsangebote der Zivilgesellschaft seitens der Regierung und die brüske, ja sogar peinlich herzlose Rede von Außenminister Alexander Schallenberg, hätten viel mehr Widerspruch verdient. Auch das nährte wieder den Groll.

Doch die Grünen machten business as usual, statt dass sie das getan hätten, was jahrelang ihre erfolgreichste Strategie war, nämlich einen Pakt mit NGOs, vielen Initiativen und engagierten Persönlichkeiten zu schließen, was so manchen Umweltfrevel verhindert, so manches Projekt ermöglicht hat. Wie schon 2015 anlässlich der Asylkrise oder bei der Allianz gegen die Abschiebung von Asylwerbern während ihrer Lehre.

Im Jänner dieses Jahres kam es zur Abschiebung von bestens integrierten Schülerinnen nach Armenien und Georgien, obwohl sie in Österreich geboren und auch aufgewachsen sind. Dass alle Bemühungen für eine humanitäre Lösung fehlschlugen, schmerzte viele, auch weil ihnen der Protest der grünen Parteispitze überhörbar schien. Als Verlegenheitslösung dieses Konflikts wurde eine Kindeswohlkommission unter der Leitung der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Irmgard Griss, vereinbart. Das war gutgemeint, aber Ergebnisse dieser Kommission oder Empfehlungen für künftige Entscheidungen stehen noch aus und ihre etwaigen Umsetzungsschritte in den Sternen.

Wieder standen die Grünen in dieser Koalition der ungleichen Partner als Unterlegene da. Und wieder wurde aus Sicht vieler eine Scharte in zentrale grüne Grundsätze geschlagen. Die Bilder von der Abschiebung durch Sondereinheiten der Polizei in einer kalten Jännernacht taten das Ihre.

Übermächtige ÖVP?

Freilich gab es auch Stimmen, die meinten, was hätten die Grünen denn machen können gegenüber einer übermächtigen ÖVP, die ihre Freiräume im Koalitionspakt kompromisslos ausreizt? Die Koalition verlassen? Auf alle positiven grünen Verhandlungserfolge im Koalitionspapier verzichten? Die ÖVP wieder in die Arme der FPÖ treiben?

Das stimmt alles und bleibt das große Dilemma. Aber so geräuschlos in Fragen grundsätzlicher Natur das Feld zu räumen, erzeugt Schmerz. Es ist der Schmerz einer Anhängerschar, die sich um ihre Treue betrogen fühlt. Und das kann für eine Partei, die ethische Grundsätze hat und sich zu einer ehrlichen Politik bekennen will, zu einem Problem werden. Keine der Getreuen möchte, dass die Grünen den berechnenden, zugewinnorientierten Politstil der türkisen ÖVP zu kopieren versuchen. „Aber ein bisserl mehr Gegenwehr“, ist allenthalben zu hören, und mehr auf den eigenen Standpunkten beharren.

Wir warten sehnsüchtig auf die grünen Leuchtturmprojekte aus dem Regierungsprogramm, auf das 1-2-3-Ticket, auf die ökosoziale Steuerreform und endlich auf eine naturnahe, tierfreundliche und pestizidfreie Landwirtschaft. Wann, bitte wann? Wie gut hat es den grünen Seelen getan, als sich Justizministerin Alma Zadić unlängst für die Strafverfolgung Homosexueller bis in die 1970er-Jahre stellvertretend für die Justiz in aller Form entschuldigte.

Dann wieder das Bild von Licht und Schatten. Einmal die kluge Distanz, dann wieder der überflüssige Kniefall. In der Auseinandersetzung um die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft taten die Grünen gut daran, sich wiederholt auf die Betonung der Unabhängigkeit unserer Justiz zu beschränken.

Doch was den „Ibiza“-Untersuchungsausschuss betrifft und dessen mögliche Verlängerung über den Sommer hinaus, gab es ganz ohne Not ein Geschenk an die ÖVP: Der Antrag der Opposition auf Verlängerung wurde nicht unterstützt und bekam deshalb keine Mehrheit. Punktum!

So reihen sich für die grüne Wählerschaft Erfolg und Misserfolg ihrer Partei zu einer Perlenschnur. Nur, im politischen Tagesgeschäft gibt es kein Unentschieden. Da schmerzen die gefühlten Niederlagen aus Sicht der Getreuen doppelt. (Gunther Trübswasser, 13.6.2021)

Gunther Trübswasser war Klubobmann der Grünen während der ersten Regierungszusammenarbeit zwischen ÖVP und Grünen auf Landesebene in Oberösterreich.

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