- Ein Gespenst namens Amazon
- Ein Hauch von Silicon Valley
- Mehrere hundert Lkw pro Tag
- Widerstandsfähige Böden
- Der Kompromiss des Bürgermeisters
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Ein Gespenst namens Amazon
Einkaufen macht glücklich. Die neuesten Sneakers, neue Kopfhörer, ein neuer Smoothie-Mixer. Bestellbar auf dem neuesten Smartphone mit wenigen Wischbewegungen. Es ist so einfach, so praktisch, so schnell. Und abbestellen, umbestellen und zurückgeben funktioniert ebenso beiläufig. Die Beliebtheit von Online-Käufen kennt keine Grenzen. Der Anteil der Online-Einkäuferinnen und -Einkäufer an der Bevölkerung (16-74 Jahre) liegt bei 63 Prozent. Nur wohin mit der Logistik? Als die geplanten Amazon-Lager in Dornbirn und Graz öffentlich wurden, gab es heftigen Widerstand. Die Pläne landeten in der Schublade. Nun wagt der US-amerikanische Versandkonzern scheinbar einen neuen Anlauf.
Inmitten saftig grüner Äcker und gelber Rapsfelder liegt die 3500-Einwohner-Gemeinde Kronstorf, Bezirk Linz-Land. Auf der östlichen Seite fließt die Enns vorbei, der Grenzfluss zwischen Oberösterreich und den Nachbarn in Niederösterreich. Auf der westlichen Seite befindet sich die Bundesstraße B309, in Richtung Süden sind es eine Viertelstunde nach Steyr, nach Norden eine halbe Stunde nach Linz.
Laut der Tageszeitung „Der Standard“ soll hier nun ein Amazon-Verteilerzentrum angesiedelt werden, das würde ein Einreichplan vom März belegen. Geplant seien demnach eine Halle mit etwa 24.000 Quadratmetern, ein 3.000 Quadratmeter großes Bürogebäude und eine asphaltierte Fläche von etwa 60.000 Quadratmetern. Vorgesehen sind laut dem Bericht auch 80 Andockstellen für Groß-Lkw und 110 Parkplätze für Schwerfahrzeuge.
Amazon und die Gemeinde bestätigen diese Pläne nicht. „Es gibt ergebnisoffene Gespräche mit verschiedenen Anbietern“, sagt Bürgermeister Christian Kolarik. „Einen Einreichplan kann es daher nicht geben.“ Dementieren wollen Kolarik und Amazon die Pläne aber genauso wenig.
Seither ist der Geist aus der Flasche, das Gerücht ist fester Bestandteil in den Gesprächen unter den Bewohnern. „Ich bin nicht dafür“, sagt der 30-jährige Patrick, der gerade mit seinem Hund spaziert. „Es würde eine massive Verkehrsbeunruhigung bedeuten und viel Boden versiegeln.“ Der 39-jährige Kronstorfer Daniel ist hingegen dafür: „Ich sehe keine negativen Aspekte. Es muss sich was tun, sonst stirbt der Ort aus. Ohne Jobs gibt es nichts mehr, dann ziehen die Leute weg.“ Die vermeintlichen Pläne stoßen an die Grundsätze der Kronstorfer. Wer hat Vorrang, die üppige Natur, oder die Ansiedelung von Unternehmen und damit die Versiegelung der Böden?
Ein Hauch von Silicon Valley
Kronstorf ist ein gewöhnlicher Ort, wie es so viele in dieser ländlichen Gegend gibt. Kirche, Maibaum, Fußballplatz, freiwillige Feuerwehr und die üblichen Einfamilienhäuser. Auch viele Wander- und Spazierwege nehmen hier ihren Ausgang. Doch der Gemeinderat wollte mehr. 2008 wurden 70 Hektar als Betriebsansiedelungsgebiet gewidmet. Die Freude war groß als Google noch im selben Jahr das Grundstück kaufte, um ein Rechenzentrum zu bauen. Ein Hauch von Silicon Valley strömte durch das verschlafene untere Ennstal.
Nach dem Kauf hat es sich Google aber anders überlegt. Der IT-Konzern kam der vertraglich festgelegten Bauverpflichtung innerhalb von zehn Jahren nicht nach. Der Vertrag wurde rückabgewickelt und neu verhandelt. Seither hält der Konzern 50 Hektar, 20 Hektar gehören wieder der Gemeinde. Doch noch heute, 14 Jahre nach der Widmung, strahlen auf der Fläche zarte Pflänzchen aus der Erde, ein Hase hoppelt über den Acker, Fasane krächzen und ein Reh grast auf dem Feld. Das Gelände ist weiterhin unbebaut.
„Wir haben Zeit mit der Entwicklung der Betriebsfläche“, sagt Bürgermeister Kolarik. Bebaut werde sie aber auf jeden Fall. „Es muss betriebliche Entwicklungen geben“, sagt Kolarik. „Die Unternehmen in Oberösterreich florieren und brauchen Platz.“ Und die Gegend rund um Kronstorf sei ideal dafür. „Wir sind ein Knotenpunkt in der österreichischen Stromversorgung“, sagt er. „Unsere Stromanbindung gehört daher zu den hochwertigsten im ganzen Land.“
Der Netzknoten befindet sich im benachbarten Ernsthofen, von dort wird der Strom über Starkstrommasten in drei Richtungen, etwa durch Kronstorf, transportiert. Der österreichische Stromversorger APG investierte zudem 100 Millionen Euro, um das Netz an Ort und Stelle zu stärken.
„Das ist notwendig, damit die von der Bundesregierung definierten Ziele einer Stromversorgung aus erneuerbaren Energien umsetzbar ist“, sagt Kolarik. Nachhaltigkeit sei ihm auch für Kronstorf ein Anliegen. „Photovoltaik auf Neubauten ist ein Muss“, sagt er. Die Gemeinde setzt zudem auf die Bepflanzung von artenreichen Magerwiesen und auf den Ausbau der Öffis. Auch Radwege werden gebaut.
Mehrere hundert Lkw pro Tag
Doch reicht das, wenn sich ein Konzern wie Amazon ansiedeln würde? Mehrere hundert Lkw pro Tag würden von Kronstorf aus, die Päckchen der Bestellungen zu den Kunden bringen. Das Verkehrsaufkommen würde deutlich zu nehmen. „Schon jetzt staut es sich in der Früh auf der B309“, sagt Eva Rahofer, ehemalige Direktorin der Volksschule und Wirtin des gleichnamigen Gasthofs mitten in Kronstorf. „Viele könnten durch den Ort ausweichen. Es wäre wie früher. Wenn man das Fenster offen hatte, dachte man, man steht mitten auf der Straße. Und wenn die Laster dann auch noch in der Nacht fahren.“
Österreichs ertragreichste Böden liegen im Alpenvorland, vom Salzburger Flachgau über den oberösterreichischen Zentralraum, vor allem entlang der Donau und der Voralpenflüsse Inn, Traun und Enns. Das zeigt eine aktuelle Studie der bundeseigenen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages). Bereits heute reichen die heimischen Böden nicht zur gänzlichen Eigenversorgung. Durch den Klimawandel geht weiteres Ackerland verloren, weil es vertrocknet.
Widerstandsfähige Böden
Die Gegend rund um Kronstorf bietet laut Ages wertvolle landwirtschaftliche Produktionsflächen, sie sind widerstandsfähiger gegenüber Klimaveränderungen, als etwa die Böden im Marchfeld rund um Wien. Der Schutz dieser Flächen sei daher von besonderer Bedeutung. Doch vielerorts werden die Böden versiegelt für den Bau von Einfamilienhäusern, Parkplätzen oder Betriebsansiedelungen. 11,5 Hektar pro Tag werden laut der Umweltorganisation WWF in Österreich verbaut. Das sind umgerechnet 16 Fußballfelder.
Immer mehr Bewohner entlang der Enns organisieren sich gegen die Betonierung der wertvollen Böden. Die Bürgerbewegungen „Da Huat brennt“ oder „Grüngürtel statt Westspange“ fordern ein Umdenken. Sie treten auf gegen die Missachtung von Klimazielen und den Ausbau von Straßen.
Auch das Betriebsansiedlungsgebiet in Kronstorf steht im Fokus. „Die öffentliche Hand zahlte 100 Millionen Euro für ein Umspannwerk, damit Google genügend Strom hat“, sagt Paul Enzendorfer, Vize-Obmann von „Grüngürtel statt Westspange“. „Nur was hat die öffentliche Hand davon? Google zahlt keine Steuern, schafft kaum Arbeitsplätze und verbraucht eine Menge Strom, den wir selbst brauchen.“ Zudem befürchtet er negative Auswirkungen auf die Enns. „Für die Kühlung des Rechenzentrums soll Wasser aus der Enns verwendet werden. Doch, wie wird sich das Abwasser auf das Leben im Fluss auswirken?“ Die Bürgerbewegung setzt sich daher gegen die Verbauung der bereits gewidmeten Fläche ein.
Bürgermeister Kolarik kennt die Bedenken der Bevölkerung, er kennt aber auch die Widersprüche. „Ich wohne gerne hier“, sagen sie ihm, „aber neben mir darf keiner bauen,“ während sie kritisieren: „für meine Kinder gibt es keinen Baugrund.“ Es sind Widersprüche, oftmals vereint in derselben Person.
Der Kompromiss des Bürgermeisters
Kolarik sucht den Kompromiss. Acht Gemeinden liegen entlang der Bundesstraße, seit kurzem arbeiten sie gemeinsam an der Raumentwicklung. „Bei der Ansiedelung von Betrieben sind alle beteiligt, egal, wo die Ansiedelung stattfindet“, sagt er. Damit soll die Versiegelung in der Region und die Gefahr von Leerstand gebremst werden. Auch agrarische Vorrangflächen und Grünraum definieren die Gemeinden gemeinsam.
„Ich wohne gerne hier, aber neben mir darf keiner bauen.“Bürgermeister Kolarik über Widersprüche
Bürgermeister Kolarik
Das 70 Hektar große Betriebsgelände in Kronstorf wurde noch vor der Zusammenarbeit gewidmet, beteiligt ist einzig der Nachbarsort Hargelsberg mit 30 Prozent. „Es soll ein Mix werden aus Mittel- und Großbetrieben“, sagt Kolarik. Bis Jahresende garantierte Google den Bau des Rechenzentrums auf 50 Hektar der Fläche. Was auf den restlichen 20 Hektar passiert, sagt er nicht. Wird sich hier Amazon ansiedeln?
„Wichtig wäre die Aufklärung der Bevölkerung“, sagt Rahofer. „Wir hören von der Politik immer nur, dass es ergebnisoffene Verhandlungen gibt. Damit kann ich aber nichts anfangen.“ Doch, ob Amazon kommt oder nicht, liegt nicht nur an der Politik. „Es liegt auch an der Gesellschaft, wir alle sind Konsumenten mit Eigenverantwortung“, sagt Rahofer. Die Menschen sollten darüber nachdenken, ob tatsächlich jeder Online-Einkauf notwendig ist, sollten nachdenken, wie und was sie konsumieren. „Wer Amazon verhindern will, sollte sich daher die Frage stellen: Könnte es nicht auch ein bisschen weniger sein?“