DRAMATISCHE VERLUSTE
6. Mai 2022
- Weltweite Vogelbestände im Sinkflug
- Neue globale Bestandsaufnahme
- Außergewöhnliche Vielfalt
- Erfreuliche Einzelrettungen …
- … unerfreuliches Gesamtresümee
- Originalstudie (nur Abstract):
Weltweite Vogelbestände im Sinkflug
Um die Luftqualität in Kohlebergwerken zu überprüfen, nahmen Bergarbeiter früher Kanarienvögel in Käfigen mit in den Stollen. Stellten die kleinen gelben Vögel das Singen ein, war klar, dass die Arbeiter die Stollen verlassen sollten. Denn die empfindlichen Vögel, die im britischen Bergbau bis 1986 im Einsatz waren, zeigten mit ihrem Verstummen zuverlässig an, dass die Sauerstoffkonzentration in der Luft sank und die Konzentration von giftigen Grubengasen anstieg.
Was die Kanarienvögel im Kleinen waren, sind die Vögel im Großen: die besten tierischen Warnanlagen für eine nachlassende Umweltqualität. Erstens wissen wir – nicht zuletzt durch viele Vogelbeobachter – besonders viel über ihre Vorkommen, während wir bei den Insekten nicht einmal annähernd die Artenzahl kennen; zweitens kommen die Vögel in besonders vielen Lebensräumen vor. Und drittens reagieren sie besonders sensibel auf Veränderungen, was sie insgesamt zu den besten lebenden Indikatoren für globale Umweltveränderungen macht.
Neue globale Bestandsaufnahme
Das Singen haben die Vögel rund um den Planeten zwar natürlich noch nicht eingestellt. Doch es ist zuletzt deutlich leiser geworden: So sind die Vogelpopulationen in Nordamerika seit 1970 um drei Milliarden zurückgegangen, während in Europa seit 1980 600 Millionen Vögel verschwunden sind. Mit solchen und anderen dramatischen Zahlen wartet die neueste globale Bestandsaufnahme der rund 11.000 Vogelarten auf, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Annual Review of Environment and Resources“ veröffentlicht wurde.
In nackten Zahlen ergab die Untersuchung, die auf globalen Daten von Birdlife International beruht, dass bei 48 Prozent aller Vogelarten ein Rückgang der Populationen bekannt ist oder vermutet wird. Bei 39 Prozent ist der Bestand gleichbleibend, bei sechs Prozent ist eine Zunahme und bei sieben Prozent ein unbekannter Trend zu verzeichnen, so das Ergebnis der Untersuchung, die von Alexander Lees (Manchester Metropolitan University) geleitet wurde.
Eine erfreuliche Ausnahme bilden die Wasservögel, deren Populationen in Feuchtgebieten in Nordamerika und Europa seit 1970 um 13 Prozent zugenommen haben. Die Wiederherstellung relativ kleiner Feuchtgebiete kann eine enorme Wirkung haben, während Vögel, die in Grasland und Wäldern leben, viel größere Flächen benötigen. Die Zahl bei den auf dem Land lebenden Vogelarten geht dem Bericht zufolge hingegen rapide zurück, in Europa um 57 Prozent seit 1980.
Außergewöhnliche Vielfalt
Der Bericht verweist auf die außergewöhnliche Vielfalt der Vögel, von antarktischen Sturmvögeln, die 200 Kilometer landeinwärts in der Antarktis nisten, bis hin zur Hornby-Sturmschwalbe, die in der Atacama-Wüste brütet. Von einem Rüppellgeier wurde berichtet, dass er in einer Höhe von 11.300 Metern fliegt, während Kaiserpinguine mehr als 500 Meter tief tauchen können. Vögel haben einen enormen kulturellen Wert, sind aber auch lebenswichtig für die Ökosysteme, da sie unter anderem Samen verbreiten und Schädlinge fressen.
Die Gründe für den dramatischen Bestandsschwund sind vielfältig, im Grunde aber immer auf die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten zurückzuführen. Zu den wichtigsten Faktoren zählen die Zerstörung wilder Lebensräume, die Klimakrise, Pestizide und andere Formen der Umweltverschmutzung bis hin zur Überjagung und Auswirkungen von gebietsfremden Arten und Krankheiten. Auch Hauskatzen sind nicht zu unterschätzen, die allein in den USA jährlich 2,4 Milliarden (!) Vögel töten dürften.
Die weltweit am stärksten bedrohten Vogelfamilien sind diejenigen, die größer sind und länger brauchen, um sich fortzupflanzen. Dazu zählen Papageien, Albatrosse, Kraniche und gedrungene Vögel wie das australische Buschhuhn.
Erfreuliche Einzelrettungen …
Einzelne Arten konnten aber auch gerettet werden, um auch Erfreuliches zu berichten: Dazu gehört der Mauritius-Falke, dessen Bestand auf ein einziges brütendes Weibchen geschrumpft war. Mittlerweile gibt es wieder Hunderte von Exemplaren. In freier Wildbahn ausgestorben war auch das Alagoas-Hokkohuhn in Brasilien. Seine Existenz konnte durch Vögel aus der Zucht privater Sammler gerettet werden.
„Derzeit kümmern wir uns um die gefährdeten Arten, aber wir können das Aussterben der Arten nicht aufhalten“, sagt Studienleiter Alexander Lees in einem Interview für den „Guardian„. Während sich die Populationen von 70 Arten seit 1988 durch Schutzmaßnahmen so weit verbessert haben, dass ihr Aussterberisiko gesunken ist, hat sich die Situation bei 391 Arten verschlechtert. Alle Länder der Erde beherbergen mindestens eine weltweit bedrohte Vogelart, und in zehn Ländern gibt es mehr als 75 bedrohte Arten.
… unerfreuliches Gesamtresümee
Entsprechend düster fällt das Resümee des Berichts aus: „Der wachsende Fußabdruck der menschlichen Bevölkerung ist die eigentliche Ursache für die meisten Bedrohungen der biologischen Vielfalt der Vögel. Mangelnde Fortschritte bei der Erhaltung der Vögel spiegeln in der Regel einen Mangel an Ressourcen oder politischem Willen wider und nicht einen Mangel an Wissen darüber, was getan werden muss.“ (tasch, 5.5.2022)
Originalstudie (nur Abstract):
Annual Review of Environment and Resources: „State of the World’s Birds“