Dies & Das: Sars-CoV-2 dürfte bei Wildtieren weiter verbreitet sein als gedacht

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Forscher in Sorge

Klaus Taschwer

21. November 2021

Sars-CoV-2 dürfte bei Wildtieren weiter verbreitet sein als gedacht

Neue Studien zeigen, dass viele Hirsche in den USA infiziert waren oder sind. Zahlreiche weitere Tierarten dürften betroffen sein

Erinnern Sie sich noch? Vor gut einem Jahr wurden in Dänemark wegen Sars-CoV-2-Infektionen rund 18 Millionen Nerze in Pelztierfarmen gekeult. Die grausame Aktion, die weltweit für Aufsehen sorgte, sollte sich später als ungesetzlich herausstellen. Damit nicht genug, machte auch die Entsorgung der Tiere Probleme: Schlecht begrabene Kadaver drängten im Verwesungsprozess wieder an die Erdoberfläche. Erst im Juli dieses Jahres wurden die letzten „Zombie-Nerze“ verbrannt.

In Dänemark hatte man mit dem harten Vorgehen einer offensichtlichen Gefahr begegnen wollen: Tiere können sich nicht nur mit Sars-CoV-2 anstecken; sie können eine womöglich mutierte Version wieder an den Menschen rückübertragen, wie sich damals zeigte. Die dänischen Virusvarianten bei den Zuchtnerzen richteten allerdings keinen zusätzlichen Schaden beim Menschen an: Die ansteckenderen Varianten Alpha und Delta, die sich in diesem Jahr bei uns durchsetzten, hatten damit nichts zu tun

Ist diese Gefahr damit aus der Welt, dass es zur Rückübertragung von womöglich gefährlicheren Sars-CoV-2-Varianten von Tier auf Mensch kommt? Dazu muss man zunächst einmal wissen, wie sehr Sars-CoV-2 überhaupt im Tierreich verbreitet ist beziehungsweise sich dort verbreiten kann. Zu dieser Frage liegen erst relativ wenige Studien vor allem an Haustieren vor. Einige neue Beobachtungen lassen indes aufhorchen, weil sie zeigen, wie stark auch wildlebende Tiere betroffen sein dürften.

598 offiziell gemeldete Ausbrüche

Bisher war medial vor allem bekannt, dass unter den Haustieren vor allem Katzen betroffen sind und das Sars-CoV-2-Virus auch weitergeben können. Und aus Zoos weiß man, dass Großkatzen durchaus schwer erkranken können: Erst Anfang November hat der Lincoln Children’s Zoo in Nebraska drei seltene Schneeleoparden durch Covid-19 verloren.

Auch dieser Schneeleopard im Zoo von San Diego in Kalifornien hatte Covid-19.
Foto: AP

Die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) hat bis Ende Oktober 598 Covid-19-Ausbrüche bei Tieren registriert, die 14 Arten in 30 Ländern betreffen. In fast allen Fällen handelte es sich um in Gefangenschaft gehaltene Tiere, die in engem Kontakt mit dem Menschen standen – wie eben auch die Zuchtnerze.

Was kann man dagegen tun? Zum Schutz der Tiere stehen inzwischen auch für sie Covid-19-Impfstoffe zur Verfügung. Zoos in den USA impfen etwa bereits besonders gefährdete Großkatzen damit durch. Zoetis, ein aus Pfizer ausgegliedertes Unternehmen, hat einen Impfstoff auf der Grundlage von Sars-CoV-2-Spike-Proteinen entwickelt, der für eine Vielzahl von Tierarten angepasst werden kann. Auch Zuchtnerze werden in großem Umfang geimpft. Covid-19-Impfstoffe für Haustiere sind allerdings nicht allgemein verfügbar.

Covid-19 bei Weißwedelhirschen

Nordamerikanische Weißwedelhirsche dürften bereits zu einem erheblichen Teil mit Sars-CoV-2 durchseucht sein. Jägern wird deshalb zu einem vorsichtigen Umgang mit den Tieren geraten.
Foto: REUTERS

Sehr wenig Wissen gibt es aber darüber, wie verbreitet Covid-19 bei Wildtieren ist, da es bisher nur wenige diesbezügliche Tests gab. Nun zeigen aber zwei neue Studien an nordamerikanischen Weißwedelhirschen, dass auch freilebende Säugetiere massiv betroffen sein können. In einer diese Woche im Fachblatt „PNAS“ veröffentlichten Arbeit von Wissenschaftern des US-Landwirtschaftsministeriums wurden Anfang dieses Jahres bei 40 Prozent der wildlebenden Weißwedelhirsche (der mit schätzungsweise 30 Millionen Exemplaren am häufigsten vorkommenden nordamerikanischen Hirschart) in vier US-Bundesstaaten Antikörper gegen Sars-CoV-2 gefunden.

In einer zweiten, noch nicht final fachbegutachteten Untersuchung am Preprint-Server BioRxiv wurde das Virus in 80 Prozent der in Iowa entnommenen Proben derselben Hirschart durch PCR-Tests direkt nachgewiesen. Die Forschenden unter der Leitung von Suresh Kuchipudi (Penn State University) waren jedenfalls verblüfft über den hohen Anteil der positiv getesteten Hirsche. Genetische und geografische Daten deuten zudem darauf hin, dass der Erreger mehrfach von infizierten Menschen auf Rehe übertragen wurde und sich dann weiterverbreitet hat.

Tiere als Virus-Reservoir

„Dass Hirsche ein Reservoir für Sars-CoV-2 sein könnten, gibt Anlass zur Sorge“, sagt Graeme Shannon, Zoologe an der Universität Bangor in Wales, in der „Financial Times“. Damit könnte nämlich nicht nur eine große Zahl von Tieren infiziert werden, sondern, was noch besorgniserregender ist, auch der Mensch. Gilt das auch für andere Tierarten, würde das die langfristigen Bemühungen zur Bekämpfung und Unterdrückung der Krankheit erschweren. Dazu kommt die potenzielle Bedrohung, dass mit der Ausbreitung des Virus innerhalb eines Tierreservoirs gefährlichere Stämme entstehen und diese rückübertragen werden könnten.

Was also kann man dagegen tun? Im Fall der Weißwedelhirsche wird Jägern geraten, beim Umgang mit Tierkadavern Vorsicht walten zu lassen. Doch das ist nur reaktiv, und impfen kann man wildlebende Säugetiere ebenso wenig wie keulen. Dazu kommt das Problem, dass zuerst einmal bekannt sin müsste, welche Säugetierarten überhaupt für Sars-CoV-2 anfällig sind. Das würde wenigstens helfen, diese Tierarten etwas besser zu überwachen.

Suche nach Zellmembranprotein ACE-2

Immerhin dürften wir in dieser Frage nun einen Schritt weiter sein, wie Barbara Han (Cary Institute of Ecosystem Studies in Millbrook, New York) samt ihrem Team diese Woche in den „Proceedings of the Royal Society B“ berichtet. Die Forschenden richteten ihre Aufmerksamkeit auf das Zellmembranprotein ACE-2, das eigentlich vor allem den Blutdruck reguliert, aber als „Eintrittspforte“ Sars-CoV-2-Viren gilt. Han und ihre Kollegen wollten herausfinden, bei welchen anderen Wirbeltierarten – im konkreten Fall welchen Säugetier- und Vogelspezies – eine ähnlich starke Bindung von Sars-CoV-2 an die jeweiligen ACE2-Rezeptoren zu erwarten ist wie beim Menschen.

Zunächst sammelten sie von 142 Arten (vor allem Säugetierspezies) die entsprechenden Daten. Der Ansatz erwies sich als zielführend: Bei den Nerzen zeigte sich ebenso eine besonders starke Bindung wie bei den Weißwedelhirschen – noch bevor diese als Sars-CoV-2-Überträger entdeckt wurden. Bei den 142 untersuchten Arten wollten es Han und ihr Team aber nicht bewenden lassen. Sie erstellten eine Datenbank mit evolutionären Merkmalen für ACE2-Rezeptoren und fütterten ihre eigens entwickelten Algorithmen mit allen möglichen weiteren Daten von 5.000 Säugetierarten.

540 potenzielle Sars-CoV-2-Säugetierarten

Das Ergebnis war dann einigermaßen erschreckend: Es dürfte nicht weniger als 540 Säugetierarten geben, die für Sars-CoV-2 anfällige ACE2-Rezeptoren besitzen – und damit auch das Potenzial, als Sars-CoV-2-Reservoir zu fungieren. Auf der Liste fanden sich wenig überraschend die meisten Primatenspezies und 35 Fledermausarten. Die Hausmaus dürfte immerhin kein Risiko darstellen, was eine gute Nachricht ist, wohl aber zwei ihrer Artgenossen: Die Reisfeldratte und die Malaiische Feldratte sind beide Sars-CoV-2 gefährdet. Da diese Arten häufig von Hauskatzen erbeutet werden, von denen inzwischen bekannt ist, dass sie ebenfalls für Sars-CoV-2 empfänglich sind, ist dies ein möglicher Re-Infektionsweg für den Menschen.

Dutzende andere Arten wurden ebenfalls als potenzielle Viren-Reservoirs identifiziert. Dazu gehören so verschiedene Arten wie Rotfüchse und Marderhunde, die wie Nerze manchmal wegen ihres Fells gezüchtet werden, Weißbartekaris (schweineähnliche Tiere, die in Süd- und Mittelamerika vorkommen) oder asiatische Nilgauantilopen, die beide gelegentlich gezüchtet, aber auch gejagt und gegessen werden.

Wasserbüffel – hier in Berlin – bereiten den Forschenden die meisten Sorgen, weil sie so weit verbreitet und ebenfalls für Sars-CoV-2 empfänglich sind.
Foto: imago images/Martin Müller

Unter den weiter verbreiteten Nutztieren ist der Wasserbüffel die Art, die am meisten Anlass zur Sorge gibt. Man schätzt, dass es weltweit mehr als 200 Millionen dieser Tiere gibt, die sowohl als Lasttiere als auch als Milchlieferanten dienen. Im Interview mit dem „Economist“ zeigte sich Barbara Han in ihrem Resümee erstaunt und zugleich besorgt über die Vielfalt der betroffenen Tierarten, die für Sars-CoV-2 anfällig sind: „Ich hätte nie gedacht, dass wir jemals ein Virus mit einem so hohen artenübergreifenden Infektionspotenzial sehen würden.“ (Klaus Taschwer 21.11.2021)

Zitierte Originalstudien:

Zitierte Medienberichte: