IPCC-Bericht Julia Sica, Nora Laufer, Philip Pramer
28. Februar 2022
Überblick
Weltklimarat: Bisherige Anpassungen an die Klimakrise sind viel zu schwach
Die Konsequenzen der Klimakrise werden Europa und die Welt massiv betreffen, von Überflutungen bis zu Hitzewellen. Was fehlt, ist politischer Wille
Australien kämpft derzeit mit Überflutungen. Extremereignisse werden häufiger, je stärker sich die Erde erwärmt.
Foto: Patrick HAMILTON / AFP
Wieder wird ein Bericht des Weltklimarats von einer lebensbedrohlichen Umweltkatastrophe begleitet: Während der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) den aktuellsten Report zu den Auswirkungen der Klimakrise auf Natur und Gesellschaften vorlegt, zwingen Überschwemmungen in Australien Menschen zur Flucht. Im vergangenen Sommer, als im ersten Teil des sechsten Sachstandsberichts (AR6) der aktuelle Stand der Klimaforschung zu den Grundlagen des Klimawandels resümiert wurde, zeigten nicht nur Überflutungen in Deutschland, sondern intensive Hitzewellen am Mittelmeer und auf der gesamten Welt, welche Extremereignisse aufgrund der menschlich verursachten globalen Erwärmung künftig öfter und intensiver auftreten.
„Es ist eindeutig, dass der menschliche Einfluss das Klima erwärmt hat“, hieß es darin unmissverständlich. Nicht nur Starkregen und Hitzewellen, auch Dürren und tropische Wirbelstürme werden häufiger kommen und mehr und mehr Menschen betreffen, wenn die Staaten nicht auf die CO2-Bremse steigen. Der damalige Report präsentierte unterschiedliche Erwärmungsszenarien und ihre Folgen, speziell für unterschiedliche Regionen der Erde, wie sie auch in einem interaktiven Atlas nachvollzogen werden können.
Nun wurde der Bericht der Arbeitsgruppe II veröffentlicht, in dem es stärker um die Folgen der Erderwärmung geht. Hier wird der Kenntnisstand darüber zusammengefasst, wie stark unterschiedliche Regionen, gesellschaftliche Gruppen und Ökosysteme für diese Folgen anfällig sind und welche Anpassungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Damit ist der Teilreport auch relevanter für die Politik.
DER STANDARD
Solidarität mit Ukraine
Vor allem jener Berichtsteil, in dem auch Abgesandte der 195 Länder Satz für Satz ihre Zustimmung geben mussten (Zusammenfassung für Entscheidungstragende oder Summary for Policymakers, SPM), erforderte eine Verlängerung der Konferenz um mehr als 24 Stunden. „Die Länder haben ihre politischen Interessen auf den Tisch gepackt – da kann man sich vorstellen, dass das mehr Zeit gekostet hat“, sagt Hans-Otto Pörtner, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe und Biowissenschafter am Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven.
Auch der Krieg in der Ukraine ging nicht an der Konferenz vorbei. Die ukrainische Delegation habe eindringlich auf die aktuelle Lage aufmerksam gemacht, Vertreterinnen und Vertreter anderer Staaten drückten ihre Solidarität aus. Russische Beteiligte betonten ebenfalls, dass das Handeln der Regierung nicht das gesamte Land repräsentiere, was überrascht und erfreut aufgenommen wurde. Der russische Delegationsleiter Oleg Anisimow wird mit den Worten zitiert, er wolle „im Namen aller Russen für die Unfähigkeit, diesen Konflikt zu verhindern, um Entschuldigung bitten“. Er drückte seine enorme Bewunderung für die ukrainische Delegation aus: „Diejenigen, die sehen, was passiert, können keine Rechtfertigung für diesen Angriff auf die Ukraine finden.“
Warnungen wie rote Ampeln
Mehr als 24 Stunden nach dem geplanten Ende am Freitag waren sowohl der etwa 3.600 Seiten lange Bericht als auch die Zusammenfassung für Entscheidungstragende offiziell abgeschlossen. Sachlich, aber überdeutlich ist der eindringliche Appell zum schnellen und vorausschauenden Planen und Handeln. Im Pariser Klimaabkommen einigte man sich bereits auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau, und schon dabei sind erhöhte Risiken und teilweise irreversible Folgen sicher. Dieser Grenze sind wir mit knapp 1,2 Grad bereits sehr nahe, der aktuelle Pfad führt eher zu einem Plus von mindestens 2,5 Grad.
Grafik: Fatih Aydogdu
„Bei wissenschaftlich begründeten Grenzziehungen gibt es keine Kompromissmöglichkeiten“, sagt Co-Vorsitzender Pörtner. Naturgesetze erlauben keinen Verhandlungsspielraum, daher seien das Verwehren von Klimaschutzmaßnahmen und das Ignorieren entsprechender Warnungen „vergleichbar mit dem ständigen Überfahren von roten Ampeln“. Jedes Zehntelgrad macht einen Unterschied in der Häufigkeit, mit der Extremereignisse eintreffen.
Vulnerable Gruppen
Die Risiken betreffen Milliarden Menschen weltweit, aber auch Ökosysteme, wie der Report deutlich macht. Hier fließt diesmal neben Wissen aus naturwissenschaftlichen Studien verstärkt solches aus den Bereichen Management, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein. Besonders problematisch: Jene Systeme und Gruppen, die am härtesten von Hitze, Dürre, Fluten, Krankheiten, Wasser- und Nahrungsmangel betroffen sein werden, haben die wenigsten Ressourcen, damit umzugehen.
Nicht nur viele Länder des globalen Südens – allen voran Inselstaaten, denen durch den steigenden Meeresspiegel große Landeinbußen bevorstehen – sind besonders vulnerabel, auch einkommensschwache gesellschaftliche Gruppen auf der ganzen Erde. Mit welchen Belastungen sie in Krisen zu kämpfen haben, hat bereits die Covid-19-Pandemie deutlich gezeigt – und Ungleichheit und Armut oft noch verschärft. Neben indigenen Bevölkerungen sind außerdem sehr junge und sehr alte Menschen stärker von den Auswirkungen betroffen. Insgesamt seien es etwa drei Milliarden Menschen, die besonders vulnerabel sind – derzeit etwa die Hälfte der Weltbevölkerung.
Der Bericht zeigt, dass Anpassungsmaßnahmen bisher sehr ungleichmäßig vonstattengehen. Immer größer werden die Lücken zwischen den umgesetzten Maßnahmen und denen, die nötig wären, um mit den steigenden Risiken umzugehen. Das bringt vor allem Populationen mit niedrigerem Einkommen in Gefahr. Doch nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und Pflanzen kommen in einer so schnell wärmer werdenden Welt immer schlechter zurecht. Das hat Artensterben und damit eine Biodiversitätskrise zur Folge, die nicht nur per se verheerend ist, sondern wiederum für Menschen das Leben schwerer macht: Ökosysteme, die etwa zur Ernährung wichtig sind und CO2 sowie Schadstoffe binden, werden geschwächt.
Die Grafik aus dem aktuellen IPCC-Report zeigt, in welchen Regionen bei verschiedenen Entwicklungsszenarien die Bevölkerung besonders unter extremer Hitze und extremer Luftfeuchtigkeit leiden wird. Je dunkler, desto häufiger sind die Tage, an denen enorme Hitze und Luftfeuchtigkeit erwartet werden. Szenario RCP2.6 geht von einem globalen Temperaturanstieg von unter 2 Grad aus, RCP4.5 von einem Anstieg auf 2,6 Grad, RCP8.5 von 4,8 Grad.
Folgen für Europa
Den Veränderungen in Europa wurde in dem Bericht ein eigenes Kapitel gewidmet. „Europa erwärmt sich schneller als der globale Durchschnitt“, sagt Daniela Schmidt, eine der Leitautorinnen des Kapitels Europa und Paläobiologin an der University of Bristol. Auch wenn sich die Klimakrise kurzfristig auf anderen Kontinenten stärker abzeichnet, sind europäische Staaten keineswegs von den Folgen ausgenommen. Besonders stark sind demnach die südlichen Regionen des Kontinents betroffen. Dies sorgt dafür, dass die Unterschiede innerhalb von Europa größer werden, sagt Schmidt. „Wir zeigen aber auch ganz deutlich, dass das gesamte Europa viele Anpassungsmöglichkeiten hat, die sehr effektiv sind. Die positive Message daraus ist, dass wir noch Möglichkeiten haben, etwas zu tun.“
Die Autorinnen und Autoren orten vier Hauptrisiken für Europa – die unterschiedlich stark ausfallen werden, je nachdem, wie stark sich der Planet noch erhitzt. In erster Linie wird Europas Bevölkerung mit der Hitze zu kämpfen haben. Steigt die Temperatur um drei Grad, wird sich die Zahl der frühzeitigen Todesfälle durch Hitze im Vergleich zu einem 1,5-Grad-Szenario verdoppeln oder gar verdreifachen. Zudem verändern die steigenden Temperaturen den bewohnbaren Raum sowohl für Land- als auch für Meeresbewohner. Schon bei der 1,5-Grad-Marke rechnet man damit, dass 14 Prozent der Arten vom Aussterben bedroht sind. Waldbrände, wie sie im vergangenen Jahr in weiten Teilen Südeuropas gewütet haben, werden sich ebenfalls zunehmend ausbreiten.
Die verfügbaren Möglichkeiten zur effektiven Anpassung an den Klimawandel hätten zugenommen – die umgesetzten und geplanten Maßnahmen seien aber in vielen Teilen Europas nicht ausreichend, insbesondere bei einer globalen Erwärmung über 1,5°C, sagt die Umweltökonomin Birgit Bednar-Friedl von der Universität Graz, die als leitende Autorin am Bericht beteiligt war. „Die Risiken sind bereits bei 1,5 Grad Erwärmung schwerwiegend für den Mittelmeerraum, aber mit einer Erwärmung über 2 und insbesondere über 3 Grad nimmt auch das Risiko von Hitzestress und Wasserknappheit in West- und Mitteleuropa erheblich zu.“
Zu viel und zu wenig Wasser
Nicht nur Mensch und Tier werden mit der Hitze und Dürre zu kämpfen haben, sondern auch das Getreide. Der IPCC rechnet noch in diesem Jahrhundert mit erheblichen Verlusten in der landwirtschaftlichen Produktion in den meisten Regionen Europas. Die Zugewinne im Norden den Kontinents könnten das nicht wettmachen. Zwar könne das Problem bis zu einem gewissen Grad durch Bewässerung gelöst werden, bei einer Erwärmung von drei Grad könnte dies aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Wasser aber zunehmend schwierig werden. Durch die Veränderung landwirtschaftlicher Praktiken sowie durch ein gezieltes Feuer- und Waldmanagement könne hier gegengelenkt werden.
Wasserknappheit wird vor allem für Südeuropa zum Problem: Bei einer Erwärmung um zwei Grad wird demnach mehr als ein Drittel der dort angesiedelten Bevölkerung an Wasserknappheit leiden – das könne bereits mit mittlerer Sicherheit gesagt werden. Bei drei Grad verdopple sich das Risiko. Die Autorinnen und Autoren plädieren für eine Verbesserung der Wasserspeicherung und -wiederverwertung sowie für einen effizienteren Einsatz. Zudem schlagen sie Frühwarnsysteme und eine Veränderung der Landnutzung vor.
Fehlen politischer Führung
Als viertes und letztes Risiko für Europa nennt der Weltklimarat die Schäden für Mensch und Wirtschaft durch Niederschläge und Überflutungen. Die Kosten und die Zahl der Betroffenen könnten sich im Drei-Grad-Szenario verdoppeln. Bis Ende des Jahrhunderts dürften sich Schäden durch Überschwemmungen an der Küste mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest verzehnfachen. Zudem sehen die Autoren im Meeresspiegelanstieg eine existenzielle Bedrohung für die Bevölkerung an Küsten und ihr kulturelles Erbe – vor allem nach dem Jahr 2100.
Die komplexe Grafik aus dem Bericht zeigt, wie sich in Bezug auf Wasser verschiedene Konsequenzen aus der globalen Erwärmung ergeben – und in welchen Regionen. Diese werden bereits beobachtet (bläuliche Symbole) und auch für die Zukunft projiziert (gelbe Symbole). In Europa (Spalte mittig) und insbesondere im Mittelmeerraum (daneben) ist vor allem mit mehr starken Niederschlägen zu rechnen. Die Cryosphäre – vereinfacht: Eis und Schnee – geht zurück, Dürren werden häufiger. Dies hat negative Folgen in Sachen Landwirtschaft und Energie zur Folge.
Warum geht so wenig weiter? Als Hindernisse in Europa orten die Fachleute eine nicht ausreichende Mobilisierung von Finanzmitteln, ein zu geringes Engagement von Bürgern und dem Privatsektor – und das Fehlen von politischer Führung. Zudem gebe es ein „geringes Gefühl der Dringlichkeit“. Europa müsse sich von kurzfristigen Maßnahmen wegbewegen und zeitig adäquate Adaptierungsmaßnahmen im jeweils regional notwendigen Umfang sicherstellen.
Halbe Welt schützen
Neben der Bezifferung der Auswirkungen der Klimakrise geht es in dem Bericht nämlich auch darum, wie sich die Menschheit vor diesen schützen kann. Essenziell für eine vom Klimawandel geplagte Welt sind gesunde Ökosysteme, in denen sich Ressourcen regenerieren können. Hans-Otto Pörtner schlägt etwa vor, 30 bis 50 Prozent der Lebensräume an Land und in den Ozeanen zu schützen, um diese widerstandfähiger zu machen.
Die IPCC-Grafik verdeutlicht die sich verschlimmernde Biodiversitätskrise. Sehr hohe Lebensraumverluste (dunkelviolett) sind bereits jetzt in verschiedenen Regionen der Erde zu verzeichnen (wir stehen bei einem Plus von etwa 1,1 Grad). Beim angestrebten 1,5-Grad-Ziel wird sich dies noch verschlimmern, bei plus 2 bzw. 3 Grad wird selbst in der konservativen IPCC-Schätzung mit enormen Ausmaßen der Schäden und des Artensterbens gerechnet.
Die Fachleute schlagen neben Verhaltensveränderungen auch bauliche Maßnahmen zur Kühlung und eine entsprechende Stadtplanung vor. Die Forschenden merken allerdings auch an, dass Anpassungen zu Zielkonflikten führen können: Schutzwälle gegen steigende Meeresspiegel könnten etwa Ökosysteme an den Küsten zerstören.
Schnelles, planendes Handeln
Insgesamt habe sich die wissenschaftliche Beweis- und Evidenzlage zu den Auswirkungen der Klimakrise stark verdichtet, erklärt Klimaforscher Georg Kaser von der Uni Innsbruck, der den Begutachtungsprozess des IPCC-Berichts begleitet hat.
Aus seiner Sicht müsste „sehr, sehr schnell“ gehandelt werden, sagt der Glaziologe im Gespräch mit dem STANDARD. Dabei gehe es zum einen darum, Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren, aber auch darum, Anpassungsstrategien zu verbessern. Dennoch: „Manche Dinge sind nicht mehr anpassbar, auch wenn wir noch so schnell handeln.“ Als Beispiel nennt Kaser den Meeresspiegelanstieg – dieser werde sich fortsetzen, auch wenn der Emissionsausstoß sofort gestoppt werde. Vielen Regierungen gehe es bei Lösungen nur um „schnell, schnell“, kritisiert der Experte: „Unsere Anpassungsmaßnahmen sind nicht gut genug, sie sind viel zu wenig koordiniert und nachhaltig.“
Gebundene finanzielle Mittel
Schnelles Handeln ist mehr als angebracht: Das Zeitfenster, um eine klimaresiliente – also widerstandsfähige – Entwicklung umzusetzen, wird immer kleiner, wie zahlreiche Reaktionen auf den Bericht betonen. „Innerhalb dieser Dekade sind entscheidende Maßnahmen auf den Weg zu bringen“, sagt Pörtner. Während die Berechnungen im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel schon 2020 einen steilen Emissionsabfall bräuchten, sehe man aktuell einen moderaten Beginn der Emissionsreduktion. „Gleichzeitig verlagert sich die Politik darauf, natürliche Ökosysteme in ihre nationalen CO2-Budgets einzurechnen“, kritisiert Pörtner. Diese seien aber durch zunehmende Extreme bereits negativ betroffen und können weniger CO2 aufnehmen.
Dass in Europa aktuell schnell große Geldmengen für militärische Zwecke lockergemacht werden, sei ebenfalls beachtlich. „Wir sehen, dass finanzielle Mittel gebunden werden“, sagt Pörtner. Das habe Verzögerungen beim Klimaschutz zur Folge. Angesichts der warnenden Erkenntnis des Berichts sei das nicht hilfreich.
In einigen Wochen erscheint der dritte Bericht des sechsten Reportzyklus und behandelt intensiver die Möglichkeiten, den Klimawandel und seine Folgen abzuschwächen. Dazu werden etwa Methoden eingeschätzt, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren, sowie die bisher nur sehr eingeschränkten Möglichkeiten, klimaschädliche Gase teilweise aus der Atmosphäre zu entfernen. Später im Jahr folgt ein Synthesebericht – und die Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheikh. (Julia Sica, Nora Laufer, Philip Pramer, 28.2.2022)