Dies & Das: Geologin Trumbore: „Wir sehen, wie der Wald die Atmosphäre beeinflusst“

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Amazonas-Regenwald

Interview

Philip Pramer

3. Dezember 2020

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Geologin Trumbore: „Wir sehen, wie der Wald die Atmosphäre beeinflusst“

Von einem 325 Meter hohen Turm aus beobachtet Susan Trumbore den Amazonas-Regenwald. Für ihre Forschung erhielt sie nun den Balzan-Preis

Der Blick fürs Große vom Amazonas Tall Tower Observatory.
Foto: Achim Edtbauer

Das Amazon Tall Tower Observatory, kurz Atto, ist eines der höchsten Bauwerke Südamerikas – und auch eines der exklusivsten. Denn der Turm steht mitten im entlegenen Amazonas-Regenwald, nur einige wenige Wissenschafter haben ihn bisher bestiegen. Eine von ihnen ist Susan Trumbore, die ein Forschungsprojekt des Max-Planck-Instituts leitet. Es soll Aufschluss über das Wechselspiel von Wald und Atmosphäre geben.

STANDARD: Frau Trumbore, wie ist die Aussicht vom Atto?

Trumbore: Ich war ehrlich gesagt erst einmal ganz auf der Spitze des hohen Turms. Als Koordinatorin des Projekts verbringe ich sehr viel Zeit in der Stadt mit administrativer Arbeit und bin leider viel zu selten im Feld. Aber ja, auf 325 Meter Höhe zu stehen ist fast, wie in einem Heißluftballon zu fliegen. Wenn man durch die verschiedenen Schichten der Atmosphäre aufsteigt, spürt man, wie der Wind die Luft durchmischt. Es ist unglaublich, ja.

STANDARD: Der Turm wurde aber nicht für die gute Aussicht gebaut.

Trumbore: Natürlich nicht. Die Idee ist, dass er uns weit genug über das Walddach bringt, dass wir über viele Hundert Kilometer sehen können, was der Wald mit der Atmosphäre macht. Wir gehen ja immer davon aus, dass der Wald das CO2 aufsaugt, das wir anderswo emittieren. Aber in Wahrheit wissen wir sehr wenig über diesen Prozess. Zieht der Wald CO2 aus der Luft, oder emittiert er es? Wie verändert sich diese Bilanz im Laufe des Jahres, etwa in Dürreperioden, wenn viele Bäume sterben? Das sind alles Fragen, die großteils noch unbeantwortet sind.

STANDARD: Und warum reicht nicht ein, sagen wir, 20 Meter hoher Turm?

Trumbore: Wenn Sie zu nahe an den Baumwipfeln sind, sehen Sie nur, was lokal passiert. Aber wenn Sie auf 200 Meter hinaufklettern, spüren Sie den Wind und merken: Aha, es geht jetzt nicht nur um die Atmosphäre direkt über dem Wald, sondern um größere Dynamiken. Wir sehen, was der Wind von weit her bringt, und machen Messungen, um die Luft zurückzuverfolgen. Wir können etwa sagen, ob bestimmte Bestandteile der Luft etwa von einem Waldbrand kommen. Wir sehen sogar Aerosole, die von Biomasse-Verbrennungen im südlichen Afrika kommen. Es ist wichtig zu wissen, welche Bestandteile aus Bränden und welche aus dem Wald selbst kommen, um den Kohlenstoffzyklus des Waldes zu verstehen. Mit einem Flugzeug kann man die Atmosphäre von oben bis unten untersuchen – und das wird auch wöchentlich gemacht –, aber auf dem Turm können wir die Luft rund um die Uhr messen.

Susan Trumbore war erst selbst einmal an der Spitze des Atto. Die Daten, die der Turm erhebt, sind aber essentiell für ihre Arbeit.
Foto: Paulo Brando

STANDARD: 2019 sprach jeder über die Waldbrände in Brasilien. Wie ist der aktuelle Status?

Trumbore: Auch heuer gibt es viele Waldbrände, auch wenn es dieses Jahr nicht ganz so trocken ist wie letztes Jahr. Viele Brände sind natürlich auf die Abholzung zurückzuführen. Wir wissen das, weil die Emissionen vor allem aus privatem oder nicht ausgewiesenem Land kommen.

STANDARD: Wie verändern die Brände den Amazonas-Regenwald?

Trumbore: Zunächst einmal verändern sie das regionale Klima. Kurzfristig könnte der Rauch den Regenwald „düngen“, das untersuchen wir gerade am Atto. Mittelfristig gerät auch das Verhältnis aus Niederschlag und Verdunstung aus dem Gleichgewicht. Wenn Wald fehlt, wo in der Trockenzeit Wasser verdunstet, wird es noch trockener. Dazu kommt, dass die Rodungen ohnehin in den eher trockeneren Gebieten geschehen. Dadurch werden die Trockenperioden natürlich länger, und noch mehr Wald brennt ab. Es ist ein Teufelskreis. Gleichzeitig verändern die Brände die Wolkenbildung, denn sie liefern dem Wasserdampf die Partikel, an denen er kondensieren kann.

STANDARD: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hält vom Schutz des Amazonas-Regenwaldes offenbar nicht viel. Wie verändert das die Forschungsbedingungen?

Trumbore: Es ist schon eher eine Antiwissenschaftsregierung. Brasilien investiert zwar in das Atto-Projekt, aber für viele unserer brasilianischen Partner ist es schwieriger geworden, was die Finanzierung von Projekten und ihren Mitarbeitern betrifft. Auch die Universitäten in Brasilien leiden. Ich komme ja aus den Vereinigten Staaten, wo es auch nicht immer einfach ist, Förderungen zu erhalten, vor allem, wenn es um die Erforschung des Klimawandels geht. Europa ist da viel weiter. Wir haben Glück, dass unser Projekt aus Deutschland finanziert wird, wo diese Art der Forschung geschätzt wird. Wenn man sich aber anschaut, wie viel Geld in die Erforschung von Wäldern in der gemäßigten Zone fließt, wird deutlich, dass der Amazonas-Regenwald im Verhältnis zu seiner Bedeutung zu wenig erforscht wird.

Über 300 Meter ragt das Atto in die Höhe.
Foto: Jorge Saturno

STANDARD: Was macht den Regenwald im Vergleich zu den anderen Wäldern so besonders?

Trumbore: Man hat lange geglaubt, dass der Amazonas-Regenwald mehr CO2 aufsaugt, weil es dort ja keinen Winter gibt, die Bäume das ganze Jahr lang Kohlenstoff aufnehmen können und schneller wachsen. Jetzt hat man herausgefunden, dass die Bäume in der Nähe des Atto ihr Holz ähnlich produzieren wie ein europäischer Wald. Trotzdem nimmt der Wald aber mehr CO2 auf als anderswo. Aber wo geht der ganze Kohlenstoff hin? Wir wissen es nicht, aber in die Bäume jedenfalls nicht. Interessant ist auch dieser chemische Cocktail, den der Regenwald produziert, um mit anderen Bäumen oder Spezies zu kommunizieren. Auch darüber wissen wir wenig. Kürzlich hat man herausgefunden, dass die kleinsten Bäume, die unter dem dichten Walddach kaum Sonnenlicht bekommen, Jahrhunderte alt werden können, weil sie langsam wachsen. Man findet immer wieder etwas Neues heraus.

STANDARD: Essenziell für die Bewertung des Klimawandels sind die sogenannten Kipppunkte. Sind diese im Amazonas-Regenwald schon überschritten?

Trumbore: Das wird gerade kontrovers diskutiert – und auch, ob man bestimmte Kippeffekte nicht doch wieder rückgängig machen kann. Klar ist: Wenn sich die Erde um 1,5 Grad erwärmt und die Entwaldung weitergeht, besteht die Gefahr, dass wir den Amazonaswald verlieren. Einige Modelle gehen etwa davon aus, dass es dort stattdessen Savanne geben wird. Die Amazonas-Region ist immerhin eines der heißesten Gebiete der Welt. Ich musste erst kürzlich eine Vorlesung in einer Stadt in Mato Grosso abbrechen, weil es einfach zu heiß war. Wenn es so weitergeht, wird man dort auch kein Soja mehr anbauen können. (Philip Pramer, 3.12.2020)

Susan Trumbore studierte Geologie an der University of Delaware. Sie ist Erdsystemwissenschafterin, Direktorin am Max-Planck-Institut für Biogeochemie und Professorin an der University of California. Sie wurde dieses Jahr mit dem Balzan-Preis ausgezeichnet.

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