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Dies & Das: Vielleicht wird der Himmel weiss…

Claudia Mäder 18.08.2021 Vielleicht wird der Himmel weiss werden, vielleicht werden die Tiere auf Zwergengrösse schrumpfen – in jedem Fall wird die Natur in der Zukunft anders aussehen Durch den Klimawandel und seine Bekämpfung wird sich die Natur drastisch verändern – zwei Bücher zeigen auf ganz unterschiedliche Weise, wo die Reise hinführen könnte. Im Jahr 1816 fiel in Europa der Sommer ins Wasser. Schuld war ein Vulkan in Indonesien, der 1815 enorme Mengen an Asche, Gas und Feinstaub in die Atmosphäre geschleudert hatte. In der Folge sind die Partikel um die ganze Welt geflogen, haben das Sonnenlicht abgefangen und so für tiefe Temperaturen und trübes Wetter gesorgt. An vielen Orten kam es zu Hungersnöten. Manche Menschen wussten die Zeit aber gut zu nutzen: Lord Byron, Mary Shelley und Percy Shelley haben sich im Sommer 1816 am Genfersee eingerichtet und Schauergeschichten geschrieben – aus der Retraite ist «Frankenstein» hervorgegangen, die Erzählung von der Kreatur, die sich gegen den Menschen richtet, der sie zuvor mit eigenen Händen erschaffen hatte. Im Jahr 2021 fällt der Sommer an einigen Orten ins Wasser, anderswo wüten Hitze und Feuer. Schuld ist kein einzelnes Phänomen, aber die Klimaerwärmung fördert Extreme, wie wir sie derzeit erleben. Um diese Probleme einzudämmen, tüfteln Forscher an einer Art Vulkanimitation. Solar Geoengineering lautet der korrekte Begriff dafür, sein Prinzip ist aber kein anderes als dasjenige des Vulkanausbruchs. Denn das Grundkalkül ist das folgende: Würden die Menschen riesige Mengen reflektierender Partikel in die Stratosphäre schiessen, müssten sie es schaffen, Teile des Sonnenlichts von der Erde fernzuhalten und also den weiteren Anstieg der Temperaturen zu verhindern. Welche Materialien sich am ehesten für den Abschuss eignen könnten, ist noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Wie die Partikel die globalen Niederschlagsmuster beeinflussen würden, kann keiner genau wissen, ja selbst ob wir den Himmel noch als solchen sähen, muss momentan offen bleiben – einige Forscher gehen davon aus, dass er uns nach massivem Partikelbeschuss nicht mehr blau, sondern weiss erschiene. Kurz: Sollte sich der Mensch als Vulkan versuchen, würde das erhebliche Gefahren mit sich bringen. Doch vielleicht muss man nach einer Risikoabwägung tatsächlich Partei für dieses Mittel ergreifen, denn «wir leben in einer Welt, in der es weniger riskant sein könnte, gezielt die verdammte Sonneneinstrahlung zu dämpfen, als es nicht zu tun.» Kühlung für die Korallen Das jedenfalls meint ein Wissenschafter im neuen Buch von Elizabeth Kolbert. Die preisgekrönte amerikanische Journalistin befasst sich seit vielen Jahren mit Umweltthemen und geht in ihrem jüngsten Werk der Frage nach, «wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft». Kolberts Blick auf technische Eingriffe ins natürliche Gefüge ist nüchtern, aber skeptisch. Sie sagt es nicht explizit, doch spätestens in dem Moment, da sie Mary Shelleys Aufenthalt in Genf erwähnt, wird einem bewusst, dass der Autorin ein Frankenstein-Szenario vor Augen steht: Immer wieder haben wir Menschen Dinge erschaffen, um die Natur zu kontrollieren, doch nicht selten sind dadurch neue Probleme entstanden, die sodann nach noch mehr Kontrolle riefen. Dieses Muster beobachtet Kolbert an verschiedenen Orten. Zum Beispiel im Norden der Vereinigten Staaten, wo elektrische Barrieren in die Flüsse gebaut werden, um das Vordringen von asiatischen Karpfen zu stoppen. Jahrzehnte zuvor sind die Tiere ins Land geholt worden. Sie sollten ungeliebte Wasserpflanzen bekämpfen, haben sich aber alsbald zu einer Plage entwickelt, der man ihrerseits zu Leibe rücken musste. Oder in Louisiana, wo man den Mississippi eindämmte, um die Siedlungen vor Überschwemmungen zu schützen – und so für das Verschwinden ganzer Ortschaften sorgte. Da der Fluss keine Sedimente mehr anspült, verlieren die Leute im wahrsten Sinn den Boden unter den Füssen. Dieser Missstand soll nun mit milliardenteuren Anlagen behoben werden, die Mississippiwasser gezielt aus den Deichen treten lassen und quasi gesteuerte Fluten bewirken. Im Wissen um solche Paradoxien, die sich aus älteren Projekten zur Naturbeherrschung ergaben, blickt Kolbert dann eben auch kritisch auf gegenwärtige Bestrebungen, die Natur zu kontrollieren – obwohl dabei nun oft ihr Schutz im Zentrum steht. Wenn man invasiven Kröten mittels Crispr-Genschere das Gift wegzüchtet, damit sie keine einheimischen Tiere mehr töten, ist das dann keine gute Sache? Und die Korallen, in deren Riffen Vertreter von über 200 Arten leben – muss man zu ihrer Erhaltung nicht alles machen? Ziemlich viel immerhin wird in Australien schon für sie getan. Mit «assistierter Evolution» versuchen dort Forscher, möglichst wärmeresistente Korallen hervorzubringen; durch spezielle Tiefseepumpen werden Riffe gekühlt, über ihnen wird am Himmel künstlicher Nebel erzeugt, der Schatten spenden soll. Es sei doch einfach hochmütig, zu meinen, dass wir Menschen ohne alle anderen Wesen überleben könnten, sagte einer der engagierten Korallenexperten zu Kolbert, als er ihr die komplexen Projekte erklärte. Die Autorin kann das verstehen. Trotzdem hat sie eine Frage: «War es nicht bloss eine andere Art von Hybris, sich ‹Interventionen für das ganze Riff› vorzustellen?» Wer ist der Akteur? Obschon sie ihre Skepsis zum Ausdruck bringt, legt Kolbert keine einfachen Antworten nahe. Sie schaut in die Zwiespälte, die sich überall auftun, zeigt ihre eigene Unentschiedenheit und lässt durch diese Offenheit erahnen, dass unsere Gesellschaften grossen Diskussionen entgegengehen. Noch etwas anderes Wertvolles aber leistet das Buch: Es gibt der «Innovation» oder der «Technologie», die oftmals auf eher schwammige Weise als Heilmittel für die Klimakrise beschworen werden, ein sehr konkretes Gesicht und macht überdies klar, dass wir hier von langsamen Prozessen, nicht von plötzlichen Geistesblitzen reden. Über Formen des Solar Geoengineering beispielsweise wird schon seit den 1960er Jahren diskutiert. Denn ja: Dass die Menschheit durch die Verwendung fossiler Brennstoffe im Begriff ist, ein «riesiges geophysisches Experiment» durchzuführen, wusste etwa die amerikanische Regierung bereits 1965. So eindrücklich dieses Buch auch ist, restlos überzeugen kann es nicht. In der Geschichte, die Kolbert erzählt, sind die Rollen klar verteilt: Der Mensch ist der Akteur, die Natur muss sein Treiben ertragen und wird jetzt passend gemacht für die problembefrachtete Welt, in der wir alle leben. Das ist eine ziemlich anthropozentrische Perspektive. Natürlich geht der gegenwärtige Klimawandel auf das Konto der Menschen, keiner mit Verstand will das heute noch bestreiten. Aber Tiere und Pflanzen haben seit Jahrmillionen eigene Methoden entwickelt, um auf veränderte Lebensbedingungen zu reagieren. Anders gesagt: «Die Natur

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